Die Schande von Köln – was sind die Konsequenzen?

Die Schande von Köln – was sind die Konsequenzen?

Ein Bahnhof als Falle, Frauen Opfer mutmaßlich von Arabern und Nord-Afrikanern. Die Skandalnacht von Köln, ein Schock für Deutschland: Wie ehrlich wird die Aufarbeitung? Was sind die Folgen für die Asylpolitik der Regierung und die Willkommenskultur im Land?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen und Behauptungen von Experten bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Kristina Schröder über Gewalt und Muslime

Kristina Schröder (CDU) sagt, gerade bei Migranten mit arabisch-muslimischen Hintergrund gebe es eine bestimmte Vorstellung von Männlichkeit, die oft mit Gewalt verknüpft ist. Dieser Zusammenhang sei lange tabuisiert worden. Hat sie Recht?

"Dass diese Diskussionen nicht geführt oder gar tabuisiert werden, ist unzutreffend", sagt Rita Steffes-enn. "Auf fachlicher Seite ist man jedoch immer zu differenzierten Sichtweisen angehalten. Gute Forschungsarbeit weist sich auch dadurch aus, dass sie um ihre Grenzen weiß, ihre Ergebnisse nicht absolutistisch sieht und die Ergebnisse im Hinblick auf Unschärfen kritisch reflektiert. Aber genau das war ein von Frau Schröder scheinbar kritisierter Punkt." Der Tabuisierung des Themas stehe entgegen, dass sich in der Arbeit mit auffälligen Jungen und Männern schon lange fachliche Ansätze aus der Jungen- und Männerarbeit etabliert haben, die das Thema der männlichen Rollenbilder besonders in den Fokus stellt, sagt Steffes-enn. Sie stellt klar, dass in allen Kulturkreisen Gewalt innerhalb von Familien eher dazu führt, dass Gewalt auch außerhalb der Familie angewendet wird. "Die meisten sexuellen und körperlichen Übergriffe, insbesondere zum Nachteil von Mädchen und Frauen, erfolgen jedoch erwiesenermaßen durch nahestehende und familiäre Bezugspersonen", sagt Steffes-enn. Der Einfluss von Herkunftsland oder Religionszugehörigkeit gelte bislang nicht als erwiesener Risikofaktor, so die Expertin für sexuelle Gewalt.

Auch Prof. Ahmet Toprak kann eine Tabuisierung des Themas nicht erkennen. "Ein Zusammenhang zwischen Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen und Gewaltanwendung ist seit Ende der 1990er Jahre Gegenstand der empirischen Forschung." So habe beispielsweise das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen immer wieder auf diesen Zusammenhang bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund hingewiesen, so der Erziehungswissenschaftler. "Dies wurde in erster Linie bei Jugendlichen mit türkischem und russischem Migrationshintergrund häufiger festgestellt", sagt Toprak. Darüber hinaus gebe es auch qualitative Studien, ("Turkish Power Boys", Tertilt 1996 oder "Jungen und Gewalt", Toprak 2005, 2012), die diesen Zusammenhang diskutieren. "Von einer Tabuisierung kann - zumindest in der empirischen Forschung - nicht die Rede sein", stellt Toprak klar.

Kristina Schröder über Patriarchat und Islam

Kristina Schröder fragt sich, warum patriarchalische Kulturen besonders in Ländern mit muslimischem Hintergrund verfestigt sind. Gibt es den Zusammenhang zwischen patriarchalischer Kultur und Islam?

"Einen Zusammenhang zwischen patriarchalischen Strukturen, die Gewalt oder sexuelle Übergriffe begünstigen, und religiöser Einstellung oder religiöser Zugehörigkeit können wir empirisch nicht nachweisen", sagt Ahmet Toprak. Diese patriarchalischen Strukturen seien weltweit und losgelöst von Religionen in vielen Gesellschaften dieser Welt tief verankert, so der Gewaltforscher. "Diese Strukturen sind im arabischen Raum oder im nahen Osten genauso vorhanden wie in Indien oder Mexiko." Um diese Strukturen aufzubrechen, braucht es nach Ansicht Topraks mehr Aufklärung, besseren Bildungszugang für beide Geschlechter und das Aufzeigen von unterschiedlichen Geschlechterbildern, die alle ihre Berechtigung haben.

Rainer Wendt über Polizeiberichte und Herkunft der Täter

Rainer Wendt (DPolG) sagt, es brauche keinen Erlass eines Innenministers, der Polizeibeamte dazu verpflichtet, die Herkunft von Tätern zu verheimlichen. Vielmehr wisse jeder Beamte, dass er eine “bestimmte politische Erwartungshaltung, die gezüchtet wird, zu erfüllen hat". So gebe es seit vielen Jahren die Vorgabe, dass im dienstinternen Schriftverkehr kein Bezug auf die Herkunft von Tätern genannt werden darf. Stimmt das?

Zwar sei es zutreffend, sagt die Kriminologin Rita Steffes-enn, dass der Polizei ein hohes Maß an Sensibilität und politischer Korrektheit im Sprachgebrauch abverlangt wird, um Pauschalisierungen und Diskriminierungen zu vermeiden. Allerdings gebe es genügend Beispiele, die die Aussage von Rainer Wendt widerlegen, so die Polizeiforscherin. So seien beispielsweise schon immer Sonderkommissionen gegründet worden, bei denen die Herkunft der Täter nicht verschleiert, sondern in den Vordergrund gestellt wird. Etwa die SoKos "Rumänische Posträuber" oder "Casablanca", die in Düsseldorf derzeit gegen mehr als 2.000 Tatverdächtige aus Nordafrika wegen zahlreicher Delikte ermittelt. Auch bei Befragungen von mehr als 20.000 Polizisten durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hätten die Beamten keine Scheu davor gehabt, über die Herkunft oder vermutete Herkunft von Tätern zu berichten, so Steffes-enn. Die Kriminologin stellt klar: "Das Suggerieren einer systematischen Fälschung polizeilicher Statistiken, ist wohl nicht dazu geeignet, das zum Erhalt unseres demokratischen Rechtstaats zwingend notwendige Vertrauen in die Ermittlungsbehörden zu stärken. Sich als Polizeigewerkschaft zur gleichen Zeit aber auf diese Statistiken beim Thema Gewalt gegen Polizeikräfte zu berufen, erachte ich als äußerst bedenklich."

Im Allgemeinen seien Polizeiliche Kriminalstatistiken (PKS) immer nur eine Annäherung an die Realität, sagt Steffes-enn. So könnten beispielsweise Taten, die nie zur Anzeige gebracht wurden, gar nicht erfasst werden. Auch werden laut Steffes-enn nur Taten aufgeführt, die nach Abschluss der Ermittlungen an die Justiz weiter geleitet werden. Stellt sich ein Tatverdacht vor Gericht allerdings als unbegründet heraus, wird dies in der PKS nicht korrigiert. "Die PKS zeichnet somit kein ausreichend valides Bild über die Wirklichkeit des Kriminalitätsaufkommens, sondern primär über das Anzeigeverhalten in Deutschland", stellt die Kriminologin klar.

Steffes-enn schätzt, dass durch die Vorfälle von Köln Betroffene ermutigt werden, entsprechende Taten anzuzeigen, die dies ohne die öffentliche Reaktion und die hohe Betroffenheit in der Bevölkerung vielleicht vor einigen Monaten aus Sorge, nicht ernst genommen zu werden, noch nicht getan hätten. Die Aufklärung der Fälle von Köln wird nach Ansicht der ehemaligen Polizeibeamtin allerdings schwierig. Sie befürchtet, "dass wir später eine hohe Diskrepanz zwischen den Zahlen in der PKS und denen haben werden, die zur Verurteilung kommen und damit in die Verurteiltenstatistik eingehen werden."

Heribert Prantl über Integrationsunwillige Migranten

Der Journalist Heribert Prantl spricht sich für bessere Integrationsarbeit aus. Zwar gebe es auch Zuwanderer, die sich dieser Integration verweigern. Diese seien aber in der absoluten Minderheit. Wie groß ist der Anteil derer, die sich nicht integrieren wollen, tatsächlich?

"Es ist empirisch sehr schwer nachzuweisen, ob jemand Integration verweigert", sagt Ahmet Toprak. Integration sei ein komplexer Begriff und wird in vier Bereiche aufgeteilt. So gebe es neben der strukturellen und kulturellen Integration noch die soziale und so genannte identifikatorische Integration. "Mit struktureller Integration ist die Eingliederung der Migranten in Kerninstitutionen wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Bildungs- und Qualifikationssysteme sowie der Zugang zur Staatsbürgerschaft gemeint", erklärt Toprak. Zur kulturellen Integration gehört demnach unter anderem der Spracherwerb. Die soziale Integration mache sich an der Eingliederung in private Bereiche der Mehrheitsgesellschaft fest – etwa Freundschaften, Lebenspartner oder Vereinsmitgliedschaften. Am längsten dauert laut Toprak die identifikatorische Integration, die durch das Zugehörigkeitsgefühl der Migranten zur Aufnahmegesellschaft gekennzeichnet ist. Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahre 2009, in der 6.000 Menschen mit muslimischem Hintergrund aus 49 Ländern befragt wurden, habe alle vier Bereiche im Hinblick auf Muslime in Deutschland untersucht, sagt Toprak: "Ob Muslime sich bewusst aus diesen Bereichen zurückziehen konnte nicht festgestellt werden."

Stand: 12.01.2016, 11:11 Uhr