Mensch raus, Wolf rein – wie viel Naturschutz verträgt unser Land?

Der Faktencheck zur Sendung vom 23.01.2017

Aus Forst wird Urwald, der Wolf kehrt zurück - die Vision mächtiger Naturschützer. Aber ist in so einem Wald noch Platz für Menschen, Raum für Erholung? Und macht es Sinn, dass Großprojekte wackeln, weil eine seltene Fledermaus auftaucht?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Krankenwagen für Wölfe

Für Franz Prinz zu Salm-Salm ist es kurios: In Niedersachen soll ein Krankenwagen für Wölfe angeschafft worden sein. Und das in Zeiten, in denen die ärztliche Versorgung auf dem Land immer schlechter wird.

Er hat Recht. Wie uns das Umweltdezernat der Stadt Hannover bestätigt hat, wurde vor wenigen Tagen ein Wolfskrankenwagen in Form eines Anhängers an die Wolfsbeauftragten der Region übergeben. Er wurde speziell für den Abtransport von verletzten oder toten Wölfen entwickelt. Das Rettungsgefährt soll die Arbeit der Wolfsbeauftragten der Region sicherer machen. Neben der Region Hannover soll der "Rettungswagen" unter anderem im Heidekreis und im Raum Celle zum Einsatz kommen.

Peter Wohlleben und der Vollernter

Franz Prinz zu Salm-Salm behauptet, ihm sei berichtet worden, dass auch Peter Wohlleben früher Vollernter (Harvester) eingesetzt habe. Peter Wohlleben bestreitet das.

In einem seiner Bücher (Der Wald – ein Nachruf) beschreibt Peter Wohlleben selbst, wie er als junger Förster Anfang der neunziger Jahre in der Gemeinde Hümmel gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Harvester und anderes schweres Gerät eingesetzt hat: "Und so ließ ich den Boden mit einem speziellen Bagger fräsen, damit Fichten und Eichen leichter zu pflanzen waren", schreibt er. Und weiter: "War das ein Spaß, als der erste Harvester eine Durchforstung machte! Die Erntemaschine fällte die Bäume im Minutentakt und im Nu waren ganze Bestände abgefertigt. Die alten Buchen ließ ich nach und nach fällen, denn sie galten als überaltert." (Der Wald – ein Nachruf, S. 21). Der Einsatz dieser Maschinen fand nach Wohllebens Darstellung im Buch allerdings zu Beginn seiner Tätigkeit als Förster statt und bereitete ihm schnell ein schlechtes Gewissen, schreibt er: "Wenn ich heute an die Zeit denke, dann schäme ich mich für das, was ich dem Wald angetan habe."

Peter Wohlleben über Schutzgebiete und Holzindustrie

Der Förster Peter Wohlleben beklagt eine gewaltige Schieflage zugunsten der Holzindustrie. In den Waldgesetzen sei geregelt, dass Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion gleichrangig sind. Dennoch liege der Anteil der Schutzgebiete heute bei gerade einmal bei 1,9 Prozent. Stimmt das?

Richtig ist laut Michael Suda, Professor für Wald- und Umweltpolitik an der TU-München, dass das Bundes- und die Landeswaldgesetze auf die gleichrangige Beachtung des wirtschaftlichen Nutzens, der Bedeutung für die Umwelt, dem Landschaftsbild und der Erholung für die Bevölkerung abzielen. Der von Wohlleben genannte Anteil von 1,9 Prozent an Schutzgebieten könne jedoch in die Irre führen, sagt Suda: "Die Zahl suggeriert, dass nur dieser Anteil der Wälder einem besonderen Schutz unterliegt. Tatsächlich gibt es jedoch eine Reihe anderer Regelungen zum Schutz der Wälder und zur speziellen Regelung einer Holznutzung." Die 1,9 Prozent bezögen sich auf Nationalparke und Naturschutzgebiete, also nur auf Bereiche in denen teilweise keine Holznutzung stattfinde, so der Forstwissenschaftler. Tatsächlich aber gebe es noch eine Reihe anderer Wälder mit bestimmten Funktionen, die durch spezielle Maßnahmen geschützt werden, sagt Suda. Hierzu zählten etwa Klimaschutzwälder, Schutzwälder gegen Naturgefahren, Bannwälder, Wasserschutzgebiete oder auch Wälder in Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter Arten (Natura 2000-Gebiete).

Prof. Christoph Schurr, Forstwissenschaftler an der Hochschule Rottenburg, bestätigt ebenfalls, dass 2012 auf 1,9 Prozent der deutschen Waldfläche (ca. 213.000 ha) die dauerhafte natürliche Entwicklung rechtsverbindlich und dauerhaft gesichert ist. Besonders als Teil von Nationalparken, Biosphärenreservaten, Naturwaldreservaten oder nutzungsfreien Flächen in Naturschutzgebieten. Aber auch er weist darauf hin, dass weit mehr Waldflächen dauerhaft nicht genutzt werden: "Zum Beispiel geschützte Waldbiotope, Waldflächen in Steillagen, in Bergbaufolgelandschaften oder Waldflächen, die aufgrund einer extrem kleinteiligen Eigentumsstruktur praktisch gar nicht genutzt werden können." Die Bundeswaldinventur 3 kam 2012 auf insgesamt 593.000 Hektar geschützte Waldbiotope, die nicht oder nur sehr eingeschränkt bewirtschaftet wurden, so Schurr. Dies entspreche einem Anteil von ca. fünf Prozent der Waldfläche. Das aber ist nicht alles, sagt der Experte: "Ein sehr großer Teil des deutschen Waldes liegt zudem in anderen naturschutzrechtlichen Schutzgebieten, z.B. europäischen FFH-Gebieten (Gebiete nach Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien), die eine Fortführung der nachhaltigen Bewirtschaftung nicht zur zulassen, sondern zum Erhalt der geschützten Lebensraumtypen oft auch notwendig machen." Alleine diese Gebiete machten mit 2,6 Millionen Hektar rund 25 Prozent der Waldfläche aus, so Schurr.

Auch Schurr bestätigt, dass der Gesetzgeber die drei Waldfunktionen Nutzen, Schutz und Erholung gleichberechtigt nebeneinander stellt. Allerdings bedeute dies nicht, dass jede Waldfläche all diese Funktionen gleichzeitig und in gleichem Maße erfüllt. "Fast alle Wälder erfüllen die Funktionen zusammen, allerdings in unterschiedlicher Kombination. In Abhängigkeit von Lage, Waldstruktur und Eigentümerzielsetzung können die Waldfunktionen auf der konkreten Fläche unterschiedlich gewichtet werden", sagt Schurr. Beispielsweise stünden in stadtnahen Wäldern die Erholungsfunktion und die Funktion eines Lärm- oder Sichtschutzes im Vordergrund. Die Bewirtschaftung eines Waldes mit Holznutzung sei sogar notwendig, um andere, vorrangige Funktionen überhaupt erst zu ermöglichen, so der Forstwissenschaftler. Als Beispiel nennt er die für Erholungswälder geforderten Eigenschaften wie Vielfalt der Waldbilder oder Verkehrssicherheit, die nur durch eine aktive Bewirtschaftung zu erreichen seien.

Franz Prinz zu Salm-Salm über Waldschäden und Schadensersatz

Franz Prinz zu Salm-Salm beklagt, dass die Politik für die Waldschäden, die durch die Emissionen der Industrie entstanden sind, bis heute keinen Ausgleich gezahlt hat. Dabei habe der Bundesgerichtshof längst entschieden, dass diese Schäden "ausgleichswürdig" seien. Hat er Recht?

"Waldbesitzer klagten in den 1980er Jahren wegen Beeinträchtigung ihres Eigentums durch das Waldsterben tatsächlich gegen die Bundesrepublik Deutschland", sagt Christoph Schurr. Zwar habe der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 10. Dezember 1987 eine Haftung des Staates abgelehnt, sagt der Experte für Umweltrecht, dennoch hielten die Richter die Waldschäden "dem Grunde nach für entschädigungswürdig und entschädigungsbedürftig". 1998 sei diese BGH-Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, so Schurr. Auf einen Ausgleich warten die Waldbesitzer aber bis heute. "Eine politisch ins Auge gefasste Entschädigungsregelung ist tatsächlich 1987 und den darauf folgenden Jahren immer wieder an ganz praktischen Problemen gescheitert, etwa an der Schadensfeststellung- und Bemessung oder dem Verfahrensweg." Bis heute gebe es hierzu keine gesetzliche Regelung. Stattdessen verfolge die deutsche Wald- und Umweltpolitik den Weg, die Waldschäden auslösenden Luftschadstoffe an der Quelle zu reduzieren. "Gleichzeitig wurde die Stabilisierung der Wälder durch zahlreiche Fördermaßnahmen der EU, des Bundes und der Länder in großem Umfang unterstützt", sagt Schurr. Hierzu zählten beispielsweise Bodenschutzkalkungen, Wiederaufforstung mit standortsgerechten Laubbaumarten, Waldumbau und Bestandespflege.

Roland Tichy über Waldzerstörung und Windkraftanlagen

Der Wirtschaftsjournalist Roland Tichy sagt, der Wald in den Mittelgebirgen werde heute besonders stark durch Windkraftanlagen und nicht durch die Forstwirtschaft zerstört. Hat er Recht?

Richtig ist, so Michael Suda , dass Forstwirtschaft in Deutschland – von extremen Ausnahmen abgesehen - nicht zu einer Zerstörung der Wälder führt. Sie nehme durch Veränderungen der Baumartenzusammensetzung oder der Schichtung des Waldbestandes lediglich Einfluss auf ihre Struktur. Allerdings sei auch der Waldverlust durch erforderliche Rodungen für Windkraftanlagen eher gering, sagt Suda. Pro Anlage müssten zwischen einem halben und einem Hektar Wald gerodet werden. Und Christoph Schurr erinnert daran, dass der Verlust des Waldes in der Nähe wieder ausgeglichen werden müsse. Außerdem hätten einige Bundesländer Wälder als Standorte für Windkrafträder grundsätzlich ausgeschlossen, so Schurr.

Nach Ansicht von Michael Suda dreht sich Diskussion vielmehr um das Landschaftsbild und den Landschaftscharakter. Besonders dieser Aspekt mache die heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bei Planungen von Windkraftanlagen deutlich, sagt der Experte für Umweltpolitik. “In diesen Diskursen treffen Argumente des Naturschutzes - Eigenart, Schönheit, Vielfalt - auf Argumente des Umweltschutzes - saubere Energie, weniger CO2-Ausstoß.“ Für Suda sind diese Debatten Beleg dafür, dass die Werthaltungen nicht miteinander vereinbar sind.

Franz Prinz zu Salm-Salm über Holzvorräte

Franz Prinz zu Salm-Salm sagt, die Holzvorräte in Deutschland seien größer als die von Finnland und Schweden.

Das stimmt. Obwohl die Waldflächen in Ländern wie Finnland (22 Mio. Hektar) und Schweden (28 Mio.) deutlich größer sind als die in Deutschland (11,4 Mio.), verfügt Deutschland über die größeren Holzreserven. Laut der letzten Bundeswaldinventur (2012) lagert Deutschland einen Holzvorrat von 3,7 Milliarden Kubikmeter. Kein anderes Land in Europa hat demnach einen solch großen Vorrat. Schweden verfügt über 3,6 Mrd. Kubikmeter Holz, die Finnen horten 2,2 Mrd.

Stand: 24.01.2017, 09:32 Uhr