MONITOR vom 17.01.2019

Machtkalkül statt Europäische Werte? Die dubiosen Partner deutscher Parteien in Osteuropa

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Bericht: Nikolaus Steiner, Stephan Stuchlik

Machtkalkül statt Europäische Werte? Die dubiosen Partner deutscher Parteien in Osteuropa

Monitor 17.01.2019 08:56 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Stephan Stuchlik

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Georg Restle: „Aber mit Grundwerten ist es ja so eine Sache. Dafür einzutreten macht sich immer gut, vor allem bei Wahlkämpfen, und das gilt ganz sicher auch für Europa. Im Mai finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Und da gehe es um nicht weniger als die Verteidigung europäischer Grundwerte, sagen die Spitzenpolitiker deutscher Parteien. Die Frage ist nur, wie verträgt sich das eigentlich damit, dass die gleichen Parteien in Brüssel und Straßburg gemeinsame Sache machen mit Parteien, deren Chefs unter Korruptionsverdacht stehen, die wenig von Rechtsstaat und Meinungsfreiheit halten, und von Europa noch weniger? Nikolaus Steiner und Stephan Stuchlik.“

Helsinki, Anfang November. Manfred Weber von der CSU wird zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei nominiert. Sein zentrales Anliegen: Die Verteidigung europäischer Werte.

Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat Europäische Volkspartei, 08.11.2018 (Übersetzung Monitor): „Für uns christliche Demokraten ist Europa ein Synonym für Freiheit, für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit.“

Auch er gehört zur Europäischen Volkspartei: Viktor Orbán, ungarischer Ministerpräsident und in den letzten Jahren gern gesehener Gast bei der CSU. Im Europäischen Parlament sitzen CDU/CSU und die ungarische Regierungspartei Fidesz von Orbán gemeinsam in einer Fraktion. Eine Partei, die in Ungarn Stimmung gegen Europa macht und gegen die immer mehr Menschen auf die Straße gehen, um gegen den Abbau von Grundrechten, Presse- und Meinungsfreiheit zu protestieren.

Das EU-Parlament hat im September mit großer Mehrheit die europäischen Staats- und Regierungschefs aufgefordert, endlich zu handeln. Es gebe massive Bedenken bezüglich der „Funktionsweise des Verfassungs- und des Wahlsystems“ in Ungarn, bezüglich der „Unabhängigkeit der Justiz“ und wegen „Korruption und Interessenkonflikten“. Insgesamt bestehe die Gefahr „einer schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet, durch Ungarn“, so das EU-Parlament. Schwerwiegende Verletzung der Werte? Nachfrage beim Fraktionsvorsitzenden. Wie passt so eine Partei in eine Fraktion mit CDU und CSU?

Reporter: „Warum unterstützen Sie Europafeinde?“

Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender EVP: „Die ungarische Fidesz ist eine Partei, die sich im Rahmen der europäischen Union ganz konstruktiv in vielen Bereichen beteiligt.“

Reporter: „Aber die ist in Verantwortung in Budapest und das verstößt gegen die Grundprinzipien der europäischen Union, hat ja das Parlament festgestellt.“

Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender EVP: „Genau, und deswegen muss man über diese Fragen reden. Die Ungarn haben Victor Orbán als Premierminister gewählt in einem demokratischen Ergebnis.“

Für den ungarischen Schriftsteller György Dalos ist das wie ein Schlag ins Gesicht. 2010 bekam er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und später das Bundesverdienstkreuz. Ein Ausschluss von Orbáns Partei aus der Fraktion wäre ein wichtiges Signal für die ungarische Zivilgesellschaft, meint er.

György Dalos, ungarischer Publizist: „Ich weiß nicht, was noch geschehen sollte, damit die CDU und CSU diesen Schritt macht. Nach ihren wirklichen bisherigen Prinzipien sollten sie eigentlich Fidesz aus der Volkspartei ausschließen. Er gehört nicht dazu. Aber Taktik bestimmt mehr als Ethik.“

Taktik statt Ethik - bei der FDP gibt man sich darüber empört. Es gehe in Ungarn schließlich um die europäischen Grundwerte, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit.

Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender, 06.01.2019: „Da bin ich stolz, dass wir an der Seite von Emmanuel Macron und anderen Liberalen und Moderaten in den Europawahlkampf gehen, und nicht wie die CDU an der Seite von Viktor Orbán, liebe Freundinnen und Freunde.“

Nicht an der Seite Orbáns - dafür aber an der Seite von Andrej Babiš. Orbán und der tschechische Ministerpräsident sind Weggefährten, trafen sich Ende November in Prag. Ihre Botschaft: Gemeinsam will man Europa ändern.

Andrej Babiš, ANO, Ministerpräsident Tschechien, 30.11.2018 (Übersetzung Monitor): „Wir wollen, dass sich die Europäische Kommission und die Europäische Union ändern. Die Mitgliedsstaaten sollten mehr Einfluss erhalten. Wir wollen eine EU-Kommission, die unpolitisch ist.“

Erstaunlich dabei: Im Europarlament sitzt die FDP in einer Fraktion mit der Partei von Andrej Babiš, der europakritischen ANO-Partei.

Prof. Andreas Maurer, Politikwissenschaftler, Universität Innsbruck: „Babiš’ Partei ist eine Ein-Personen-Partei. Das ist keine gewachsene Partei, es gibt auch keine Parteimitgliedschaften oder irgend so etwas. Von Babiš stammt der Satz: ‚Wenn ich bezahle, bestimme ich auch.‘ Das heißt: ‚Das Parteiprogramm mache ich.‘ Da geht es nur um ihn als Person. Also sehr stark, erinnert für uns sehr stark an die Person Berlusconi.“

Doch Milliardär und Medienmogul Babiš kritisiert nicht nur den Euro, die Brüsseler Bürokraten und ignoriert die EU-Flüchtlingsquote, sondern steht auch wegen seines Umgangs mit europäischen Fördergeldern in der Kritik.

In einer Resolution des Europäischen Parlaments vom Dezember heißt es: Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung „hat schwerwiegende Unregelmäßigkeiten gefunden.“ Das Parlament sei besorgt bezüglich der „Nichteinhaltung der europäischen Haushaltsordnung“ und eines „Interessenkonflikts des tschechischen Premierministers“. Der Vorwurf: Babiš sei als einflussreicher Politiker an Unternehmen beteiligt, die von EU-Fördergeldern profitierten. Korruption? Babiš weist jegliches Fehlverhalten zurück.

Im November gab es in Prag große Demonstrationen gegen den Ministerpräsidenten, auf denen sein Rücktritt gefordert wurde. Antieuropäische Rhetorik und Interessenkonflikte? Wie passt das zur FDP von Christian Lindner? Die Partei teilt uns mit:

Zitat: „Kritische Entwicklungen (…) werden in den Gremien der (liberalen Fraktion) ALDE regelmäßig angesprochen.“

Von einem Ausschluss der Tschechen aus der Fraktion: Keine Rede. Und die SPD? Auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament beschwört die europäischen Werte im Wahlkampf.

Udo Bullmann (SPD), Fraktionsvorsitzender S&D, 09.12.2018: „Für uns ist Europa, dass du lieben darfst - sie oder ihn - wen du willst. Für uns ist Europa, dass du nicht auf die Knie gehen musst vor deiner Obrigkeit. Dass die Presse frei berichten kann.“

Erstaunlich nur, dass die Sozialdemokraten mit diesem Mann offenbar weniger Probleme haben: Liviu Dragnea, Vorsitzender der rumänischen Regierungspartei PSD und der starke Mann in Bukarest.

Dragnea ist wegen versuchter Wahlmanipulation rechtskräftig verurteilt worden. Ein Verfahren wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch läuft noch. Dragnea bestreitet die Vorwürfe. Im Europäischen Parlament arbeitet die SPD mit Dragneas Partei, der PSD, in einer Fraktion zusammen. Einer Regierungspartei, die die Proteste Zehntausender in Bukarest im August brutal niederknüppeln ließ, weil sie gegen die Politik der PSD und gegen den Abbau des Rechtsstaats auf die Straße gingen.

Das Europaparlament verabschiedete im November eine Resolution wegen der rechtsstaatlichen Entwicklung Rumäniens. Die Regierungspolitik könne dazu führen, die „Unabhängigkeit der Justiz und eine effektive Korruptionsbekämpfung auszuhöhlen“. Es gebe Berichte über eine „wachsende homophobe Diskriminierung“ und über Versuche „rumänische Medien in politische Propagandawerkzeuge zu verwandeln“.

Robert C. Schwartz, Leiter Rumänien-Redaktion Deutsche Welle: „Ich glaube, die rumänische PSD hat allen gezeigt, dass sie nicht nur nicht sozialdemokratisch ist, sondern inzwischen auch antieuropäisch, populistisch, nationalistisch, fremdenfeindlich, homophob, gegen Minderheiten. Mit anderen Worten: Sie passt gar nicht mehr in das Bild der Sozialdemokratie.“

Wieso wird die rumänische PSD nicht aus der Fraktion der Sozialdemokraten ausgeschlossen?

Udo Bullmann (SPD), Fraktionsvorsitzender S&D: „Wenn wir den Beleg dafür haben, dass die Situation sich nicht verbessert, sondern verschlechtert, dann werden wir Konsequenzen ziehen.“

Reporter: „Welche Belege brauchen Sie noch? Glauben Sie nicht, dass Sie den Demonstranten in Bukarest in den Rücken fallen, die da mit Europaflaggen demonstrieren gegen ihre eigene Regierung, gegen die Einschnitte, die sie in die Zivilgesellschaft vornimmt?“

Udo Bullmann (SPD), Fraktionsvorsitzender S&D: „Das haben wir sehr ernst genommen und wir haben uns auch immer gefragt und wollen die Untersuchungen auch auf den Punkt bringen, und sind uns ja einig im Europäischen Parlament.“

Heißt: Erstmal kein Ausschluss der PSD aus der Fraktion. Einer Regierungspartei, die nicht nur auf den Straßen Bukarests mit aller Härte gegen ihre Kritiker vorgeht. Die deutschen Parteien im Europawahlkampf: Von der Verteidigung der europäischen Grundwerte ist die Rede. Glaubwürdigkeit gehört offenbar nicht dazu.

Georg Restle: „Gestern wurde in Rumänien übrigens ein Fernsehsender zeitweise abgeschaltet. Und das nur, weil er über eine Großdemonstration gegen die Regierung berichtet hatte. Vielleicht überlegt sich die SPD ja nochmal, mit wem sie da eigentlich Wahlkampf machen will.

Stand: 18.01.2019, 16:00 Uhr

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7 Kommentare

  • 7 Der Franke 16.02.2019, 17:20 Uhr

    Die EU Kommission einschließlich, Umweltschutz aufnahme von Flüchtlingen jegliche Art diskutieren und reklementieren sonst kann ich momentan nichts erkennen!! Merkt denn keiner das unser wirtschafts Motor Hauptsitz Deutschland Frankreich langsam durch Ihre Entscheidung zerstört wird!! Als diskremenierung ist das Dieselfahrverbot auch nicht nicht zulässig! Gebt acht auf den Weltmarkt sonst droht der Zusammenbruch. Die einzige Lösung jedes Euroland geht wieder seinen eigenen Weg! Der Umweltschutz ist schon okay aber nicht in 2 - 5 Jahren umsetzbar z.b. das Auto mit Elektroantrieb ist nicht die Lösung viel zu schwer der Akku um eine Reichweite von 500 km und mehr zu erreichen. Auf jeden Fall soll jedes Land wieder seinen Weg selbst bestimmen da bei einem Rückblick die Eu Gemeinschaft in den letzten Jahren nur bergab fährt ! Merkt in Brüssel keiner das andere Länder der Erde wirtschaftlich an uns vorbei fahren ?Die Abdasgrenzwerte sind nicht in so kurzer Zeit möglich.

  • 6 Klaus Keller 18.01.2019, 11:49 Uhr

    Was während der EWG aufgebaut wurde hat die EU wieder zerstört. Vieles kann man nicht mehr reparieren und bei so vielen so völlig unterschiedlichen Ländern kann ein gemeinsamer Markt Lohndumping nicht mehr bekämpfen. Aber auch eine "Wertegemeinschaft" kann nicht in diesem Durcheinander verschiedener Länder aufrecht erhalten werden. In der EWG konnte man "europäische Werte" wiederfinden; heute ist der Begriff nur noch hohles Geschwätz. Es nützt auch nichts die extremen "Ausreißer" wieder einzufangen oder sich davon zu distanzieren. Das ist ein fundamentales Problem dieser EU. Die EU muss aufgelöst werden! Mit der Zusammenarbeit auf dem Kontinent Europa muss man völlig neu beginnen. Die alte EWG könnte da ein wichtiger Orientierungspunkt sein, weniger Länder - weniger Kompetenzen - weniger hohles Geschwätz aber dafür "Wohstand für alle" (nach Ludwig Erhard).

  • 5 Helen Wullenweber 17.01.2019, 22:40 Uhr

    Deshalb ist es so schön, dass 2019 Volt Europa kandidiert - die erste pro- & paneuropäische Partei, die an den EP Wahlen 2019 teilnehmen will. Paneuropäisch das ist - viele Länder - ein Parteiprogramm - und keine faulen Kompromisse mit nationalistischen, populistischen oder korrupten antidemokratischen Partnerparteien. Ich trete mit Volt Deutschland für eine demokratische, solidarische und friedensstiftende EU ein. Gemeinsame Zukunft, gemeinsame Problemlösungen - keinen zurück lassen.

  • 4 Hartmut Bohn 17.01.2019, 22:29 Uhr

    Für mich sind, gerade die etablierten Parteien, eine einzige Enttäuschung! Unglaubwürdig, verlogen und mit Wirtschaftsunternehmen kungelnd (siehe VW - Diesel Skandal). Es ist nur noch zum fürchten........

  • 3 H. D. 17.01.2019, 22:22 Uhr

    Alles was Sie berichten zeigt, dass wir eben in keinem Rechtsstaat leben. Auch dass hier die Staatsgewalt vom Volk ausgeht ist eine Illusion. Wir habe hier eben keine Demokratie sondern eine Parteiendiktatur. Daran ändern auch Wahlen nichts, da es sich um Scheinbushaltestellen der Demokratie handelt. Darum werden deutsche Politiker- auch und gerade im Europaparlament- nicht das tun, was für die Menschheit und das Gemeinwohl wichtig wäre, sondern das tun, was ihre Lobbyisten fordern. Ob das die Zusammenarbeit ist mit Politikern ist, welche die Werte der EU beseitigen wollen oder ob es die kaputtgesparte Bahn ist, .... immer das gleiche Spiel. Und immer und immer wieder das gleiche Spiel!!! Wo bleiben die Gelbwesten auf deutschen Straßen????

  • 2 Hans Metz 17.01.2019, 22:19 Uhr

    Sie berichten über die politischen Verstrickungen zwischen Rumänien und der Europa Politik. Ich würde mich freuen, wenn Sie über die Verstrickungen der Rümänischen Politik und der ausländischen Großunternehmen in Rumänien berichten würden. Warum kann ein Unternehmen wie Ford Milliarden in Rumänien investieren wenn eine solche Korruption herrscht???? Gibt es da etwa Absprachen zwischen der Politik und den Großunternehmen?? Hans Metz

  • 1 W.E. 17.01.2019, 18:30 Uhr

    ist doch sehr lange bekannt. Kriminelle und möglichst korrupte Partner der EU, KfW, Berliner, Banditen ermöglichen einen Milliarden Diebstahl an Geldern und das vor aller Augen. Wo sind denn die Milliarden im Kosovo, Albanien, Afghanistan und Afrika verblieben?