MONITOR vom 19.09.2019

„Selbstverharmlosung“: Die Medienstrategie der AfD

Bericht: Julia Regis, Jan Schmitt

"Selbstverharmlosung": Die Medienstrategie der AfD Monitor 19.09.2019 08:40 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Jan Schmitt

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Georg Restle: „Bürgerlich, konservativ, Partei der Mitte. So präsentiert sich die AfD-Spitze gerade vor jedem Mikrofon, das ihr hingehalten wird. Und das ausgerechnet nach den Wahlerfolgen des rechtsextremen „Flügels“ in Sachsen und Brandenburg.  Plötzlich gibt sich sogar der Frontmann des „Flügels“ Björn Höcke als bürgerlicher Demokrat. Camouflage nennt man so etwas oder schlicht Täuschungsmanöver, und dafür hat dieser Mann der AfD die Vorlage gegeben: Götz Kubitschek, einer der wohl einflussreichsten Vordenker der AfD und der gesamten rechten Szene in Deutschland. „Selbstverharmlosung“ heißt seine Strategie tatsächlich, mit der man bürgerliche Wähler für die AfD gewinnen will, indem man seine wahren Ziele ganz gezielt verschleiert. Jan Schmitt und Julia Regis.“

Gestern Abend Björn Höcke beim Wahlkampfauftakt in Thüringen. Zu hören: Der neue, gemäßigte Sound der AfD.

Björn Höcke: „Kommt jetzt zur AfD, der einzig authentisch, bürgerlich konservativen Volkspartei in Deutschland. Ihr seid herzlich eingeladen!“

Bürgerlich, konservativ, so präsentiert sich die AfD gerade auf allen Kanälen.

Alexander Gauland: „Wir sind die bürgerliche Oppositionspartei.“

Jörg Meuthen: „Wir sind eine bürgerlich-konservative Partei.“

Alexander Gauland: „Das hat mit rechtsradikal überhaupt nichts zu tun.“

In Brandenburg hat Andreas Kalbitz gerade fast ein Viertel aller Stimmen geholt. Wie auch in Sachsen triumphiert damit ein Vertreter des rechtsextremen Flügels der AfD. Und er soll nun bürgerlich sein? Ausgerechnet Andreas Kalbitz, der viele Jahre seines Lebens in der Neonazi-Szene verbracht hat.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Es wird gesagt, die AfD sei eine bürgerliche Partei, um sich einerseits koalitionsfähig zu machen und zum anderen auch, um neue Wählerinnen-Milieus zu erschließen, denn das rechtsradikale Milieu ist mit bundesweit etwa 14 Prozent ausgereizt.“

Vom rechtsradikalen ins bürgerliche Milieu. Dafür will die AfD offenbar über ihre eigentlichen Ziele hinwegtäuschen. Die Strategie dahinter: „Selbstverharmlosung“. Und die hat er sich ausgedacht – Götz Kubitschek. Er schreibt:

Zitat: „Selbstverharmlosung (…) ist der Versuch, die Vorwürfe des Gegners durch die Zur-Schau-Stellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren.“

Götz Kubitschek ist seit mehreren Jahrzehnten ein zentraler Vordenker für die extrem rechte Szene. Er nimmt Neonazis unter seine Fittiche und lädt auf seinem Gehöft in Schnellroda auch immer wieder Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung mit rechter Ideologie auf. Und auch die AfD hat Kubitschek zu seinem Projekt erklärt. Björn Höcke ist einer seiner engsten Vertrauten und er wirbt offen für Kubitschek auf dessen YouTube-Kanal.

Björn Höcke: „Ihnen ist ja bekannt, dass ich recht engen Kontakt auch zu Götz Kubitschek habe und ich immer mal wieder geistiges Manna aus der Lektüre von Werken ziehe, die hier in Schnellroda entstehen.“

Die ganze AfD-Spitze versammelt sich bei Kubitschek. Die Parteichefs Gauland und Meuthen traten hier auf und dieses Wochenende soll Alice Weidel kommen. Kubitschek, der Spiritus Rector. Er glaubt, es läge auch an einer „emotionalen Barriere“, wenn Menschen bisher nicht die AfD wählen. Und die soll überwunden werden. Sein Mittel dazu, die AfD soll eine „Unterschiedslosigkeit“ suggerieren. Also so harmlos erscheinen wie eine ganz normale Partei. Die Strategie der „Selbstverharmlosung“. Die AfD gibt sie eins zu eins an ihre Anhänger weiter. Parteichef Gauland am letzten Wahlabend.

Alexander Gauland (1. September 2019): „Ich bitte alle, sich im Siegestaumel trotz allem ganz vernünftig zu benehmen, so wie es eine bürgerliche Partei tut.“

Johannes Hillje, Politik- und Kommunikationsberater: „Die AfD wendet die Selbstverharmlosungsstrategie an, indem sie sich immer wieder eine Maske der Mäßigung aufsetzt mit Begriffen wie „bürgerlich“, „konservativ“ oder „Partei der rechten Mitte“. Die AfD ist nicht bürgerlich, sie ist auch nicht konservativ, aber sie macht sich diese Begriffe zu eigen, um als gemäßigter dazustehen in der Öffentlichkeit, als sie wirklich ist.“

Die Täuschung der Öffentlichkeit als Strategie. Zum Beispiel, wenn es um Veranstaltungen des rechtsextremen Flügels um Björn Höcke geht. Da wird schon mal das Deutschlandlied in allen drei Strophen gesungen. Darauf im ZDF-Sommerinterview angesprochen, sagt AfD-Bundesvorsitzender Jörg Meuthen:

Jörg Meuthen: „Das sind Vorgänge, die sollten wir nicht haben und die haben wir in der AfD auch nicht, das war eine Flügelveranstaltung und der Flügel ist nicht…

Reporter: „Ist nicht Teil der AfD?“

Jörg Meuthen: „Ist nicht Teil der AfD.“

Vor den eigenen Anhängern hört sich das allerdings ganz anders an:

Jörg Meuthen, Kyffhäusertreffen 2017: „Der Flügel ist ein integraler Bestandteil unserer Partei, und das wird er auch in Zukunft immer bleiben.“

Oder Alexander Gauland im ARD-Sommerinterview. Hier distanziert er sich von der Ideologie des sogenannten „Bevölkerungsaustauschs“, die Rechtsextreme weltweit vereint.

Tina Hassel: „Das ist auch so bei Herrn Höcke, ‚bevorstehender Volkstod durch Bevölkerungsaustausch‘, was sagen Sie dazu?“

Alexander Gauland: „Man müsste den Zusammenhang herstellen. Den habe ich jetzt nicht. Insofern, nicht alles, was Herr Höcke sagt, ist immer auch meine Meinung.“

Nicht seine Meinung? Auf einem Flügeltreffen 2018 sagt Gauland selbst:

Alexander Gauland, Kyffhäusertreffen 2018:  „Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können.“

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Die Strategie der Selbstverharmlosung geht in Teilen auf. Immer wieder reagieren Journalisten, Moderatoren sehr naiv im Umgang mit der AfD.“

Johannes Hillje, Politik- und Kommunikationsberater: „Das führt immer wieder dazu, dass wir gerade in Situationen, wo Journalisten auch schlecht vorbereitet sind auf Gespräche, auf Interviews mit Vertretern der Partei, sie das Heft des Handelns im Grunde verlieren, die Souveränität über das Gespräch verlieren.“

Und nicht nur das. Es gelingt der Partei, sich selbst so harmlos erscheinen zu lassen, dass auch Journalisten mitunter über ihren wahren Kern hinwegsehen. Aus der „Selbstverharmlosung“ wird die „Verharmlosung“ der AfD. Etwa als eine Journalistin die AfD am Wahlabend selbst für bürgerlich erklärt.

Wiebke Binder: „Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche wäre ja theoretisch mit der AfD möglich. Ist das immer noch ausgeschlossen?“

Wanderwitz: „Eine Koalition mit der AfD wäre keine bürgerliche Koalition. Wir haben von vornherein gesagt, dass wir mit den Rändern nicht koalieren, nicht zusammenarbeiten und dabei wird’s bleiben.“

Der MDR entschuldigt sich später und sagt, es habe sich um einen Versprecher gehandelt.

In einem ZDF-Interview wird Andreas Kalbitz Neonazi-Vergangenheit bagatellisiert.

Interviewerin: „Beschäftigen wir uns kurz mit Ihrer politischen Vita. Sie waren als junger Mensch in der CSU, waren dann bei den als rechtsextrem eingestuften Republikanern, haben mal in die rechte Szene reingeschaut.“

Nur mal reingeschaut?

Johannes Hillje, Politik- und Kommunikationsberater: „Der Mann hat die Hälfte seines Lebens in der rechtsextremen Szene verbracht. Das ist kein Reingucken, das sind nicht nur Bezüge zum rechtsradikalen Lager, sondern das ist eine wirklich sehr enge Verbindung, wenn nicht sogar eine Verwurzelung im rechtsextremen Milieu. Wenn man dieses, diese Erzählung von Kalbitz so aufnimmt und auch ihn … an ihn zurückspielt, dann wird das zur Wahrheit erklärt in einem Gespräch und das ist nicht die Aufgabe von Journalisten. Journalisten sollen nicht übernehmen, sie sollen überprüfen, ob das, was Politiker sagen, wirklich stimmt.“

Verharmlosung, Normalisierung, Täuschung. So gelingt es der AfD, auch ihre radikalen Inhalte zu transportieren.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Demokratien sterben nicht mehr durch einen Putsch, sie sterben durch eine schleichende Normalisierung von demokratiefernen, von antidemokratischen Positionen. Das ist, was die AfD beabsichtigt, eine Normalisierung ihrer Positionen, ein Einsickern in gesellschaftliche Diskurse, um irgendwann die Macht übernehmen zu können.“

Georg Restle: „Mit ihrer Strategie der „Selbstverharmlosung“ will die AfD vor allem auch im Westen erfolgreich sein. Bei Götz Kubitschek klingt das dann so: Den Osten ins Horn stoßen lassen, den Westen mit feinen Flöten einstimmen. Wer das für Poesie hält, der täuscht sich allerdings.“

Kommentare zum Thema

  • Multiprofessor 17.04.2020, 13:15 Uhr

    Das ist typisch für wdr-Journalisten (dem SED-Sender NRWs), dass man Begriffe aus anderen Quellen aus dem Sinnzusammenhang entlehnt, um eine Propagandaschlacht mit Fakes gegen die AfD zu fahren. Die AfD hat keine Medienstrategie der "Selbstverharmlosung", das ist eine Erfindung und Unterstellung linksextremer Journalisten und Politologen. Intelligente Menschen kennen das 25-Punkte-Programm der NSDAP und das Parteiprogramm der AfD und wissen daher, dass es Null Übereinstimmung gibt.

  • Leser 09.02.2020, 10:23 Uhr

    Sie beziehen sich auf einen Artikel in Kubitscheks Zeitschrift "Sezession", der mit "Selbstverharmlosung" betitelt ist. Der Artikel steht online und kann von jedermann gelesen werden. Es handelt sich bei diesem Text um eine Warnung vor der Selbstverharmlosung: So komme derjenige, der sich im politischen Wettbewerb in Selbstverharmlosung versuche "bei konsequenter Anwendung dieser Methode beinahe in Erklärungsnot darüber, warum sich das, was er vorhat, nicht ganz einfach in den alten Parteien, Medien und Strukturen umsetzen lasse." Es bestehe "bei der Absenkung der emotionalen Barriere durch Suggerierung von Unterschiedslosigkeit darin, eines nahen Tages tatsächlich aus der Harmlosigkeit nicht mehr herauszufinden. Es sind dann zu viele Stellungen aufgegeben worden". Unterschiedslosigkeit ist das Stichwort. Die Warnung geht dahin, sich im Verzicht auf Provokationen nicht gemein mit den etablierten Parteien zu machen.

  • Reinhardt Dickel 25.09.2019, 13:46 Uhr

    Zu Ihrem Beitrag: SELBSTVERHARMLOSUNG von Julia Regis und Jan Schmitt Gratulation an Julia Regis und Jan Schmitt für ihren Beitrag: Selbstverharmlosung. Hoffentlich haben Sie (liebe Julia, lieber Jan) einige Kollegen wachgerüttelt, die den braunen Sumpf immer noch achselzuckend und ängstlich ignorieren. Meine uneingeschränkte Hochachtung für Georg Restle für seine kritischen Stellungnahmen, zuletzt in der Zeit vom 19.09.2019: Dieser Streit ist vergeudete Zeit. Dem schließe ich mich an mit den Worten von B. Pörksen (2017):„Wir brauchen die reflektierte Weigerung, das Staccato der Tabubrüche weiterhin durch ein solches Übermaß an Beachtung zu belohnen - wir brauchen ein gezielte Aufmerksamkeitsaskese! Viele Grüße R.Dickel