Kampf um die Rente: Wähl mich, ich geb am meisten!
Der Faktencheck zur Sendung vom 07.11.2016
Mehr Geld für Ostdeutsche, für Mütter und auch noch für alle anderen: Schwarz und Rot basteln schon wieder an der Rente. Aber ist das wirklich nötig? Oder wollen sich die Volksparteien nur ältere, unzufriedene Wähler zurückkaufen – auf Kosten der Jungen?
Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.
Ulrich Schneider über Rentenniveau und Kosten
Ulrich Schneider vom paritätischen Wohlfahrtsverband fordert ein garantiertes Rentenniveau von 50 Prozent. Das IW Köln habe berechnet, dass dies im Jahr 2029 "nur" 50 Milliarden Euro mehr kosten würde.
Das stimmt. Das IW Köln untersuchte in einem Gutachten unter anderem die Kosten- und Beitragsentwicklung für ein garantiertes Rentenniveau von 50 Prozent. Der Wirtschaftsforscher und Autor der Studie Jochen Pimpertz rechnet damit, dass die Kosten für die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 2029 52 Milliarden Euro höher liegen würden als bei dem von der Bundesregierung bis dahin prognostizierten Niveau von 44,6 Prozent. Um diese Mehrkosten finanzieren zu können, droht laut IW Köln eine Erhöhung des Beitragssatzes von heute 18,7 auf 25 Prozent. Der Wirtschaftswissenschaftler warnt allerdings davor, dass die hohen Kosten eines höheren Sicherungsniveaus vor allem junge und künftige Beitragszahler belasten werden. Außerdem sei ein höheres Rentenniveau nicht mit dem Ziel der Armutsprävention zu rechtfertigen, sagt Pimpertz. Denn die Rente alleine erlaube noch keine Rückschlüsse auf die Armutsgefährdung.
Johannes Vogel (FDP) befürchtet, dass die Beiträge für die Jungen explodieren werden, sollte die Regierungskoalition ihre Rentenpläne umsetzen. Ist seine Sorge begründet?
Von einer “Explosion“, etwa im Sinne einer Verdopplung der Beiträge schon im nächsten Jahr, kann nach Ansicht von Traute Meyer, Professorin für Sozialpolitik in Southampton, keine Rede sein. “Sollte es eine Erhöhung geben, würden die Kosten auf alle Erwerbstätigen verteilt, die höheren Leistungen würden nicht allein von den Jungen bezahlt“, sagt die Expertin. Die Jungen machten noch nicht einmal den größten Teil der Beitragszahler aus, da ältere Beitragszahler höhere Einkommen beziehen und daher auch mehr einzahlen. “Eine ’Explosion’ für die Jungen steht nicht an“, stellt Traute Meyer klar. “Niemand zahlt gerne mehr, aber die Frage ist auch, wofür wir zahlen“, fragt Traute Meyer und erinnert daran, dass gerade die jungen Deutschen Gefahr laufen, unterversichert zu sein: “Berechnungen der OECD zeigen, dass die gesetzlichen Rentenzusagen in Deutschland heute deutlich niedriger sind als in den meisten europäischen Nachbarländern.“ Diese Lücke könnten weder private Altersversicherung noch Betriebsrenten schließen, so die Expertin. “Deshalb müssen sich die Jungen fragen, ob sie mehr einzahlen würden, um sich damit im Alter besser abzusichern.“
Thorsten Schäfer-Gümbel über Lebenserwartung von arm und reich
Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) sagt, die Menschen mit den niedrigsten Einkommen leben acht Jahre kürzer als die mit den höchsten Einkommen.
Es ist richtig, dass - statistisch betrachtet - arme Menschen früher sterben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI). Die Forscher untersuchten die Lebenserwartungen von Menschen unterschiedlicher Einkommensgruppen. Demnach sind die Abweichungen zwischen armen und reichen Menschen sogar noch ein Stück weit größer. Laut Studie sterben Frauen aus der niedrigsten Einkommensgruppe durchschnittlich 8,4 Jahre früher als Frauen aus der Gruppe mit den höchsten Einkommen. Bei Männern ist die Differenz der Sterblichkeit sogar noch höher: Männer mit sehr niedrigen Einkommen sterben im Schnitt 10,8 Jahre früher als die reichsten.
Thorsten Schäfer-Gümbel über höheres Renteneintrittsalter
Thorsten Schäfer-Gümbel ist gegen eine pauschale Erhöhung des Renteneintrittsalters. Dies sei nichts anderes als eine einseitige Rentenkürzung. Besonders für die, die viele Jahre körperlich hart gearbeitet haben und es gar nicht schaffen, ihren Beruf bis zum regulären Renteneintrittsalter auszuüben. Hat er Recht?
Traute Meyer stimmt zu. Auch sie führt an, dass die Lebenserwartung von Bildungsgrad und sozialer Schichtzugehörigkeit beeinflusst wird. "Wohlhabendere und gebildete Menschen leben länger und haben auch während ihres Arbeitslebens schon größere Privilegien." Eine pauschale Erhöhung des Renteneintrittsalters würde die Menschen stärker treffen, die auch während ihres Erwerbslebens schon weniger hatten", sagt Meyer. Ihrer Ansicht nach ist das ungerecht.
Stand: 01.11.2016, 10:37 Uhr