MONITOR vom 14.07.2016

Deutschlands Reichtum - Europas Misere

Bericht: Stephan Stuchlik, Peter Onneken

Deutschlands Reichtum - Europas Misere Monitor 14.07.2016 07:17 Min. Verfügbar bis 14.07.2099 Das Erste

Georg Restle: „Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage für die deutsche Gesellschaft. Es ist eine Frage für ganz Europa. Und damit kommen wir zum großen Thema dieser Wochen, dem Brexit. Erstaunlich, wie einig sich viele Politiker plötzlich sind, woran es in Europa mangelt. An Solidarität nämlich. Sagt auch die deutsche Bundesregierung und zeigt dann mit dem Finger gern auf Griechenland, Spanien oder Osteuropa. Was sie dabei nicht sagt: Europas Krise hat auch eine ganze Menge mit der mangelnden Solidarität der Deutschen zu tun. Vor allem damit, dass wir so gern Europameister sind. Und dabei reden wir mal nicht vom Fußball, sondern von den deutschen Exporten. Was die mit Europas Krise zu tun haben, zeigen Ihnen jetzt Stephan Stuchlik und Peter Onneken.“

Málaga, Costa del Sol - dort wo viele Deutsche Urlaub machen. Als Ferienziel ist Spanien die Nummer eins, aber die Wirtschaftskrise sollte das Land doch bitte ohne deutsche Hilfe in den Griff

kriegen.

Mann: „Nicht so viel auf die EU vertrauen, auf Hilfe aus dem Ausland, so wie es in Griechenland war, sondern sehen, dass man das irgendwo hier auch selber, also aus eigener Kraft schafft.“

2. Mann: „Und immer die Deutschen: Wir geben, wir geben. Und was bleibt für uns dann?“

Frau: „Mit dem Urlaubern und so … unterstützen wir eigentlich schon genug, ne?“

Ein paar Minuten von hier entfernt spielen sich derweil Dramen ab. Das Arbeitsamt von Málaga Mitte, die Schlange reicht bis weit auf die Straße, das ist Alltag hier, genauso wie die gereizte Stimmung. Und: Es stehen viele Junge an, etwa jeder Zweite unter 30 ist hier arbeitslos.

Yuly Jiménez (Übersetzung Monitor): „Ich habe Abitur, habe Pädagogik fertig studiert, das hat nichts genutzt, jetzt studiere ich Innenarchitektur.“

Reporter (Übersetzung Monitor): „Hast du mal in deinem erlernten Beruf gearbeitet?“

Yuly Jiménez (Übersetzung Monitor): „Ne, habe ich nicht. Ich habe bei Nokia Handys repariert, war bei Orange im Callcenter und habe dann Büroarbeit gemacht. Nix, für das ich ne Ausbildung hatte.“

Mohsin Oushati (Übersetzung Monitor): „Und da sagen die Leute, mach Informatik, da hast du gute Chancen, und was passiert? Ich kriege nix, ich habe Kommilitonen, die haben noch mehr Titel als ich und finden auch nix. Das heißt: es ist egal, ob du einen Abschluss in Informatik hast oder nur einfach irgendetwas.“

Spanien kommt nicht aus der Krise, die Wirtschaft ist am Boden, die Arbeitslosigkeit beträgt 20,4 Prozent, die Gesamtschulden 1,1 Billionen Euro, und das Haushaltsdefizit 5,1 Prozent. Wegen dieser Zahl droht Brüssel jetzt mit Strafzahlungen. Und auch die deutsche Regierung will eine harte Hand.

Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister: „Es geht einfach darum, dass wir das, was wir uns an Regeln gegeben haben, einhalten. Und das Bemerkenswerte ist ja: Die, die die Regeln einhalten, haben ja eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit.“

Stimmt: Deutschland steht glänzend da. In Frankfurt Cargo City werden allein in dieser Halle 10.000 Tonnen Waren monatlich umgeschlagen, das meiste davon geht ins Ausland.

Daniel Griess, Panalpina Welttransport: „Unsere Halle ist drei Viertel zu ein Viertel aufgeteilt in Export und Import. Das heißt drei Viertel ist für Export und ein Viertel der Halle wird für den Import benutzt.“

Aber was hat Deutschlands Export-Boom mit Spaniens Krise zu tun? Eine Antwort geben diese

Zahlen: Im letzten Jahr kaufte Deutschland aus Spanien Güter im Wert von 26,5 Milliarden Euro, im Wert von 38,8 Milliarden flossen Güter zurück, 12,3 Milliarden Exportüberschuss. Vereinfacht heißt das: Dieser Überschuss verstärkt Spaniens Verschuldung.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: „Eine Wirtschaft sollte balanciert sich entwickeln. Das heißt, es ist ein Austausch von Gütern. Man kauft und verkauft. Und das alles sollte über die Zeit gesehen immer im Gleichgewicht sein. Wenn einer nur verkauft, aber nicht kauft, häuft sich eben an einer Stelle zwar Vermögen an. Das mag der eine gut finden. Und wo sich Vermögen anhäuft, häufen sich auf der anderen Seite auch Schulden an. Und das ist auf Dauer eben schlecht. Dann passt beides nicht mehr zusammen, die Wirtschaft hat eine Unwucht und wir haben eine Krise.“

In Brüssel hat man das Problem erkannt: So ein Ungleichgewicht darf es eigentlich nicht geben. Alle EU-Länder beschlossen 2010, nicht nur übermäßige Staatsverschuldung, sondern auch aus den Fugen geratene Handelsgleichgewichte zu bestrafen, in der „Verordnung zur Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte“. Sven Giegold bekam als Vertreter des Parlaments genau mit, wie Deutschland schon bei der Verordnung bremsen wollte.

Sven Giegold, Bündnis90/Die Grünen, EU-Abgeordneter: „Zuerst war vorgesehen, dass die Europäische Kommission sich Länder anschaut, die entweder vier Prozent am Bruttoinlandsprodukt Exportüberschüsse haben oder vier Prozent am Bruttoinlandsprodukt an Defiziten. Da hat Deutschland so lange Druck gemacht, bis dieser Wert so verschoben wurde, dass man bei den Überschussländern erst bei sechs Prozent eingreift und bei den Defizitländern schon bei vier Prozent.“

Deutschland aber hielt sich noch nicht einmal an diese Sechs-Prozent-Grenze, der Leistungsbilanzsaldo wuchs auf zuletzt 7,5 Prozent. Ein jahrelanger Verstoß gegen die Regeln, doch anders als Spanien wurde Deutschland nie bestraft.

Sven Giegold, Bündnis90/Die Grünen: „Die deutsche Bundesregierung misst mit zweierlei Maß. Sie will Länder, die sich übermäßig verschulden, hart bestrafen, ruft nach einem Sparkommissar und harter Durchsetzung der Regeln. Und wenn es um unsere Ungleichgewichte in der Wirtschaftspolitik geht in Deutschland, dann möchte man von Europa so wenig wie möglich wissen.“

An dieser Stelle bleibt Deutschland hart: Die Regierung setzt weiter auf Export, attackiert seit Jahren europäische Regeln, die man selbst mitbeschlossen hat. Runter vom Exportüberschuss? Auf keinen Fall, sagt die Regierung.

Wolfgang Schäuble (CDU), Bundesfinanzminister (24.06.2016): „Die anderen profitieren von unserer wirtschaftlichen Stärke. Deswegen wäre das Dümmste, was wir machen könnten, im Interesse europäischer Solidarität, wenn wir Deutschland schwächen würden.“

Dabei geht es gar nicht um Schwächung oder darum, Exporte zu reduzieren oder zu verbieten. Deutschland könnte zum Beispiel im eigenen Land mehr investieren. Davon würde sogar die deutsche Wirtschaft profitieren - aber eben auch andere Länder.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: „Wir bräuchten dringend in Deutschland höhere Infrastrukturinvestitionen. Diese Investitionen würden auch eine verstärkte Importnachfrage nach sich ziehen und das würde den anderen Ländern auch helfen. Das würde uns nützen, wir würden unsere Infrastruktur modernisieren und es würde ganz Europa nutzen, weil viele Länder dann mehr exportieren könnten nach Deutschland, als sie es derzeit tun.“

Periana im Hinterland von Málaga, 1.000 Einwohner. Wenn in Europa etwas geschehen sollte, müsste es schnell gehen. Hier sind nur die Alten geblieben, das Land blutet aus, die Jungen sind bereits fort.

Mann (Übersetzung Monitor): „Unsere Kinder sind alle in Deutschland, der Schweiz oder England, die sind jetzt überall in der Welt.“

Und im Gegensatz zu früher, so fürchten sie hier, sind die Jungen für immer weg. Das Land verliert seine Zukunft.

2. Mann (Übersetzung Monitor): „Das ist doch die Frage: Wenn die Jungen weiter so wegziehen, dann werde ich in 20 Jahren sagen: Das war es dann mit Spanien, tschüss, mein Land.“

Georg Restle: „Wenn Sie in den Urlaub nach Spanien, Portugal oder Griechenland reisen, sprechen Sie doch mal mit den Leuten vor Ort. Hilft vielleicht gegen Vorurteile.“

Kommentare zum Thema

  • History_Repeating 18.07.2016, 10:17 Uhr

    Solche Berichte sollten die deutschen Medien mindestens täglich bringen und diskutieren! Vielen Dank dafür. Dennoch müsste noch weitaus schärfer und pointierter danach gefragt werden, warum gerade Deutschland sich nicht an die Regeln hält und nicht bestraft wird. Für Deutschland und ganz Europa wäre die simple Lösung: steigende Löhne in Deutschland um mind. 5-8% jährlich! Was sich surreal anhört, ist bei genauer Betrachtung nur logisch. Denn wenn sich gerade die unteren Gehaltsgruppen in Deutschland wieder mehr leisten können, werden sie das tun. Dadurch wird die Binnenwirtschaft angekurbelt und (gerade auch) die Unternehmen würde profitieren, welche keine höheren Löhne bezahlen wollen! Es ist schlimm dass gerade Deutschland nicht aus der Geschichte lernt. Einen ähnlichen Wirtschaftsunfall gab es bereits 1929-31 - dieser führte zu Krieg und Tod!

  • Illoinen 16.07.2016, 07:39 Uhr

    Eine gemeinsame Währung, welche vom Bevölkerungsreichsten Land dazu genutzt wurde und wird, alles im Euroraum nieder zu konkurrieren, führt eben zu solchen Auswirkungen. Hätten sich alle nach der Euroeinführung, daran gehalten, was vereinbart war, nämlich das jedes Land seine Löhne an den Produktivitätssteigerungen und Inflationsausgleich anpassen, wäre es nicht zu diesen Problemen gekommen. Alle hatten und haben sich in Europa daran gehalten, nur Deutschland machte nach Euroeinführung genau das Gegenteil, und führte, wie es in Davos stolz verkündete, den größten Niedriglohnsektor in Europa ein. Mit den heutigen Folgen, aber nach Lesart des Mainstreams sind natürlich wieder andere daran Schuld. Deutschland müsste eigentlich doch noch aus eigner Erfahrung wissen, was Austerität im eigenen Land unter Brüning bedeutet hat, und wer danach kam? Wäre Deutschland nach dem Zusammenbruch von den Alliierten genau so behandelt worden, wie heute der Süden Europas, wäre Deutschla ...

  • Günter Gabert 15.07.2016, 15:53 Uhr

    Herr Baumann hat natürlich Recht, beschreibt aber nur die Hälfte der Wahrheit. Wenn deutsche Unternehmen dank des fehlenden Wechselkurses im Euroraum problemlos exportieren können und damit Deutschland dauerhaft(!) Exportüberschüsse anläuft, müssen aus Deutschland gleichzeitig Kredite zur Finanzierung dieser Waren an die Abnehmerländer vergeben werden. Genau dies ist ja erfolgt. Da ein Ende dieser Exportüberschüsse nicht absehbar ist, führt dies in den Abnehmerländern (Griechenland, Spanien usw.) zu einer immer stärkeren Verschuldung. Dass dies kein langfristig tragfähiger Zustand ist, sieht man an Griechenland. Letztlich entsteht dann zwangsläufig das Problem, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden können. Den Banken als Kreditgeber ist es bislang gelungen, die drohenden Verluste auf den Steuerzahler in Form von Staatsgarantien für die notleidend gewordenen Kredite und Minizinsen für die Sparer abzuwälzen.