EU-Lieferkettengesetz: Bundesregierung contra Menschenrechte? Monitor 27.10.2022 09:46 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Julia Regis

MONITOR vom 27.10.2022

EU-Lieferkettengesetz: Bundesregierung contra Menschenrechte?

Bericht: Lara Straatmann, Julia Regis

 Georg Restle: "Wir bleiben beim Thema Menschenrechte und Bildern wie diesem, von der brutalen Ausbeutung von Kindern, die für unseren Wohlstand gequält, versklavt oder misshandelt werden. Nur damit wir billige Kleidung, immer das neueste Handy oder günstigen Kaffee kaufen können. Genau daran sollte sich eigentlich etwas ändern. Mit Hilfe eines europaweiten Lieferkettengesetzes. Danach sollten europäische Unternehmen dafür haften, wenn Produzenten am Anfang der Lieferkette gegen Menschenrechtsstandards verstoßen. Und genau so hat es  auch die Ampel im Koalitionsvertrag versprochen.

Mittlerweile hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein solches Lieferkettengesetz vorgelegt. Und jetzt raten Sie mal, wer sich gerade besonders dafür einsetzt, dass ein solches Gesetz praktisch wirkungslos bleiben könnte. Lara Straatmann und Julia Regis"

September 2012, ein verheerender Brand in einer Textilfabrik in Pakistan sorgt weltweit für Entsetzen. Mehr als 250 Menschen sterben in den Flammen. Frauen, die vor allem für den deutschen Textildiscounter KiK nähten. Kleidung, die hier zu Billigpreisen verkauft wurde. Ein Fall, der klar machte: Für den Profit hiesiger Unternehmen zahlen oft die Menschen im globalen Süden. Billige Jeans und T-Shirts genäht von Frauen, die nicht selten zu Hungerlöhnen arbeiten. Viele Produkte, die hier verkauft werden, haben lange Wege hinter sich. Die Produktionsstätten sind weltweit verteilt, oft dort, wo Menschenrechte wenig gelten

Armin Paasch Misereor: “Es kommt zu massiven Menschenrechtsverletzungen, zu Hungerlöhnen, Kinderarbeit, Unterdrückung von Gewerkschaften, Vertreibungen, Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen. Und wir brauchen ein EU Lieferkettengesetz, um diese Missstände in Wertschöpfungsketten europäischer Unternehmen zu beenden.“

Das EU-Lieferkettengesetz – die europäische Kommission hat dazu Anfang des Jahres einen Vorschlag vorgelegt. Unternehmen sollen demnach verpflichtet werden, in der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten, für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu sorgen. Die deutsche Bundesregierung versicherte ihre Unterstützung und versprach im Koalitionsvertrag, sich für “ein wirksames EU-Lieferkettengesetz” einzusetzen. Vor allem die Grünen hatten sich immer wieder für einen besseren Schutz von Menschenrechten stark gemacht.

Robert Habeck (B’90/Grüne) ehem. Parteivorsitzender, 17.02.2021: “Egal welche Klamotten oder Schuhe wir einkaufen, Kinderarbeit oder Ausbeutung sollte nie Teil ihrer Herstellung sein. Garantiert durch ein Lieferkettengesetz mit Zähnen und Biss.“

Mit Zähnen und Biss. Ganz ähnlich klingt es auch bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil noch vor wenigen Tagen.

Hubertus Heil (SPD) Bundesarbeitsminister, 18.02.2022: „Gerade in diesen Zeiten müssen wir den Menschenrechtsschutz in globalen Lieferketten weiter stärken und das ohne Wenn und Aber.“

Ohne Wenn und Aber?  Interne Dokumente und Weisungen, die MONITOR exklusiv vorliegen, zeigen ein ganz anderes Bild. Darin wird deutlich: Deutschland versucht, den Vorschlag der  Kommission maßgeblich abzuschwächen. Etwa bei der zivilrechtlichen Haftung. Eine zentrale Regelung: Opfer von Menschenrechtsverletzungen sollen künftig auf Basis europäischen Rechts Schadensersatz einklagen können. Warum das wichtig ist, zeigt der Fall KiK. Hinterbliebene der Brandkatastrophe klagten in Deutschland auf Schadensersatz. KiK habe nicht auf die Einhaltung von Brandschutzvorgaben geachtet. Doch die Klage wurde abgewiesen. Die Richter urteilten auf Basis des Rechts, wo der Schaden entstanden ist – Pakistan. Der Vorschlag der EU-Kommission will genau das ändern. Unternehmen würden so künftig auf Basis europäischen Rechts für Verstöße haften und zwar bei Fahrlässigkeit, grober Fahrlässigkeit und Vorsatz. Unternehmerverbände laufen dagegen seit Monaten Sturm. Sie fordern eine Sonderregelung – die sogenannte Safe Harbour-Klausel. Und erstaunlich: in internen Weisungen der Bundesregierung findet sich nun exakt die gleiche Forderung. Auch die Bundesregierung spricht sich dafür aus,

Zitat:“…eine ‚Safe Harbour‘ Klausel einzufügen…“  

Safe Harbour - sicherer Hafen. Dabei geht es um Haftungserleichterungen für die Unternehmen. Diese können ihre Produkte oder Prozesse von externen Prüfern als vermeintlich einwandfrei zertifizieren lassen.  Für die zivilrechtliche Haftung hat das Folgen: Unternehmen haften bei einem Schaden nur noch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Das den Unternehmen nachzuweisen, sei für Opfer nahezu unmöglich, meint der Sozialdemokrat René Repasi. Er kämpft im EU-Parlament für ein scharfes Lieferkettengesetz.

René Repasi (SPD) Mitglied des Europäischen Parlaments: “Die Tatsache, dass der Haftungsmaßstab reduziert wird auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wird es in der Praxis sehr schwierig machen, eine Haftungsklage erfolgreich durchziehen zu können und die Haftungsreduktion soll ja gemacht werden auf der Grundlage einer Zertifizierungen und diese Zertifizierungen können ihrerseits fehlerhaft sein.“

 Tatsächlich haben sich bei mehreren großen Katastrophen Zertifikate als fehlerhaft herausgestellt.

Mit tödlichen Konsequenzen. So war auch die abgebrannte Textilfabrik in Pakistan, die für KiK produzierte, zuvor von einem Zertifizierungsunternehmen als sicher eingestuft worden. 2013 stürzte das Gebäude der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein. Mehr als tausend Menschen starben. Die Gebäudesicherheit war kurz zuvor offiziell bescheinigt worden. 2019 brach in einer Mine in Brasilien ein Staudamm. Mehr als 270 Menschen starben. Der Damm war kurz zuvor vom deutschen TÜV Süd geprüft worden. Armin Paasch arbeitet für die katholische Hilfsorganisation Misereor, hat viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen begleitet. Dank der Safe Harbour Regelung könnten die Firmen durch Zertifikate ihre Verantwortung auslagern, kritisiert er.

Armin Paasch, Misereor: “Zertifizierer handeln im Auftrag der Unternehmen, die sie zertifizieren sollen. Es besteht eine wirtschaftliche Abhängigkeit und die Gefahr ist groß, dass Gefälligkeitsgutachten ausgestellt werden und Blankoschecks ausgestellt werden, die die Unternehmen aus der Haftung nehmen. Das ist ein riesen Schlupfloch und eine große Hürde für Betroffene, wenn sie Schadensersatz einklagen wollen. Und meiner meines Erachtens ein großer Skandal.“

Sollte sich die Bundesregierung mit ihrer Safe-Harbour-Regelung durchsetzen, wäre das ein riesiger Erfolg Wirtschaftslobby. Aber es gibt noch einen anderen Punkt des Kommissions-Vorschlags, der für Erfolg oder Misserfolg des Lieferkettengesetzes von entscheidender Bedeutung ist: Die so genannte Risikoanalyse. Worum geht es dabei? Die Europäische Kommission will Unternehmen dazu verpflichten, genau hinzuschauen. Laut Entwurf müssen sie die Risiken in ihrer Lieferkette genau ermitteln und zwar vor allem solche, bei denen besonders schwere und wahrscheinliche Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Bundesregierung will das einschränken – und zwar auf jene Risiken bei denen das Unternehmen Einflussmöglichkeiten hat.

Ein Beispiel: Erklären die Unternehmen, dass sie auf Arbeitsbedingungen in afrikanischen Minen keinen Einfluss haben, müssten sie hier auch nicht so genau hinschauen. Und im Ergebnis auch nicht dafür haften. Denn die Bundesregierung fordert: 

Zitat: “Werden Risiken (...) zunächst unbeachtet gelassen…”

so gelten die Schäden  

Zitat:“...als nicht vorhersehbar und unvermeidbar…”

Und wären damit von der Haftung ausgenommen. Im Klartext: Damit können die Unternehmen quasi selbst darüber entscheiden, ob sie für Risiken wie Kinderarbeit oder andere Menschenrechtsverletzungen zivilrechtlich haften oder nicht. Das sei geradezu ein Anreiz wegzuschauen, kritisieren Aktivistinnen. 

Viola Wohlgemuth, Greenpeace: “Wenn Firmen sich einfach herauskaufen können, indem sie sagen, Ich habe da nicht hingeguckt, dieses Risiko ist mir zu weit weg. Das ist bei irgendeinem Zulieferer, den ich vielleicht gar nicht kenne, dann werden sie keine Verantwortung übernehmen müssen. Und das ist genau das, was dieses Lieferkettengesetz leisten soll.“

Das Bundesarbeitsministerium schreibt auf MONITOR-Anfrage, interne Dokumente und Weisungen würden “nicht kommentiert”. Man sei aber überzeugt, dass

Zitat: “…ein wirksames EU-Lieferkettengesetz geschaffen werden kann.”  

Ein wirksames Lieferkettengesetz. Das will auch der SPD-Abgeordnete René Repasi. Mit den Forderungen seiner Parteifreunde in der Bundesregierung, sei das allerdings unmöglich.

René Repasi (SPD), Mitglied des Europäischen Parlaments: “Wenn sich die Bundesregierung mit ihrer Position zu 100 Prozent durchsetzt und am Ende des Tages so das EU-Lieferkettengesetz aussieht, dann ist dieses EU-Lieferkettengesetz ein zahnloser Papiertiger. Das wird dazu führen, dass sich vor Ort nichts ändert. Dadurch wird die Situation von Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten nicht verbessert, dadurch die Situation von Umweltschäden nicht verbessert und wir bekommen hier keinen Fortschritt in diesem Punkt.“

Kein Fortschritt. Für die Menschen in den ärmsten Ländern dieser Welt wären das bittere Aussichten.

Georg Restle: "Ob die Aufweichung des Lieferkettengesetzes, Rüstungsexporte nach Saudi‑Arabien oder die nach wie vor vielen hunderten Toten an der EU‑Außengrenze im Mittelmeer. Irgendwann muss sich diese Bundesregierung dann wohl doch mal die Frage stellen, wo ihre großen Versprechungen in Sachen Menschenrechten eigentlich geblieben sind."

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Kommentare zum Thema

  • Anonym 15.11.2022, 10:25 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Anonym 15.11.2022, 10:03 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • Jochen Robrandt 03.11.2022, 17:39 Uhr

    Der Download-Link für den Beitragstext „EU-Lieferkettengesetz” ist falsch: Er führt zum PDF-Dokument für den Beitrag „Blackout-Angst”. Bitte korrigieren.