Der Fußball und das Geld – macht der Kommerz den Sport kaputt?
Der Faktencheck zur Sendung vom 29.05.2017
Milliarden für die Fernsehrechte, viele Millionen für die Spieler: Der Fußball wird zur reinen Geldmaschine. Geht so der Spaß am Spiel kaputt? Und haben neben dem Megaspektakel Fußball andere Sportarten überhaupt noch Chancen?
Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Willi Lemke über TV-Gelder
Willi Lemke findet die Verteilung der TV-Gelder in der Bundesliga nicht gerecht. Anders sei dies in England. Hier würden 50 Prozent der Einnahmen gleichmäßig auf alle Vereine verteilt. Stimmt sein Vorwurf?
“Der Verteilungsschlüssel in England sieht vor, dass 50 Prozent der nationalen Medienerlöse zwischen den 20 Premier League Clubs gleich verteilt werden“, sagt auch Tim Pawlowski, Professor für Sportökonomik an der Universität Tübingen. „Die weiteren jeweils 25 Prozent werden anhand der Tabellenplatzierung und der Anzahl an Spielen, die ein Team live im TV zu sehen ist, verteilt“, erklärt der Sportökonom. Darüber hinaus würden auch die internationalen Medienerlöse in vollem Umfang zwischen den Premier League Clubs gleich verteilt. In Deutschland basiere der neue Verteilungsschlüssel für nationale Medienerlöse dagegen auf einem 4-Säulenprinzip, so Pawlowski. “70 Prozent werden in Abhängigkeit von der Tabellenplatzierung der letzten fünf Spielzeiten ausgeschüttet. Weitere 23 Prozent werden – allerdings nach anderen Prozentsätzen – ebenfalls in Abhängigkeit von der Platzierung der vergangenen fünf Spielzeiten ausgeschüttet“, so Pawlsowski. Für weitere fünf Prozent werde das Abschneiden in den vergangen 20 Jahren zugrunde gelegt. Die verbleibenden zwei Prozent schließlich werden proportional zu den Einsatzminuten von in Deutschland ausgebildeten U23-Spielern in der aktuellen Saison ausgeschüttet, sagt der Experte.
Insofern sei es zwar korrekt, dass die TV-Gelder in England im Vergleich zu Deutschland gleichmäßiger unter den Vereinen der 1. Liga verteilt werden, so der Sportökonom. Zu beachten sei allerdings, dass in Deutschland in den Verteilungsmodellen bei fast allen Säulen auch die Clubs der 2. Liga mitbeachtet und entsprechend beteiligt werden. In England erhielten die Clubs der 2. Liga hingegen nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz aus den nationalen Medienerlösen. Lediglich die Absteiger von der Premier League in die 2. englische Liga erhielten in den ersten drei Jahre nach dem Abstieg Fallschirmzahlungen, so genannte „parachute payments“, um eine finanzielle Schieflage nach Abstieg zu vermeiden. „Entsprechend ist die Verteilung der TV-Gelder zwischen den Clubs in der 1. und 2. Liga in Deutschland im Vergleich zu England gleichmäßiger“, sagt Tim Pawlowski.
“Herr Lemke hat Recht und bezieht sich damit auf die Verteilung der Einnahmen aus der nationalen TV-Vermarktung der englischen Premier League von gut fünf Milliarden Pfund in den Jahren 2016 bis 2019“, sagt Markus Kurscheidt, Professor für Sportgovernance und Eventmanagment an der Uni Bayreuth. Auch er bestätigt, dass die Einnahmen zur Hälfte gleichmäßig auf die 20 Teams der Liga verteilt werden. In der aktuellen Saison profitierten demnach alle Klubs von rund 38 Millionen Pfund. “Zum Vergleich: Mit diesen Geldern könnten der FC Ingolstadt oder der SV Darmstadt 98 fast den gesamten Etat bestreiten“, sagt Kurscheidt. Auch er erklärt, dass sich die Verteilung der weiteren 50 Prozent jeweils zur Hälfte nach dem Tabellenplatz und der erzielten Übertragungszeiten im Fernsehen richten.
“Wenn der Maßstab für Gerechtigkeit ein hohes Maß an Gleichverteilung der Gelder ist, hat Herr Lemke quasi doppelt Recht. Denn die Erlöse aus den internationalen TV-Rechten der Premier League von drei Milliarden Pfund über drei Jahre wird sogar vollständig auf alle 20 Teams umgelegt“, sagt Kurscheidt. Aktuell seien dies rund 47 Millionen Pfund pro Club. “Somit erhalten die englischen Teams bereits garantierte Einnahmen von 85 Millionen Pfund und liegen damit in etwa im Mittelfeld der Umsatzgrößen der Bundesliga.“
Die Ausschüttung der TV-Erlöse in der Bundesliga an die Vereine – gut 4,5 Milliarden Euro über vier Spielzeiten von 2017 bis 2021 – sei fast durchweg leistungsbezogen, sagt Kurscheidt. Auch er verweist auf den oben erläuterten Verteilerschlüssel, dem seiner Ansicht nach eine Komponente fehlt, von der alle in gleichem Maß profitieren. Kurscheidt kann die Kritik von Willi Lemke über die immer größer werdende Schere bei der Verteilung der TV-Gelder in der Bundesliga nachvollziehen. “Denn es ist ein Hauptargument für die Zentralvermarktung der Fernsehrechte, dass von der Ausschüttung auch die kleineren Clubs profitieren sollen. In Deutschland erhält jedoch der 18. Verein in dem Ranking des Verteilungsschlüssels kaum drei Viertel des Erstplatzierten (knapp 26 Millionen versus gut 58,5 Millionen Euro)“, sagt Kurscheidt. Dagegen erhalte der 20. in der Premier League zwei Drittel der TV-Gelder des Meisters.
Edmund Stoiber über Fußball und Quoten
Für Edmund Stoiber sind die Einschaltquoten Beweis genug, dass Fußball in der Zuschauergunst weit oben steht. Immer wieder liege Fußball bei den Quoten ganz vorne.
Richtig ist, dass Fußball den Sendern immer wieder Top-Quoten beschert: Alleine in den vergangenen neun Jahren stand immer ein Fußballspiel an der Spitze der Jahreswertung der Top-Einschaltquoten. Das geht aus den Daten der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) hervor, zu deren Gesellschaftern neben ARD und ZDF unter anderem auch RTL, ProSiebenSat1 und Sky gehören. Mehr noch: Fußball belegt fast 77 Prozent aller Top-20 Platzierungen der letzten neun Jahre.
Edmund Stoiber über Zuschauerzahlen
Edmund Stoiber verteidigt die Dominanz des Fußballs im deutschen Fernsehen. Schließlich seien die Zuschauerzahlen in den Stadien und vor dem TV in den vergangenen fünf Jahren gestiegen. Hat er Recht?
„In den vergangenen fünf Jahren konnte die Bundesliga jeweils einen Schnitt von über 40.000 Zuschauern pro Spiel im Stadion erreichen. Nach dem Rekordjahr 2011/12 mit über 44.000 Zuschauern hat sich der Schnitt in den letzten Spielzeiten bei rund 42.000 Zuschauern eingependelt. Dieser leichte Rückgang geht mit einem Anstieg des Zuschauerschnitts in der zweiten Bundesliga von 17.000 auf 19.000 Zuschauer einher. Entsprechend handelt es sich hierbei in erster Linie um Verschiebungen zwischen den Ligen aufgrund der jeweils teilnehmenden Vereine in der 1. und 2. Liga“, sagt Tim Pawlowski. Nach wie vor sei die Bundesliga die zuschauerstärkste Fußball-Liga der Welt. Gestiegene Zuschauerzahlen im Stadion seien in den vergangenen fünf Jahren – auch bedingt durch die Stadionkapazitäten – allerdings nicht mehr zu beobachten. „Im TV-Bereich hat sich die Nachfrage hingegen erhöht. Dies kann beispielsweise an den kontinuierlich steigenden Kundenzahlen des Bezahlsenders Sky abgelesen werden. Mittlerweile hat Sky rund 4,5 Millionen direkte Abonnenten in Deutschland. Auch im Free-TV erreichen beispielsweise die Spiele der Fußball Nationalmannschaft insbesondere bei großen Turnieren wie der Fußball- Welt- und Europameisterschaft regelmäßig Einschaltquoten im zweistelligen Millionenbereich“, so der Sportökonom.
“Herr Stoiber hat natürlich Recht, dass der Profifußball weiterhin in der Gunst der deutschen Sportfans dominant ist“, sagt Markus Kurscheidt. Dies gelte sowohl für die Fernsehzuschauer als auch für die Stadionbesucher. Für die Zahlen der Stadionbesucher sei zwar richtig, dass sie seit dem Jahr 2000 um gut 45 Prozent deutlich gewachsen sind, falsch aber sei, dass auch die letzten fünf Saisons von einem solchen Wachstum geprägt waren, sagt Kurscheidt. “Ganz im Gegenteil ist aktuell mehr denn je ein Rückgang zu beklagen, der mittlerweile sogar Clubs wie den zuschauerstarken FC Schalke 04 erreicht, ganz zu schweigen von Nachfrageproblemen etwa des FSV Mainz 05.“ Nach dem Abstieg von Traditionsvereinen wie Kaiserslautern, Köln und Hertha BSC in der Rekordsaison 2011/12 mit insgesamt 13,5 Millionen Zuschauern, folgte ein Einbruch der Zuschauerzahlen, von dem sich die Bundesliga nicht vollständig erholt hat, so Kurscheidt. “Seither ist eher eine Stagnation des Zuschauerzuspruchs mit leicht negativer Tendenz zu erkennen. Die Marke der 13 Millionen wird kaum noch erreicht, und der Durchschnitt sank in der abgelaufenen Saison mit 41,5 Tausend sogar unter den Wert von 2012/13.“ Zugleich zeigten Befragungen von regelmäßigen Stadionbesuchern, dass sich eine Unzufriedenheit und die Neigung breit macht, weniger Spiele zu besuchen. “Dies wird ganz konkret bei Dauerkarteninhabern beobachtet, die tendenziell weniger Begegnungen tatsächlich vor Ort sind und eher die Spitzenspiele schauen“, sagt Kurscheidt. Dies aber sei ein Jammern auf sehr hohem Niveau. Auch Kurscheidt erinnert daran, dass die Bundesliga die zuschauerstärkste Fußballliga der Welt ist. Mit gut 5 Tausend Zuschauern pro Spiel liege sie noch vor der Premier League. “Es zeichnet sich allerdings unter den aktiven Fans ein gewisser Verdruss ab, der zu einem weiteren Zuschauerrückgang führen könnte. Vorerst sind jedenfalls die wachstumsstarken Zeiten in der Stadionnachfrage vorbei. Es sei denn, mehrere Traditionsclubs mit großer Fanbasis kehren in die erste Liga zurück“, so Markus Kurscheidt.
Stand: 23.05.2017, 07:45 Uhr