MONITOR vom 17.01.2019

Schwangere und Kranke abschieben: Wie Behörden die Rückführungsquote steigern

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Bericht: Shafagh Laghai, Christina Zühlke, Shikiba Babori, Arezao Naiby

Schwangere und Kranke abschieben: Wie Behörden die Rückführungsquote steigern

Monitor 17.01.2019 09:00 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Shafagh Laghai, Christina Zühlke, Shikiba Babori, Arezao Naiby

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Georg Restle: „Und jetzt zur Geschichte der jungen Frau, die nachts im Krankenhaus abgeholt und von Polizeibeamten mitten in Deutschland ausgesetzt wurde. Mit Humanität hat diese Geschichte nicht das Geringste zu tun - und was noch schlimmer ist, solche Geschichten häufen sich. Dabei sollte man eigentlich davon ausgehen, dass gerade ein Krankenhauszimmer ein absoluter Schutzraum ist. Doch darauf nehmen deutsche Behörden offenbar immer seltener Rücksicht, vor allem wenn es darum geht, Menschen aus Deutschland abzuschieben. Nicht mal mehr Kreißsäle sind da noch tabu. Shafagh Laghai und Christina Zühlke über die neue Härte deutscher Ausländerbehörden.“

Es ist der 17. Oktober 2018. Eine Frau - im 3. Monat schwanger - liegt im Krankenhaus, wird wegen ihrer Diabetes behandelt. Kurz vor Mitternacht geht plötzlich die Tür auf. Zehn Beamte kommen, um sie mitzunehmen, zu ihrem Abschiebeflug. Einige Wochen später treffen wir die 29-Jährige. Eine Kurdin aus dem Iran. Sie möchte nicht erkannt werden.

Frau: „Stellen Sie sich das vor, mitten in der Nacht. Man schläft und plötzlich hämmert es an der Tür und die Polizei steht im Krankenzimmer. Ich hatte wahnsinnige Angst.“ 

Mit ihrem Mann und ihrem Sohn war sie aus dem Iran geflohen, weil sie dort als Kurden politisch verfolgt wurden, erzählt sie. In Kroatien wurden sie zum ersten Mal registriert. Dahin sollten sie zurückgeschickt werden. Sie habe kaum laufen können, sagt die Frau. Aber ein Beamter habe sie unter Druck gesetzt.

Frau: „Er sagte, ihr müsst Deutschland verlassen. Wenn du nicht mitkommst, dann schicken wir deinen Sohn alleine nach Kroatien und stecken dich und deinen Mann ins Gefängnis.“

Er sei der Mann aus dem Krankenhaus, sagt sie. Der Leiter der Ausländerbehörde Mainz-Bingen. Auf einer Pressekonferenz wird er gefragt, hat er ihr wirklich gedroht?

Bernd Mißkampf, Leiter der Ausländerbehörde Mainz-Bingen: „Das ist Unsinn.“

Aussage gegen Aussage. Er habe sich bei der Uniklinik nach dem Zustand der Frau erkundigt.

Bernd Mißkampf, Leiter der Ausländerbehörde Mainz-Bingen: „Da ich also in dem Geschäft kein Anfänger bin, weiß ich auch, was ich zu fragen habe und das ist explizit … ist die Frage der Reisefähigkeit oder der Reiseunfähigkeit.“

Eine Ärztin habe ihm die Reisefähigkeit bestätigt. Auf unsere Nachfrage bestreitet das die Uniklinik Mainz. Sie habe für die Frau

Zitat: „keine Reisefähigkeit attestiert“.

Rechtlich ist es dem Krankenhaus überlassen, ob es einen Patienten entlässt oder nicht. Doch die Ärzte stünden zunehmend unter Druck, sagt Ernst Girth von der Landesärztekammer in Hessen. 

Ernst Girth, Menschenrechtsbeauftragter Landesärztekammer Hessen: „Ein Krankenhaus muss in unserem demokratischen Land immer noch ein geschützter Raum bleiben und Ärzte und Ärztinnen müssen unterstützt werden und verhindern, dass Menschen aus Krankenhäusern abgeholt werden.“

Fakt ist, die Familie wird quer durch Deutschland zum Flughafen nach Hannover gefahren. Schließlich ist es der Pilot, der sich weigert, die kranke, schwangere Frau mitzunehmen und so die Abschiebung verhindert. Und die Behörden? Den Mann behalten sie in Abschiebehaft. Die Frau und ihr Sohn sollen selber mit der Bahn zurück in die Flüchtlingsunterkunft finden - ohne ausreichendes Geld für die Fahrkarte. Die ganze Zeit über hat sie ihre Krankenhausschlappen an.

Bernd Mesovic, Leiter Rechtspolitik ProAsyl: „Das Klima hat sich gewaltig verschärft. Ich habe einen Überblick etwa seit 1980 bis heute. Es hat wenige Phasen gegeben, wo man bei Abschiebungen so hart zugriffen hat, wo man so wenig Rücksicht genommen hat auf die individuelle Situation, auf Krankheiten.“

Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber Berichte über Abschiebungen trotz Risikoschwangerschaften, trotz schwerer Krankheiten - sie häufen sich. Da wird ein werdender Vater aus dem Kreißsaal geholt, während seine Frau in den Wehen liegt. Oder ein Patient wird aus der Psychiatrie heraus abgeschoben - und nimmt sich kurze Zeit später das Leben. Auch die Flüchtlingshelferin Caroline Lehmann beobachtet eine deutliche Veränderung, sagt sie.

Caroline Lehmann: „Die Abschiebepraxis im letzten Jahr hat sich enorm verschärft, aufgrund des öffentlichen Drucks, der gemacht wird. Und das führt dazu, dass in einigen Fällen sogar elementarste Menschenrechte mit Füßen getreten werden.“

Judy lag auch im Krankenhaus, als die Beamten kamen, um sie abzuholen. Im 5. Monat schwanger, mit Verdacht auf Thrombose. Um zwei Uhr nachts seien sie gekommen, erzählt sie.

Judy (Übersetzung Monitor): „Als die Krankenschwerster kam und sagte, die Polizei ist hier und sucht nach dir, fühlte ich mich, als würde ich sterben. Ich hatte große Angst um das Baby. Ich stand unter Schock.“

Die Beamten seien mit einer eigenen Ärztin ins Krankenhaus gekommen, sagt Judy.

Judy (Übersetzung Monitor): „Ich sagte, aber ich fühle mich nicht gut. Ich bekomme gerade eine Infusion und mir tut alles weh. Er sagte, aber wir haben eine Ärztin dabei. Sie wird dich begleiten.“

Die Ärzte, die die Beamten zu Abschiebungen mitbringen, sind bei den Ärztekammern umstritten. Die Behörden halten ihre Namen geheim. So sei es quasi unmöglich, ihre Qualifikation zu überprüfen. Dabei hätten sie, die Ärztekammern, eine Liste mit Spezialisten für Abschiebefälle. Doch diese Spezialisten würden die Behörden nie anfordern. 

Ernst Girth, Menschenrechtsbeauftragter Landesärztekammer Hessen: „Ja die Behörden sind offensichtlich nicht der Meinung, dass an erster Stelle die Qualifikation der Ärzte stehen muss für die Erkrankung, die der Patient hat, sondern dass es wichtiger ist, dass Ärzte nicht viel nachfragen und willig den Abschiebungsprozess begleiten.“

Am Ende weigerte sich Judys Krankenhausärztin, sie zu entlassen. Sonst wäre Judy jetzt in Italien. Nancy wurde nach Italien abgeschoben. Sie war im 5. Monat schwanger, als die Beamten sie in ihrer Flüchtlingsunterkunft in Bayern abholten.

Nancy (Übersetzung Monitor): „Sie haben meine Hände gefesselt und meine Beine. Es waren so viele Leute. Einer setzte sich auf mich, um mich zu fesseln, weil ich nicht mitkommen wollte. Ich sagte: ich bin schwanger! Sie sagten, sie verstehen mich nicht. Sie könnten kein Englisch. Ich sage zu einem der Männer: Wenn deine Frau schwanger wäre und so behandelt würde, wärst du dann glücklich?“

Wir fragen beim Polizeipräsidium in München nach. Man schreibt uns:

Zitat: „Die Beamten hatten keine Kenntnis über eine angebliche Schwangerschaft der Frau. Aufgrund ihrer heftigen Gegenwehr musste sie aus Gründen der Eigensicherung gefesselt werden.“

Gabi Höbenreich-Hajek hat Nancy während dieser Zeit betreut. Die Schwangerschaft hätte man sehen können, sagt sie. Unbestritten ist, dass Nancy schließlich nach Italien geflogen wurde. Dort dreht sie ein Video von dem Camp, in dem sie untergebracht war. Es sei kalt gewesen und nachts kamen Ratten, sagt sie.

Nancy (Übersetzung Monitor): „Schon bevor ich in Italien ankam, begannen die Schmerzen im Bauch. Ich hatte Angst um das Baby und fragte im italienischen Camp gleich nach einem Arzt. Sie sagten, es gibt keinen Arzt. Ich blutete. Nach vier Tagen hatte ich dann eine Fehlgeburt.“

Auch von der Fehlgeburt hat Nancy ein Foto. Ein völlig verdrecktes Klo und der tote Fötus.

Gabi Höbenreich-Hajek, Hilfsorganisation Solwodi: „Frauen im Stich zu lassen, die schwanger sind und die ihr Kind verlieren, es ist für mich total schrecklich auch nur darüber nachzudenken, wie nachlässig und sorglos und verachtend wir mit Menschen umgehen. Es ist sehr, sehr schwer auszuhalten.“

Auch wenn es sich nicht belegen lässt, für Nancy steht fest: ihre Fehlgeburt war eine Folge der Abschiebung. Auf Umwegen und nach mehreren Wochen kam sie zurück nach Deutschland. Seitdem hatte sie mehrere gynäkologische Operationen, hat immer noch Schmerzen. Ende des Monats soll sie erneut nach Italien zurückgeführt werden.

Georg Restle: „Man kann es nicht oft genug sagen: Die Menschenwürde, Artikel 1 Grundgesetz, gilt für alle Menschen in diesem Land, nicht nur für Deutsche.“

Stand: 18.01.2019, 16:00 Uhr

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59 Kommentare

  • 59 Leni 25.12.2019, 22:36 Uhr

    Die arme Frau und noch schwanger. Was sind das für Gesetze. Wo zehn Polizisten um eine schwangere frau vom Krankenhaus abzuholen um sie abzuschieben ...weiterlesen

  • 56 sigrid 29.01.2019, 09:14 Uhr

    Warum kommt eigentlich keiner bei Monitor auf den Gedanken ,dass die Damen nur im Krankenhaus waren um einer Rückführung zu entgehen? Wenn man wie i ...weiterlesen

    • Charly 1960 22.02.2019, 22:59 Uhr

      Ganz ihrer Meinung Oft genug erlebt

  • 55 Kantholz 27.01.2019, 01:06 Uhr

    Es ist schon bemerkenswert, wie sich die Sendung für renitente Illegale (um die Netiquette zu wahren), die sich mit allen zur Verfügung stehenden üb ...weiterlesen