Bericht: Shafagh Laghai, Nikolaus Steiner
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Georg Restle: „Arbeiter in Coltan-Minen, Näherinnen in Bangladesch oder Kinder in Kakao-Plantagen. All diese Menschen werden zu niedrigsten Löhnen ausgebeutet, gequält und misshandelt, damit wir hier günstig einkaufen können. Das sollte sich eigentlich ändern, hatte die Große Koalition versprochen: Durch ein so genanntes Lieferkettengesetz, das Unternehmen hier in Deutschland verantwortlich macht, wenn am Anfang der Lieferkette gegen Menschenrechte verstoßen wird. Wirtschaftsverbände liefen von Anfang an Sturm gegen dieses Gesetz und hatten dabei einen starken Verbündeten in der Bundesregierung – Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Der hat jetzt geliefert. Letzte Woche hat die Bundesregierung verkündet, worauf sie sich am Ende geeinigt hat. Shafagh Laghai und Nikolaus Steiner zeigen ihnen, was übrig geblieben ist vom hehren Ziel der weltweiten Geltung der Menschenrechte.“
Vergangener Freitag: Drei hochzufriedene Minister treten vor die Presse:
Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister: „Das stärkste Gesetz in Europa.”
Peter Altmeier (CDU), Bundeswirtschaftsminister: „einen vernünftigen Kompromiss”
Gerd Müller (CSU), Bundesentwicklungsminister: „ein markantes Zeichen”
Es geht um das sogenannte „Lieferkettengesetz”. Es geht um Coltan-Minen wie diese im Kongo. Coltan steckt in quasi allen Smartphones. Sie schuften dafür, ihr Lohn reicht kaum zum Überleben.
Es geht um die Näherinnen in Bangladesch, die oft 14 Stunden oder mehr zu Hungerlöhnen durcharbeiten. Für Hemden und Hosen, die auch in Deutschland verkauft werden. Manche sind noch keine zwölf Jahre alt.
Kinderarbeit, Ausbeutung, Umweltschäden – all das soll das neue Lieferkettengesetz angeblich verhindern. Deutsche Unternehmen sollen auf die Einhaltung der Menschenrechte bei ihren ausländischen Zulieferern achten.
Hubertus Heil (SPD), Bundesarbeitsminister: „Im Kern geht es um Artikel 1 des Grundgesetzes. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da steht nicht, die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar.”
Bei Verstößen drohen den Unternehmen Bußgelder und sie können von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Klingt gut, doch der Entwurf halte nicht, was er verspricht. Er sei ein „Etikettenschwindel”, sagen Kritiker.
Viola Wohlgemuth, Greenpeace: „Was hier am Freitag verkündet wurde, ist für Menschenrechte und Umweltschutz allerdings ein Schlag ins Gesicht. Hier sehen wir den Stempel der Wirtschaftsverbände aus Deutschland. Sie scheinen wirklich den Stift von Peter Altmaier geführt zu haben und seit Jahren diesen Prozess so untergraben zu haben, dass das, was jetzt als Lieferkettengesetz verkündet wird, eigentlich nur noch ein ausgehöhlter Papiertiger ist.”
Der Bundeswirtschaftsminister als verlängerter Arm der Wirtschaftsverbände? Was ist dran an der Kritik? MONITOR liegt der Schriftverkehr der vergangenen Jahre zwischen Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung vor. E-Mails, Stellungnahmen, Forderungen. Sie zeigen, die Verbände hatten offenbar einen mächtigen Verbündeten: Bundeswirtschaftsminister Altmaier. Das Gesetz sollte von Anfang an verhindert werden, sagen auch Koalitionsabgeordnete.
Frank Schwabe (SPD), menschenrechtspolitischer Sprecher: „Das Wirtschaftsministerium hat alles versucht, diesen Prozess zu unterminieren und am Ende dafür zu sorgen, dass am Ende gar nix dabei rauskommt. Und das Ganze ist ja, im engen Schulterschluss gewesen und in enger Absprache mit den Verbänden der deutschen Wirtschaft.”
So etwa warnte der Arbeitgeberverband schon vor zwei Jahren. Solche
Zitat: „… Regelungen würden bei ihrer Realisierung deutschen Unternehmen größten Schaden zufügen …”
Ein Gesetz führe zu
Zitat: „… hohen Kosten, neuer Bürokratie und Haftung …”
Zu hohe Kosten durch Bürokratie? Die EU-Kommission hat berechnet, wie viel eine solche Regelung ein großes Unternehmen kosten würde – durchschnittlich etwa 0,005 Prozent vom Jahresumsatz.
Prof. Achim Truger, Sachverständigenrat Wirtschaft: „Die Studien, die es gibt, kommen zu Belastungen, die aus meiner Sicht auf keinen Fall eine Überforderung der Wirtschaft darstellen würden. Das ist ein typisches Lobby-Verhalten mit dem Ziel, das Gesetz zu torpedieren oder soweit abzuschwächen.”
Das zeigen auch unsere Recherchen. Nachdem das Lieferkettengesetz nicht mehr zu verhindern war, versuchten die Verbände, es massiv abzuschwächen. So fordern sie im August 2020, eine „mittelstandsfreundliche Ausgestaltung” des Gesetzes. Es solle also nur für große Unternehmen gelten. Außerdem forderten sie eine „Beschränkung” der Sorgfaltspflichten „auf direkte Zulieferer”. Und es solle „keine zivilrechtliche Lieferkettenhaftung” geben.
Vergangene Woche: Die zuständigen Minister stellen ihr Lieferkettengesetz vor. Und tatsächlich: Die zentralen Forderungen der Verbände wurden fast 1:1 umgesetzt. Zum Beispiel bei der Unternehmensgröße. Laut dem aktuellen Entwurf gilt das Gesetz nur noch für große Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Das hat Konsequenzen. Von den 7.100 Unternehmen, die das Gesetz ursprünglich umsetzen sollten, sind jetzt nur noch etwa 2.900 übrig geblieben – weniger als die Hälfte. Und auch die müssen wenig befürchten. Anfangs war geplant, die „gesamte Lieferkette“ eines Unternehmens zu berücksichtigen. Im aktuellen Entwurf geht es nur noch um die „unmittelbaren Zulieferer“. Auch das ein großer Unterschied. Zuvor sollten Unternehmen jeden Zulieferer in der Kette aktiv überprüfen. Jetzt nur noch den direkten Zulieferer.
Miriam Saage-Maaß, Juristin ECCHR: „Das heißt, in der Nähfabrik in Bangladesch oder auf der Baumwollplantage in Usbekistan oder in der Kobaltmine im Kongo. Überall dort, wo es besonders schlimm ist, diese Situation in der Regel mehrere Schritte entfernt sind von deutschen Unternehmen.“
Und der dritte und entscheidende Punkt: Die „zivilrechtliche Haftung”. Sie soll es Opfern von Menschenrechtsverletzungen ermöglichen, einfacher Schadenersatzforderungen vor deutschen Gerichten geltend zu machen. Worum es dabei geht, zeigt der Fall KiK.
Im September 2012 starben bei einem Brand in einer Textilfabrik in Pakistan fast 300 Menschen. Sie nähten hier vor allem für den deutschen Textildiscounter KiK. Hinterbliebene und Überlebende klagten in Deutschland auf Schadenersatz. KiK habe nicht auf die Einhaltung von Brandschutzvorgaben geachtet. Der Konzern wies das zurück. Die Klage wurde abgewiesen. Die Richter urteilten auf Basis des Rechts des Landes, wo der Schaden entstanden ist – in diesem Fall Pakistan. Genau das sollte durch das Lieferkettengesetz geändert werden. Und die Haftung auf Menschenrechtsverstöße oder Umweltschäden ausgedehnt werden.
Miriam Saage-Maaß, Juristin ECCHR: „Die reine Ausbeutung von Arbeitskraft oder die Verschmutzung von Wasser und die Verwehrung des Zugangs zu Nahrung sind in sich erst mal vom deutschen Zivilrecht derzeit nicht als schadensersatzpflichtige Rechtsverletzungen erfasst. Und darum wäre es aus unserer Sicht wichtig gewesen, dass da die Tatbestände erweitert werden und diesen Betroffenen eben auch damit Klagen in Deutschland erleichtert werden.“
Aber genau das soll nun nicht mehr geschehen, denn im aktuellen Gesetzesentwurf ist die zivilrechtliche Haftung komplett gestrichen. Weniger Unternehmen, weniger Zulieferer, keine zivilrechtliche Haftung. Ein verwässertes Gesetz? Nachfrage beim Bundeswirtschaftsminister.
Peter Altmeier (CDU), Bundeswirtschaftsminister: „Es war überhaupt gar nicht meine Absicht, irgendetwas zu verwässern, sondern es war meine Absicht, die Dinge so zu fokussieren, dass sie dem Menschenrechtsschutz zugutekommen.”
Zynisch sei das, sagt Armin Paasch von Misereor. Zwar sei es gut und wichtig, dass es überhaupt ein Gesetz gibt, aber …
Armin Paasch, Misereor: „Es ist besorgniserregend, dass die Wirtschaftslobby und der Wirtschaftsminister sich in zentralen Aspekten durchgesetzt haben. Die zivilrechtliche Haftung wurde gestrichen, die Umweltstandards sind nur marginal berücksichtigt. Die Anzahl der erfassten Unternehmen wurde mehr als halbiert und die Sorgfaltspflichten gegenüber den mittelbaren Zulieferern wurden deutlich abgeschwächt. Und das ist ein Skandal, dass Profite über die Menschenrechte gestellt werden.”
Doch selbst dieser Minimal-Kompromiss geht der Wirtschaftslobby zu weit. Der Wirtschaftsrat der CDU fordert, das
Zitat: „Lieferkettengesetz muss im Bundestag gestoppt werden”
und spricht von
Zitat: „linksideologischen Themen”.
Die weltweite Durchsetzung von Menschenrechten als linke Ideologie? Für die Menschen in den ärmsten Staaten dieser Welt sind das bittere Nachrichten. Für sie dürfte sich durch so ein Gesetz nur wenig ändern – wenn überhaupt.
Georg Restle: „Menschenrechte als linke Ideologie. Man fragt sich, wohin da einige mittlerweile abgedriftet sind in der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands.“
Kommentare zum Thema
Mit Kapitalismus, Lobbyissmus und immerwährendem Fortschritt lässt sich keine Menschenwürde vereinbaren, keine Gleichbehandlung und keine Gleichberechtigung.
Definition für demokratischer Sozialismus: Alle helfen mit und Alle essen sich satt. Was ist die Definition für Kapitalismus?
Ich entsinne mich noch gut an die vorwurfsvollen Blicke von sogenannten Bildungsbürgern - grenzenlos weltoffen bis bigott übertolerant, solange es zumindest nicht direkt an ihren Geldbeuteln spürbar wird - als eine Geringverdienerin offen bekannte, dass sie ihre Kleidung bei einem Billiganbieter kauft. Auf dieses snöd blasierte Getue reagierte sie in der Weise, dass sie auf die "traumhaften" Verdienstmöglichkeiten in Deutschland seit der Schöder/Fischer-Ära verwies und darauf, wer anschließend seit 16 langen Jahren nachhaltig tragend für deren Beibehaltung verantwortlich zeichnet. Richtiger wäre: 'verantwortlich zeichnen sollte' - aber sage man das mal einer Frau, die nur deppert grinst, wenn ihr ein Parteikollege Machtgeilheit vorwirft. Von nichts kommt nichts, und wir haben tatsächlich auch arme Menschen im Land; nicht wenige übrigens. Es gibt Reiche, die bedienen sich in den Tafelläden und niemand traut sich was zu sagen, weil 'es halt solche gibt' und man die nicht ändern könne.