MONITOR vom 17.03.2016

Dubioses Netzwerk: Die EnergieAgentur.NRW

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Bericht: Jochen Taßler, Lutz Polanz, Kai Schlieter

Dubioses Netzwerk: Die EnergieAgentur.NRW

Monitor 17.03.2016 08:37 Min. Verfügbar bis 17.03.2099 Das Erste

Georg Restle: „Politik ist ein undurchsichtiges Geschäft, wird oft gesagt, und manchmal ist das sogar wörtlich gemeint. Mit welchen Mitteln Lobbyisten ihre Interessen durchsetzen können, darüber haben wir bei Monitor schon oft berichtet. Der Fall, den wir Ihnen heute zeigen, ist aber ein ganz Besonderer. Er spielt mitten in Nordrhein-Westfalen und zeigt, wie private Unternehmen ganz nah an die Zentren der Macht heranrücken können; so nah, dass am Ende von außen niemand mehr weiß, wo hört eigentlich die Regierung auf und wo fängt das private Unternehmen an. Eine gemeinsame Recherche von Monitor und der Berliner Tageszeitung taz, präsentiert von Jochen Tassler, Lutz Polanz und Kai Schlieter.“

Nordrhein-Westfalen. Berühmt für seine Kohle. Jetzt will man „Zukunftsenergieland Nummer 1“ sein - und für die Energiewende stehen. Dafür investiert die Landesregierung viel, unterstützt Forschungsprojekte und Innovations-Netzwerke. Und setzt dabei vor allem auf eine Einrichtung: Die EnergieAgentur.NRW.

Johannes Remmel (B‘90/Grüne), Umweltminister Nordrhein-Westfalen: „Die EnergieAgentur ist das wichtigste Instrument für den Klimaschutz und die Energiewende in Nordrhein Westfalen.“

Die EnergieAgentur ist das Kompetenzzentrum des Landes für Forschung, Weiterbildung und Beratung rund ums Thema Energie. Die größte ihrer Art. Jahresbudget: 22 Millionen Euro. Nach außen hin sieht alles amtlich aus. Auf Messeständen tragen die Berater schicke NRW-Anstecker. Doch was kaum jemand weiß: Die EnergieAgentur ist eine private Firma. Und hinter der steckt ein undurchsichtiges Geflecht, an dem viele Firmen beteiligt sind. Ein Geflecht, das so tief in die Schaltzentralen der Landespolitik reicht, dass Experten Interessenskonflikte befürchten. Aber der Reihe nach. Die EnergieAgentur.NRW ist eine GmbH, die wiederum zwei weiteren GmbHs gehört. Eine heißt Energy Engineers. Die andere Agiplan, und die ist besonders interessant. Sie betreibt die Geschäfte über eine weitere Firma: die Prisma Consult. Nach außen wird dieses Geflecht nicht groß kommuniziert. Dabei bekommen einige wenige hier viel öffentliches Geld. Denn die EnergieAgentur finanziert sich über Fördergelder von EU und Land.

Christina Deckwirth, Lobbycontrol: „Die EnergieAgentur besitzt eine hohe Glaubwürdigkeit. Sie nimmt praktisch öffentliche Aufgaben wahr, behauptet von sich selbst, sie sei unabhängig. Und wenn dann da so eine Konstruktion dahintersteckt, ein Unternehmen, und das nicht sichtbar ist, das ist schon sehr problematisch.“

Auf die Firma Agiplan setzt das Land besonders. Sie betreibt die EnergieAgentur in verschiedenen Formen schon seit 25 Jahren. Die Agentur arbeitet eng mit den Ministerien zusammen. Mitarbeiter bearbeiten sogar parlamentarische Anfragen, bereiten offizielle Termine und Reden vor. Der Draht in die Ministerien ist gut. Auch auf einem weiteren Geschäftsfeld der Agiplan. Es geht um ein großes EU-Förderprogramm, milliardenschwer. Bis 2015 betrieb die Agiplan das so genannte EFRE-Sekretariat, angesiedelt direkt im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium. Es war für die Steuerung eben dieses EU-Förderprogramms zuständig, arbeitete dem Ministerium zu. Für eine private Firma eine hochinteressante Position, sagen Experten.

Prof. Hans Peter Schwintowski, Wirtschaftsrechtler Humboldt-Universität Berlin: „Eine EFRE-Stelle hat ja direkten Zugriff auf die politischen Entscheidungsträger, bekommt dort alle Informationen. Hat umgekehrt entscheidenden und frühesten Zugriff auf alle Informationen aus Brüssel, so dass sie praktisch die bestinformierteste und frühstinformierte Stelle ist, die es überhaupt für Fördermittel dieser Art geben kann.“

Projektleiterin des EFRE-Sekretariats war Claudia Schulte. Sie und ihr Team hatten unter anderem die Aufgabe, Antragsteller und zwischengeschaltete Stellen in Sachen EU-Förderfähigkeit zu beraten. Gleichzeitig ist Schulte aber auch in der Geschäftsleitung der Agiplan, dort sogar Anteilseignerin. Und die Agiplan hat selbst von genau diesem Förderprogramm profitiert. Mehrfach sogar, das zeigen diese Aufstellungen. Zum einen über ihre Beteiligung an der EnergieAgentur. Zwischen 2007 und 2013 hat allein die knapp 85 Millionen Euro an Fördergeldern erhalten. Darüber hinaus flossen weitere Millionen direkt an Agiplan, für andere Projekte. Konnte sich die Agiplan über das EFRE-Sekretariat sogar selbst Fördergelder beschaffen? Agiplan und das Ministerium streiten das ab. Agiplan habe nur beraten, könne grundsätzlich keine Projekte selbst bewilligen. Und wo die Agiplan selbst als Antragstellerin in Frage gekommen sei, habe man

Zitat: „(…) ohne Zuarbeit des EFRE-Sekretariats (…)“

agiert. Experten halten die Konstruktion dennoch für inakzeptabel. Allein schon wegen der Nähe von Claudia Schulte zu den Entscheidern im Ministerium.

Prof. Johannes Hellermann, Verwaltungsrechtler Universität Bielefeld: „Die Gefahr, dass eine solche Person, die ja für die finanzielle und inhaltliche Vorbereitung der Vergabe von öffentlichen Fördermi9eln zuständig ist. Die Gefahr, dass in diese Entscheidungen zugleich auch private Interessen mit einfließen, dagegen ist keine Vorkehrung betroffen. Das finde ich ausgesprochen unbefriedigend.“

Und auch hier war die Konstruktion nach außen kaum sichtbar. Im Gegenteil. Das EFRE-Sekretariat hatte nicht nur Büros im Wirtschaftsministerium, es nutzte auch die offizielle E-Mail-Signatur und brauchte nicht einmal eigenes Briefpapier. Landtagsabgeordnete, die die Arbeit des Sekretariats eigentlich prüfen sollten, fühlen sich getäuscht. Selbst sie wussten nicht, wer eigentlich dahintersteckt.

Nicolaus Kern (Piratenpartei), Landtagsabgeordneter NRW: „Für mich als Mitglied im Begleitausschuss war absolut nicht klar, dass es sich hier eventuell um einen Externen handelt.

Reporter: „Das heißt, Sie hatten welchen Eindruck unterm Strich?“

Nicolaus Kern (Piratenpartei), Landtagsabgeordneter NRW: „Dass es sich um einen Teil der Landesregierung hier handelt.“

Und es gibt noch mehr fragwürdige Verbindungen hinter der Agiplan. Über mehrere Ecken landet man bei der Industrie. Ein Viertel der Anteile an Agiplan hält nämlich die TRM Beteiligungsgesellschaft. Ein unscheinbarer Name. Und an der sind weitere Gesellschaften beteiligt, mit genauso unscheinbaren Namen. Interessant aber: Die Abkürzungen stehen für die Namen ihrer Eigentümer: Thomas Albrecht Knauf, Robert Matthias Knauf, Martin Bernhard Knauf. Und auch der vierte Gesellschafter ist ein Knauf. Sie alle gehören zur milliardenschweren Unternehmerfamilie Knauf. Und der wiederum gehört der Baustoffkonzern Knauf. Nach eigenen Angaben auch einer der größten Dämmstoffhersteller der Welt.

Christina Deckwirth, Lobbycontrol: „Die EnergieAgentur berät ja, wie man Energie spart. Dazu gehört natürlich auch Gebäudedämmung. Wenn dann das Unternehmen Knauf diese Dämmstoffe herstellt, die da vielleicht auch eingesetzt werden, haben wir einen Interessenskonflikt vorliegen. Das heißt, hier besteht der Verdacht, dass sich ein Unternehmen praktisch einen privilegierten Zugang erkauft und über diese Art Lobbyismus machen kann.“

Interviews wollen die Beteiligten nicht geben. Schriftlich betonen sie unisono, dass die Beteiligung der Knaufs in keinerlei Hinsicht Einfluss auf die Arbeit der EnergieAgentur habe. Aber warum sind sie beteiligt? Warum lässt das Land das überhaupt zu? Das zuständige Ministerium beruft sich auf vertragliche Vereinbarungen mit der Energieagentur. Darin sei festgelegt, dass …

Zitat: „… Interessen Dritter (…) bei der Leistungserbringung keine Rolle spielen dürfen.“

Abgefragt würden Eigentümerstrukturen bei Ausschreibungen aber nicht. Schön, wenn man Vertrauen hat, dass im Zukunftsenergieland Nr. 1 alles sauber zugeht …

Georg Restle: „Vertrauen ist gut!“

Stand: 18.03.2016, 13:54 Uhr

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4 Kommentare

  • 4 anonym 22.04.2016, 14:14 Uhr

    Ich frage mich, warum sich niemand bei Ausschreibungen dafür interessiert, mit welchen Arbeitsverträgen die Dienstleister arbeiten. Ist es nicht zu einfach, wenn das Land behauptet, die Arbeitsverträge eines Dienstleisters seien ihnen nicht bekannt (heißt: interessierten sie auch nicht)? Fakt ist, dass diese Arbeitsverträge über Jahrzehnte an die Bedürfnisse des Landes angepasst wurden. Arbeitsrecht ist anscheinend nicht so wichtig wie Klimaschutz. Dass die Landesregierung auf der anderen Seite auf Unternehmen schimpft, die befristete Arbeitsverträge vergeben, könnte man glatt als heuchlerisch bezeichnen.

  • 3 genomics 18.03.2016, 16:23 Uhr

    Da frag ich mich als ehrlicher Steuerzahler, ob ich immer der letzte Depp in diesem korrupten System sein muss. Das Vertrauen in die Politik ist schon lange verloren gegangen.

  • 2 Gerde 18.03.2016, 06:15 Uhr

    Sehr eigenartig, daß ausgerechnet die taz dazu recherchiert. Diese erhält ja gerade vom Land Berlin ein Grundstück in der noblen Friedrichstraße zum Vozugspreis, um nicht zu sagen halb geschenkt. Das macht den Bericht zwar nicht schlechter, ist aber auch wichtig wenn es um die Verquickung von Staat und privat geht.

  • 1 Anonym 17.03.2016, 22:17 Uhr

    ... und wann ermittelt hier mal die Staatsanwaltschaft? Nur mal so nachgefragt.