Pressemeldung vom 26.10. 2022
"Zahnloser Papiertiger": Bundesregierung will EU-Lieferkettengesetz deutlich abschwächen
Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins MONITOR (heute, 21:45 Uhr im Ersten) will die deutsche Bundesregierung das geplante EU-Lieferkettengesetz so verändern, dass Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken für Unternehmen in wesentlichen Punkten deutlich reduziert werden. Das zeigen interne Dokumente aus den zuständigen Ministerien und den EU-Ratsverhandlungen, die MONITOR exklusiv vorliegen. Mit dem Lieferkettengesetz sollen Unternehmen verpflichtet werden, sowohl bei ihren direkten Lieferanten wie auch auf vorgelagerten Produktionsstufen auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Im Februar hatte die EU-Kommission ihren Richtlinienentwurf vorgelegt.
Offiziell hat die deutsche Bundesregierung ihre Unterstützung für den Vorschlag der Kommission angekündigt. Erst vorletzte Woche hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gesagt: "Gerade in diesen Zeiten müssen wir den Menschenrechtsschutz in globalen Lieferketten weiter stärken. Und das ohne Wenn und Aber." Laut der internen Dokumente wirkt die Bundesregierung bei den internen Verhandlungen der EU jedoch massiv darauf hin, den Kommissionsentwurf insbesondere bei Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung und zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen deutlich zu entschärfen. Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Forderungen der Bundesregierung, das geplante Gesetz werde dadurch letztlich ausgehöhlt. Aber auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik: Der EU-Abgeordnete René Repasi (SPD) sagte gegenüber MONITOR, das Gesetz werde zu einem "zahnlosen Papiertiger", falls sich die Bundesregierung mit ihrer Position durchsetzen würde.
Im Entwurf der Kommission ist vorgesehen, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden künftig Schadensersatzforderungen vor europäischen Gerichten geltend machen können. Deutschland fordert nun eine Abschwächung der Haftungsregelung durch eine sogenannte "Safe-Harbour-Klausel". Mit dieser Regelung könnten sich Unternehmen zum Beispiel ihre Produkte oder die globalen Produktionsprozesse von externen Prüfern als einwandfrei zertifizieren lassen. Mit einem solchen Zertifikat haften die Unternehmen dann nur noch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz . Doch genau das sei kaum zu beweisen und mache erfolgreiche Klagen von Opfern quasi unmöglich, sagen Kritiker und führen an, dass Zertifikate, mit denen die Haftungsrisiken reduziert würden, sich in der Vergangenheit schon oft als fehlerhaft erwiesen hätten. "Das ist ein riesiges Schlupfloch und eine große Hürde für Betroffene, wenn sie Schadenersatz einklagen wollen", sagt etwa Armin Paasch von der Hilfsorganisation Misereor.
Auch die von der Kommission geplanten Bestimmungen zur so genannten "Risikoanalyse" der Unternehmen will die Bundesregierung laut der internen Dokumente deutlich entschärfen. Laut Kommissionsentwurf müssten Unternehmen in ihren Lieferketten genau ermitteln, wo Risiken etwa für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen bestehen. Die Bundesregierung schlägt hingegen vor, dies auf Risiken zu reduzieren, auf die die Unternehmen "Einflussvermögen" haben. Werden Risiken auf dieser Grundlage "zunächst unbeachtet gelassen", sollen daraus resultierende Schäden "als nicht vorhersehbar und unvermeidbar" gelten. Die Folge: Für solche unvorhersehbaren Risiken müssten die Unternehmen dann auch nicht haften. Damit überlasse es die Bundesregierung den Firmen, zu entscheiden, für was sie haften und für was nicht, warnen Kritiker. "Unternehmen bekommen eine Haftungserleichterung gerade dadurch, dass sie Risiken nicht beachten. Und das widerspricht absolut dem Sinn dieses Gesetzes", kritisiert Paasch.
Das zuständige Bundesarbeitsministerium wollte die internen Weisungen, die die Forderungen der Bundesregierung enthalten, auf MONITOR-Anfrage nicht kommentieren. Man sei aber überzeugt, dass "ein wirksames EU-Lieferkettengesetz geschaffen werden kann".
Stand: 26.10.2022, 23:22 Uhr