Gefahr Krankenhaus – Wenig Personal, aber reichlich Keime?

Der Faktencheck zur Sendung vom 03.04.2017

"Jeder Klinikaufenthalt könnte zur tödlichen Falle werden“: Stimmt diese vieldiskutierte Warnung einer Krankenschwester? Leiden Hygiene und Pflege in den Krankenhäusern am Zwang zum Sparen? Und wird gerade in privaten Häusern zu viel operiert, damit die Kasse stimmt?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Thomas Reumann über Wundinfektionen

Thomas Reumann (Deutsche Krankenhausgesellschaft) sagt, seit Anfang des Jahres werde in jedem Krankenhaus die Entwicklung der Wundinfektion nach Operationen dokumentiert. Die Ergebnisse dieser über vier Millionen Fälle würden in den Qualitätsberichten der Kliniken veröffentlicht. Stimmt das?

“Die Aussage stimmt grundsätzlich“, sagt Prof. Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. "Nach Paragraf 135a SGB V bestehe eine Verpflichtung zur Qualitätssicherung in den Kliniken. Die verpflichtenden Module werden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt", sagt der Hygienearzt. Laut Exner gehören hierzu bereits seit längerem verpflichtend Operationen mit Hüft- und Kniegelenkersatz, bei denen auch die postoperativen Wundinfektionen erfasst werden.

"Ab 1.1.2017 gibt es zusätzlich ein fach- und sektorübergreifendes Verfahren, das den Focus ausschließlich auf Wundinfektionen legt (QSWI). Sowohl ambulant wie auch stationär erbrachte operative Eingriffe werden anhand dieses Verfahrens nachverfolgt. Alle Erbringer (ambulant und stationär) von operativen Leistungen, die im Verfahren QSWI beobachtet werden, müssen einmal jährlich verpflichtend an einer einrichtungsbezogenen Befragung teilnehmen.“ Darüber hinaus bestehe für stationäre Leistungserbringer für sämtliche Fälle, bei denen es sich um mögliche postoperative Wundinfektionen handelt, die Dokumentationspflicht über einen fallbezogenen elektronischen Dokumentationsbogen, so der Hygieneexperte. Beobachtet werden OPs unterschiedlicher Fachrichtungen, wie etwa der Allgemeinchirurgie, der Gefäßchirurgie, der Herzchirurgie, der Gynäkologie und der Urologie. Die von Reumann genannte Fallzahl von vier Millionen OPs hält Exner für plausibel.

Ausgewertet werden die Fälle von Wundinfektionen durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Belastbare Daten erwartet das Institut erstmals für 2018, die Auswertung dieser Daten erfolgt dann in 2019. Patienten werden – laut IQTIG – voraussichtlich im Frühjahr 2020 in den jeweiligen Qualitätsberichten der Krankenhäuser erstmals über die aufgetretenen Wundinfektionen lesen können.

Reinhold Beckmann über Erreger in Deutschland

Reinhold Beckmann sagt, zwar sei es richtig, dass die Zahl der Infektionen durch MRSA-Keime nicht weiter gestiegen ist. Für "richtig schwierige Keime", wie er es nennt, sei dies allerdings nicht der Fall. Gibt es Infektionen durch Keime, deren Zahl in den vergangenen Jahren gestiegen ist?

"Die Zahl der Besiedelungen oder Infektionen durch MRSA-Erreger ist in der Tat nicht weiter angestiegen bzw. tendenziell rückläufig", stimmt Martin Exner zu. Allerdings sei die Zahl im Vergleich zu anderen Ländern wie den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern immer noch auf einem vergleichsweise höheren Niveau, so der Hygiene-Experte.

Richtig sei auch, dass Infektionen durch weitere Krankheitserreger wie so genannte "Clostridium difficile" und Antibiotika-resistente "gram-negative Erreger" im Anstieg begriffen seien, so Exner. "Insbesondere die Zunahme Antibiotika-resistenter 'gram-negativer Erreger', auf die sich Herr Beckmann bezieht, ist insofern besorgniserregend, da neue Antibiotika, die gegen 'gram-negative Erreger' wirksam sind, derzeit nicht entwickelt werden und vergleichsweise weniger Reservepräparate zur Therapie zur Verfügung stehen, als dies bei MRSA der Fall ist." Der Anstieg dieser Erreger lässt sich nach Ansicht von Exner sowohl durch den Einsatz von bestimmten Antibiotika in der Human- wie auch in der Tiermedizin, als auch durch einen weltweiten Einsatz von Antibiotika in Ländern mit unzureichender Hygiene erklären. Den Risiken der Zunahme gram-negativer Erreger versuche man durch verschiedene Strategien entgegenzusteuern. Hierzu zähle der rationalere Einsatz von Antibiotika in Krankenhäusern, die Verschärfung von Meldepflichten für Antibiotikaresistente "gram-negative-Erreger", bessere Hygienemaßnahmen – auch über die Handhygiene hinaus – und Maßnahmen in der Tiermedizin mit Blick auf Einsatz von Antibiotika und Hygiene, sagt Martin Exner.

Jana Langer über Fallpauschalen Pflegekräfte

Die Krankenschwester Jana Langer sagt, die Situation der Pflegekräfte in Krankenhäusern habe sich vor allem seit Einführung der Fallpauschalen verschlechtert. Patienten würden in den Kliniken seither lediglich als Ware betrachtet, die Geld einbringen muss. Stimmt ihre Einschätzung?

"Die Einschätzung von Frau Langer in Bezug auf den Patienten als Ware ist in vielen Fällen subjektiv richtig, objektiv jedoch nicht belegbar“, sagt Thomas Busse, Professor für Pflegemanagement an der Frankfurt University of applied science. Richtig sei, dass die Einführung der Fallpauschalen zu mehr Fallzahlen in den Krankenhäusern geführt hat, so der Experte. In diesem System stünden Krankenhäuser unter dem Druck, die mit den Krankenkassen im Vorfeld ausgehandelten Fallzahlen auch erfüllen zu müssen. Bei Unterschreitung der Fallzahlen erfolge ein Budgetverlust, bei Überschreitung der Fallzahlen werden die zusätzlichen Fälle jedoch nur teilweise vergütet, erklärt Busse. “Die Frage, wie von den Krankenhäusern - und dort von einzelnen Abteilungen oder Mitarbeitern - mit diesem Druck umgegangen wird, ist wissenschaftlich nicht untersucht. Es gibt allerdings inzwischen mehrere Bewertungsportale für Krankenhäuser, aus denen hervorgeht, dass sich das Verhältnis zwischen sehr zufriedenen und sehr unzufriedenen Patienten auch in Bezug auf die pflegerische Leistung in etwa die Waage hält.“

Bezogen auf die Verschlechterung der Situation in der Pflege stimmt Busse Jana Langer zu: “Die durch die Fallpauschalen ausgelöste Anforderung zur Kosteneinsparung und Prozessoptimierung wurde und wird primär auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen, da eine echte Pflegelobby - im Gegensatz zu dem ärztlichen Dienst - in der Bundesrepublik erst sehr langsam entsteht und das politische oder öffentliche Interesse an der Situation der Pflege sich lange Zeit sehr in Grenzen hielt.“  Busse sieht hierin einen Grund dafür, dass sich jeder Geschäftsführer sicher war, nicht in die Schlagzeilen zu gelangen, wenn er an der Pflege einspart

Ulrich Hildebrandt über Personal und Infektionsrisiko

Ulrich Hildebrandt sieht einen Zusammenhang zwischen Personaldichte und der Gefahr einer Infektion: Mehr Pflegepersonal bedeutet seiner Ansicht nach also weniger Infektionsrisiko. Hat er Recht?

"Ulrich Hildebrandt hat Recht", stimmt Thomas Busse zu. "Der Zusammenhang  zwischen Personaldichte und der Gefahr einer Infektion wird in vielen Fachzeitschriften hergestellt." Allerdings gebe es nur wenige - meist ältere und vorwiegend amerikanische - Studien, die das auch tatsächlich belegen, sagt der Experte.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen Wissenschaftler der Hochschule Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover in der von Hildebrandt genannten Studie. Michael Simon und Sandra Mehmecke kommen nach Auswertung anderer Studien zu diesem Thema zu dem Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen Personaldichte und Infektionsrisiko kaum angezweifelt werden könne. Indikatoren hierfür sind unter anderem Wundinfektionen, Sepsis sowie Lungen- und Harnwegsinfektionen.

Gleichzeitig aber weisen Simon und Mehmecke darauf hin, dass die bisherigen Studien – unabhängig vom Ergebnis – nicht den höchsten Anforderungen klinischer Untersuchungen entsprechen.  "Und zwar vor allem, weil es sich zumeist entweder nur um sozialwissenschaftliche Befragungen, beispielsweise des Pflegepersonals, oder um so genannte 'retrospektive Studien' handelt, bei denen beispielsweise auf Grundlage von Daten einer Auswahl von Krankenhäusern und Fällen vergangener Perioden rückblickend so genannte 'Sekundärdatenanalysen' durchgeführt wurden", heißt es in der Untersuchung für die Böckler-Stiftung. Der Zusammenhang zwischen Personaldichte und Patientengesundheit sei unvergleichbar komplexer und schwieriger zu erforschen als beispielsweise die Wirkung eines neuen Arzneimittels, so die Forscher.

Stand: 04.04.2017, 14:06 Uhr