Bericht: Jochen Taßler, Lutz Polanz, Moritz Seidel
Georg Restle: „Eigentlich soll mit der Festlegung sicherer Herkunftsländer ja vor allem ein Ziel erreicht werden, die Dauer von Asylverfahren zu beschleunigen. Dumm nur, dass die Länge der Verfahren oft ganz andere Ursachen hat. Und für einige können die Flüchtlinge am allerwenigsten. Selbst diejenigen, die freiwillig ausreisen wollen, können das nämlich oft nicht, weil ihre Pässe irgendwo im deutschen Behördendschungel einfach verloren gegangen sind. Erst dachten wir, es handelt sich hier nur um ein paar Einzelfälle, bis wir dann mal genauer recherchiert haben. Lutz Polanz, Jochen Tassler und Moritz Seidel mit einer schier unglaublichen Geschichte.“
Leutkirch im Allgäu. Die Heimat von Familie Hazati - für den Moment. Marinela, Hamza und ihr Sohn Ilion kommen aus Albanien. Sie haben ihre Heimat verlassen, weil sie in Deutschland arbeiten wollten. Er ist Betonbauer, sie Krankenschwester. Eigentlich gefällt es ihnen hier. Sie haben Freunde gefunden, mit denen sie sich treffen, die sich ehrenamtlich kümmern. Aber es ist Glück auf Zeit. Als Albaner haben sie kaum eine Chance auf Asyl. Deshalb haben sie zugestimmt, wieder in die Heimat zurückzukehren. Dafür bräuchten sie allerdings ihre Pässe. Und die mussten sie bei ihrer Registrierung in Deutschland abgeben. In die Obhut der effizienten Verwaltung, dachten sie. Aber seitdem sind die Pässe verschollen. Nachfragen im Amt - vergeblich.
Marinela Hazati (Übersetzung Monitor): „Im Amt haben gesagt, dass sie nicht wissen, wo die Pässe sind. Sie sind verschwunden. Wir finden sie nicht. Wir haben gefragt, wie kann das sein? Wer ist dafür verantwortlich? Aber sie haben nur gesagt, wir wissen es nicht. Wenn wir sie finden, sagen wir Ihnen Bescheid.“
Seit über vier Monaten seien die Pässe nun unauffindbar, sagen sie.
Marinela Hazati (Übersetzung Monitor): „Ich bin sehr schockiert. Ich bin hierhin nach Deutschland gekommen, weil ich dachte, dass es hier gut ist, dass die Behörden gut sind. Aber das, das ist alles andere als gut.“
Ein ärgerlicher Einzelfall? Oder steckt mehr dahinter? In der Rückkehrberatung der Kölner Diakonie werden Flüchtlinge beraten, die wie die Hazatis freiwillig ausreisen wollen. Annegret Spitz arbeitet hier als Beraterin. Zu ihrem Job gehört es auch, die nötigen Unterlagen zu besorgen - Pässe etwa. Aber das ist oft sehr schwer, sagt sie.
Annegret Spitz, Diakonie Köln: „Wir hatten hier zeitweise 100 Personen, die darauf warteten, ausreisen zu können. Und die Wartezeiten waren so zwischen zwei Wochen - das schnellste - und bis zu sechs Monaten bzw. einige Pässe wurden auch ganz verloren.“
Es fällt schwer, das zu glauben. Die Politik überbietet sich mit Vorschlägen, wie man Flüchtlinge mit geringen Bleibechancen so schnell wie möglich nach Hause schicken kann. Und wenn sie freiwillig gehen wollen, scheitert es ausgerechnet an der deutschen Bürokratie? Weil die ihre Pässe verschlampt? Wie kann das passieren? Der Weg eines Flüchtlings kann kompliziert sein. Oft wird er bei der Einreise von der Bundespolizei erfasst, es kann aber auch die Landespolizei sein. Die Erstaufnahmeeinrichtung ist oft nicht zuständig, deshalb geht es weiter in eine zweite Erstaufnahmeeinrichtung. Weil die Länder Flüchtlinge oft schnell loswerden wollen, geht es weiter in eine kommunale Notunterkunft. Und das alles, bevor überhaupt der offizielle Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - kurz BAMF - gestellt wird. Später werden die Flüchtlinge dann in den Kommunen untergebracht, weitere Umzüge können folgen. Ihren Pass dürfen Flüchtlinge auf dieser Odyssee nicht mitnehmen. Den müssen sie ja am Anfang abgeben. Ab dann reist er ihnen quasi nach. Auf dem Behördenweg, wenn es denn funktioniert. Wir treffen einen Insider. Er arbeitet in einer deutschen Erstaufnahmeeinrichtung. Weil er keinen Ärger bekommen will, spricht er nur verdeckt mit uns. Er sagt, das Problem mit den Pässen gehe gleich am Anfang los, bei der Verteilung der Flüchtlinge.
Insider: „Es entsteht ein Stau, weil Flüchtlinge schneller verteilt werden als die Aktenbearbeitung stattfinden kann. Und auf diesem Wege scheinen Pässe verloren zu gehen.“
Kollegen hätten ihm von ganzen Kisten herrenloser Pässe erzählt, die keinem Flüchtling mehr zugeordnet werden konnten. Er selbst habe ähnliches erlebt.
Insider: „Da kommt Post, da sind dann einfach fünf arabische Pässe drin. Die sind dann einfach da und können keinem Geflüchteten zugeordnet werden. Also wird man das Ganze archivieren müssen. Es kommt in die Ablage - und verbleibt dort.“
Das BAMF ist für die Aufbewahrung von Pässen im Lauf des Asylverfahrens zuständig. Zahlen, wie oft Pässe verloren gehen, will es nicht nennen. Es bestätigt aber:
Zitat: "Überschneiden sich Anfragen und Übersendungen von Pässen, kann es zu Verzögerungen kommen. Es werden jedoch alle zur Verfügung stehenden Mittel (...) genutzt und Pässe in der Regel ausfindig gemacht und umgehend versendet.“
Wir starten eine Umfrage unter den größten deutschen Kommunen. Denn die Städte und Gemeinden stehen am Ende der Kette. Wenn es Probleme mit verschollenen Pässen gibt, müsste es vor allem hier auffallen. Von hundert befragten Kommunen antworten 61. 74 Prozent davon berichten, dass sie das Problem vorübergehend oder dauerhaft verschwundener Pässe kennen, viele sprechen von regelmäßigen oder häufigen Schwierigkeiten. Meist tauchten die Pässe irgendwann wieder auf, aber erst nach langer Verzögerung. Vor allem beklagen die Kommunen ein Wirrwarr bei den Zuständigkeiten. Aus Krefeld zum Beispiel hören wir, es könne oft nicht nachvollzogen werden, …
Zitat: „wer wann den Pass weitergeleitet hat und wo er sich aktuell befindet“.
Magdeburg schreibt, es komme zunehmend häufiger vor, dass Dokumenten
Zitat: „… durch die Ausländerbehörden aufwendig nachgeforscht werden muss.“
Unklare Zuständigkeiten kennt man auch in Chemnitz. Deshalb habe man teilweise …
Zitat: „Mitarbeiter persönlich zu diesen Behörden geschickt, um nach den Unterlagen zu suchen“.
Die Dunkelziffer ist hoch. In vielen Fällen dürfte das Fehlen von Dokumenten noch gar nicht aufgefallen sein. Kenner des Systems glauben nicht, dass das Problem mit den Ergebnissen unserer Umfrage vollständig erfasst ist. Karin Asboe ist bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe zuständig für die Flüchtlingsberatung in Nordrhein-Westfalen. Für sie handelt es sich um ein flächendeckendes Problem.
Karin Asboe, Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe: „Ich denke, dass jede Ausländerbehörde in jeder Kommune, jeder Außenstelle des Bundesamtes und jede zentrale Ausländerbehörde um dieses Problem weiß.“
Familie Hazati hofft nun, dass ihre Pässe irgendwann doch noch auftauchen. Damit sie endlich wissen, wie es mit ihnen weitergeht.
Georg Restle: „Vor kurzem hat die Bundesregierung einige Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, um das Chaos in den Griff zu bekommen. Dass dadurch auch verschwundene Pässe wieder auftauchen, das darf allerdings zu Recht bezweifelt werden.“
Kommentare zum Thema
Zu Chris M. 08.02.16 "... verschwindend geringer Anteil." Wie können wir beklagen, dass Flüchtlinge ohne Pässe Asyl beantragen, wenn wir in Deutschland selbst nicht in der Lage sind, abgegebene Pässe ordentlich zu verwalten? Ich finde, das ist ein Armutszeugnis. Das Flüchtlinge ihre Pässe verlieren oder im Wirrwarr der Ereignisse nicht mehr mitnehmen konnten, kann ich eher nachvollziehen.
Ja, ich habe davon gehört, dass schon mal der eine oder andere Pass verloren gegangen ist. Im Vergleich zur Zahl der von Zuwanderern vernichteten oder vorenthaltenen Pässe, ist es aber ein verschwindend geringer Anteil.
Wie viele Asylanten kommen denn ohne Pässe in Deutschland an ?! Wie hoch ist die Prozentzahl zu den verschwundenen in unseren Behörden ? Natürlich sollte so was nicht passieren, aber wer hat unfehlbar ist , werfe den ersten Stein . Die Andere Frage für mich ist : was ist wenn der Neue Flüchtlingsausweis wieder verloren ist . Gibt es da einen Neuen ?!