MONITOR vom 20.02.2020

Giftige Geschäfte: Wie deutsche Unternehmen mit gefährlichen Pestiziden Umsatz machen

Kommentieren [7]

Bericht: Jochen Taßler, Elke Brandstätter

Giftige Geschäfte: Wie deutsche Unternehmen mit gefährlichen Pestiziden Umsatz machen

Monitor 20.02.2020 09:26 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Jochen Taßler, Elke Brandstätter

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Und jetzt zu einem ganz anderen Thema. Zu einer schleichenden, tödlichen Gefahr für Millionen Menschen – verursacht von Unternehmen, deren Profitinteressen offenbar weder vor der Gesundheit noch vor dem Leben der ärmsten Menschen dieser Welt Halt macht. Es geht um hochgefährliche Pestizide in der Landwirtschaft. Darunter Stoffe, die als krebserregend gelten. Viele davon werden mittlerweile nicht mehr zugelassen – in Europa wohlgemerkt. Denn weltweit boomt das Geschäft mit diesen hochgefährlichen Pestiziden weiter. Mit dramatischen Folgen für Mensch und Umwelt. Elke Brandstetter, Jochen Taßler und Thilo Gummel zeigen Ihnen jetzt auch, welche deutschen Unternehmen an diesen giftigen Geschäften mitverdienen.“

Jharkhand. Ein Bundesstaat in Ost-Indien. 35 Millionen Menschen wohnen hier. Viele leben von der Landwirtschaft. So wie Mandiran Matho und Dineshwar Matho. Sie sind Kleinbauern, pflanzen Chili, Kartoffeln und verschiedene Gemüsesorten an. Pestizide gehören für sie dazu. Die Farmer sprühen von Hand. Ohne Schutzkleidung und barfuß. Sorgen um ihre Gesundheit machen sie sich kaum. Zu Hause hat Mandiran Matho eine ganze Reihe verschiedener Pestizide. Wie man damit umgeht, habe ihm niemand beigebracht, erzählt er. Er hole die Pestizide aus dem Laden und versprühe sie dann nach Gefühl. Mandiran Matho benutzt indische Pestizide, aber auch sehr giftige Produkte von großen, internationalen Herstellern wie dieses hier von Bayer – in Europa ist es nicht zugelassen. Fürs Sprühen auf dem Feld mixt Matho verschiedene Pestizide zusammen. Ein bisschen hiervon, eine Kappe davon. Aufgefüllt wird mit Wasser. Je nachdem, wie er es braucht – oder wie er glaubt, es zu brauchen. Viele Pestizide, die er benutzt, gelten in Indien als giftig. Auf den Packungen sind dann kleine Warnsymbole. Manchmal gibt es auch Packungsbeilagen. Aber die liest kaum jemand. Viele Bauern können gar nicht lesen. Einige Pestizide werden mit angeklebten Schutzhandschuhen verkauft.

Reporter (Übersetzung Monitor): „Hast du die Handschuhe schon mal angezogen?“

Mandiran Matho, Kleinbauer (Übersetzung Monitor): „Nein, noch nie.“

Reporter (Übersetzung Monitor): „Noch nie. Und seit wann bist du Bauer?“

Mandiran Matho, Kleinbauer (Übersetzung Monitor): „Schon immer eigentlich.“

Die Hersteller sagen, Pestizide seien notwendig, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Kritiker widersprechen und beklagen, wie schädlich sie für die Umwelt und die Böden sind. Und: regelmäßig gibt es Meldungen über dramatische Vergiftungsfälle – auch in Indien 2017.

Indischer Nachrichtensprecher (Übersetzung Monitor): „Mindestens 20 Bauern sind nun gestorben, nachdem sie Pestizide auf die Baumwollpflanzen in Maharadscha gesprüht hatten.”

Nach Schätzungen sterben weltweit jährlich Hunderttausende an den Folgen von Pestizideinsatz. Fachleute warnen vor Langzeitfolgen wie Krebs, Parkinson oder Missbildungen an Embryonen. Viele der Pestizide, die dafür verantwortlich gemacht werden, kommen von europäischen Konzernen. Vom Schweizer Agrarriesen Syngenta etwa. Aber auch von deutschen Konzernen wie BASF und Bayer. Einige der hochgiftigen Stoffe sind in Europa nicht mehr zugelassen. Trotzdem werden sie hier weiter produziert – für den Weltmarkt, für Länder wie Indien.

Wie groß der Anteil hochgefährlicher Stoffe am Umsatz der Konzerne ist, darüber gab es bislang keine Zahlen. Doch nun haben die NGOs Public Eye und Unearthed analysiert, wie viel Umsatz die großen Hersteller mit hochgefährlichen Pestiziden machen. Dafür haben sie umfangreiche Daten analysiert. Laut den NGOs bilden sie Verkäufe im Wert von rund 23 Milliarden Dollar ab, etwa 40 Prozent des Pestizid-Weltmarktes. Dem Datensatz zufolge machen die fünf größten Hersteller rund 35 Prozent ihrer Erlöse aus Pestizid-Verkäufen mit so genannten hochgefährlichen Pestiziden. Also mit Pestiziden, die akut giftig sind; mit Pestiziden, die im Verdacht stehen, Langzeitschäden wie Krebs auszulösen; oder mit Stoffen, die für die Umwelt besonders giftig sind.

Laurent Gaberell, Public Eye (Übersetzung Monitor): „Diese Firmen behaupten immer, dass sie die verantwortlichsten, ethischsten Firmen am Markt sind. Aber wir zeigen, dass sie in Wahrheit extrem abhängig von den Verkäufen dieser hochgefährlichen Pestizide sind.”

Der Dachverband der großen Hersteller bestreitet nicht, dass sie hochgefährliche Pestizide herstellen und exportieren. Viele der Stoffe seien aber nur gefährlich, wenn

Zitat: „ihr Risiko nicht gemanagt wird oder nicht verantwortlich gemanagt werden kann.“

Außerdem sei die Liste, in der die Stoffe als „hochgefährlich” eingestuft sind, nicht offiziell anerkannt. Die Macher der Liste betonen, die Einstufungen basierten auf Bewertungen von WHO, EU und anderen namhaften Organisationen.

Peter Clausing, Pestizid Aktions-Netzwerk e. V. Deutschland: „Es ist eine Liste, die umfassend ist, die weltweit zugelassene Pestizid-Wirkstoffe abdeckt. Und es ist die einzige Liste in der Welt, die all diese Kriterien zusammenfasst, und zwar auf der Basis offizieller Einschätzungen und nicht einer NGO-basierten, geführten Gefährlichkeit.“

Khuleshwar Gop ist Kleinbauer in Indien. Welcher Stoff wie gefährlich ist – damit kennt er sich nicht aus. Er merkt nur, wenn er bestimmte Pestizide benutzt, bekommt er gesundheitliche Probleme.

Khuleshwar Gop, Kleinbauer (Übersetzung Monitor): „Wenn viele Schädlinge da sind, muss man starke Mittel einsetzen. Bei denen bekommt man ein bisschen Schwindel. Bei anderen Mitteln bekommt man das nicht.”

Über mögliche Langzeitschäden weiß Khuleshwar Gop kaum etwas. Wir begleiten ihn zu seinem Pestizidhändler. Shops wie diese gibt es an jeder Ecke. Pestizide werden wie im Supermarkt verkauft. Neben vielen indischen hat Händler Vasudev Mahto auch internationale Produkte. Stolz zeigt er uns seine Auswahl von Bayer. Einige der Produkte sind in Europa nicht zugelassen. Alanto zum Beispiel, das Produkt enthält den Wirkstoff Thiacloprid. Ein hochgiftiger Stoff, der im Verdacht steht, krebserregend zu sein und als erbgutschädigend gilt. Jump enthält den Wirkstoff Fipronil. Er gilt als hochgefährlich, weil er besonders schädlich für die Umwelt ist. Baskut Tuncak ist Sonderberichterstatter der UN für Pestizide. Er beobachtet immer wieder, dass hochgefährliche Pestizide in Regionen zum Einsatz kommen, wo das Know-how dafür fehle. Das wüssten auch die Hersteller.

Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für Pestizide (Übersetzung Monitor): „Ich glaube, die Unternehmen wissen ganz genau, was los ist. Vielleicht wissen sie es sogar besser als NGOs oder andere, sogar Regierungen. Sie wissen eine Menge über die Auswirkungen. Aber wenn es darum geht, was daraus folgt, wenn unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, habe ich den Eindruck, dass es schlicht um Profit geht.“

Diesen Eindruck erwecken auch die Daten, die Public Eye und Unearthed analysiert haben. Daraus ergibt sich, die hochgiftigen Stoffe werden vor allem in ärmere Länder verkauft. In Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen haben die fünf großen Hersteller 2018, den Daten zufolge, 54 Prozent ihrer Umsätze mit hochgefährlichen Pestiziden gemacht. Länder, in denen es oft an strengen Regeln zum Gesundheitsschutz fehlt. Die hochgefährlichen Stoffe, auch von europäischen Herstellern, finden wir in Jharkhand fast an jeder Straßenecke. Das Syngenta-Produkt Gramoxone etwa. Es enthält Paraquat, einen Stoff, der so giftig ist, dass er etwa beim Einatmen tödlich sein kann. Oder auch Antracol von Bayer mit dem Wirkstoff Propineb. Bei uns nicht zugelassen. Die US-Umweltbehörde stuft ihn als wahrscheinlich krebserregend ein. Antracol wird unter anderem im rheinischen Dormagen für den Export produziert. Die Anlage wird gerade erweitert.

Laurent Gaberell, Public Eye (Übersetzung Monitor): „Diese Firmen nutzen die schwächeren Schutzstandards in Ländern wie Indien aus, um in Europa nicht mehr zugelassene Pestizide verkaufen zu können.”

Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für Pestizide (Übersetzung Monitor): „Es ist vollkommen unlogisch. Und es ist eine Schande, dass die Unternehmen weiterhin behaupten, dass sie nachhaltig seien, während sie gleichzeitig derart unethisch und unmoralisch handeln.”

Die Hersteller weisen zurück, dass sie niedrigere Standards ausnutzen. Bayer schreibt uns, die Bedingungen seien je nach Region unterschiedlich. Daher auch die Zulassungen. Es stehe aber außer Frage,

Zitat: „dass alle von uns vertriebenen Pflanzenschutzmitteln unseren strengen freiwilligen regulatorischen Anforderungen genügen müssen.”

UN-Sonderberichterstatter Tuncak reicht das nicht. Für ihn gibt es mittelfristig nur eine Lösung: Ein Verbot hochgefährlicher Pestizide.

Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für Pestizide (Übersetzung Monitor): „Staaten haben die Pflicht, Menschenrechte zu schützen. Und dass müssen sie mit rechtlich verbindlichen Vereinbarungen machen, die für alle Unternehmen gelten und für gleiche Spielregeln sorgen, auch international. Wir wissen, dass freiwillige Vereinbarungen auf internationaler Ebene nicht funktionieren. Sie haben nicht funktioniert.”

Durch ein internationales Verbot wären auch die Bauern in Jharkhand den hochgefährlichen Pestiziden nicht länger ausgesetzt.

Khuleshwar Gop, Kleinbauer (Übersetzung Monitor): „Es kann sein, dass diese Stoffe später in unserem Körper Wirkungen zeigen. Wenn diese Mittel jetzt schon verboten würden, wäre es besser. Damit wir vor der Gefahr gerettet werden können.”

Stand: 21.02.2020, 18:00 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

7 Kommentare

  • 7 Dieter 26.04.2020, 10:38 Uhr

    Die Politik müßte den Giftfirmen das Handwerk legen. Durch das Nichtstun sind sie Mitschuldig am Tod von vielen Menschen direkt und indirekt. Im Endefekt ist es Mord durch Unterlassung. Dieses Giftzeug produzieren das hier verboten ist muß eine solche Produktion mit Höchststrafen geandet werden. Gier frißt Hirn..

  • 6 Ulrich 21.02.2020, 20:22 Uhr

    Wenn auch in einem anderen Kontext - hier bewahrheitet sich einmal mehr die Metapher 'Der Tod ist ein Meister aus Deutschland', denn Geld kennt keine Moral und keine Rücksichtnahme.

  • 5 Henry 21.02.2020, 11:51 Uhr

    Es ist einfach nur tragisch das die Politik rein gar nichts unternimmt um den Handel zu verbieten. Kann doch nicht sein, das wir hier in der BRD diese Mittel herstellen die eigentlich verboten sind und diese dann exportieren.

  • 4 Antonio 21.02.2020, 05:40 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er sich nicht auf das Thema der Diskussion bezieht. (die Redaktion)

  • 3 TS 20.02.2020, 23:38 Uhr

    Unsere Politik hat leider kein Interesse den Import z.B. solcher Nahrungsmittel zu erschweren. Im Gegenteil Sie wollen in ihren neuen Handelsabkommen notfalls bisherige Grenzwerte ändern! In Deutschland immer höhere Standards. Aber bei Importware interessiert keinen Menschenrecht, Tierschutz, Umweltschutz! Schade! Wichtig: billige Lebensmittel und Industriegüter verkaufen.

  • 2 Haake 20.02.2020, 22:40 Uhr

    Hallo, Vielen Dank für den sehr guten Bericht! Es fehlte mir aber eindeutig der nächste logische Schritt. Die Lebensmittel, die mit diesen in der EU nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittel behandelt werden, gelangen in den europäischen, also auch in den deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Leider oft auch in verarbeiteten Produkten. So haben wir als Verbraucher oft keine Informationen dazu und konsomieren so ohne es zu wissen die Gifte! Mit freundlichen Grüßen Hajo Haake

  • 1 Lorenz 20.02.2020, 22:21 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er sich nicht auf das Thema der Diskussion bezieht. (die Redaktion)