Minus-Zinsen, Extra-Gebühren – Retten sich die Banken auf Kosten der Kunden?

Der Faktencheck zur Sendung vom 24.10.2016

Den Banken geht das Geld aus. Schrumpfzinsen und schärfere Auflagen verderben das Geschäft. Dazu die Altlasten aus den Zocker-Zeiten. Sind erhöhte Gebühren und Schummel-Verträge eine Art Notwehr auf Kosten der Kunden? Und was, wenn das alles nicht reicht?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen von Experten bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Uwe Fröhlich über Restschuldversicherungen

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken Uwe Fröhlich sagt, die Zahl der Restschuldversicherungen sei in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen.

Betrachtet man den Zeitraum zwischen 2000 und 2015, so ist die Zahl der jährlich neu abgeschlossenen Restschuldversicherungen nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) tatsächlich rückläufig. Wurden im Jahr 2000 noch rund 1,5 Millionen Neukunden registriert, waren es 2015 nur noch 678.380. In der jüngeren Vergangenheit gab es sowohl Zuwächse als auch Abnahmen bei Neuverträgen. 2013 etwa gingen sie im Vergleich zu 2012 von 635.000 auf 633.000 leicht zurück. 2014 verzeichnete der GDV zunächst einen neuerlichen Anstieg auf 781.500, ehe die Zahl der Neuverträge im vergangenen Jahr allerdings wieder um 13,2 Prozent auf 678.380 sank. Der Gesamtbestand an Restschuldversicherungen betrug im letzten Jahr 3,4 Millionen. Das waren 13,5 Prozent weniger als noch im Jahr 2014.

Sahra Wagenknecht über Niedrig- und Negativzinsen

Sahra Wagenknecht (Die Linke) ist sicher, dass die Niedrigzinspolitik der EZB in keiner Weise dazu beiträgt, die europäische Konjunktur ans Laufen zu bringen. Für sie sind die Negativzinsen lediglich eine Vermögenssteuer für die Mittelschicht. Hat sie Recht?

"Die Geldpolitik der EZB hat ihre Ziele klar verfehlt", sagt Thomas Hartmann-Wendels, Professor für Bankbetriebslehre an der Uni Köln. "Es wird nicht mehr investiert, nur weil der Zinssatz niedrig ist und die Banken mehr Kredite vergeben können." Der Zinssatz sei nämlich nur ein Faktor, der Investitionsentscheidungen beeinflusst, sagt der Bankexperte. Viel wichtiger seien die Nachfrageerwartungen sowie der Abbau bürokratischer Hemmnisse: "Die Politik hat es versäumt, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern, die EZB kann diese Versäumnisse nicht kompensieren." Nach Ansicht von Hartmann-Wendels führt die Niedrigzinspolitik zu einer Umverteilung von Vermögen: "Wer vor Beginn der Niedrigzinspolitik Sachkapital in Form von Immobilien oder Anteilen an Unternehmen erworben hat, hat von den sinkenden Zinsen profitiert, wer dagegen Geldvermögen gebildet hat, muss Vermögensverluste hinnehmen." Insofern wirke die Geldpolitik in der Tat wie eine Vermögenssteuer, sagt der Experte. Ob davon allerdings vor allem die Mittelschicht betroffen ist, könne nicht eindeutig festgestellt werden.

Auch für Rainer Haselmann, Professor für Finanzen, Rechungswesen und Steuern an der Uni Frankfurt/Main, ist das plausibel. "Niedrige Zinsen sollen die Kapitalkosten für Investitionsprojekte senken und somit Unternehmen zu mehr Investitionen animieren. Auf Seite der Konsumenten senken niedrige Zinsen die Rendite der Ersparnisse und machen somit sofortigen Konsum relativ attraktiver." Zahlreiche Studien zeigten allerdings, dass sich diese Geldpolitik im derzeitigen Umfeld nicht wie gewünscht auswirkt. "Die schwachen konjunkturellen Aussichten, die ggf. auch durch die Geldpolitik selbst gefördert wurden, führen dazu, dass Unternehmen trotz niedriger Zinsen nicht mehr Investitionen durchführen."

Die Aussage, die Niedrigzinspolitik komme einer Vermögenssteuer für die Mittelschicht gleich, sieht Rainer Haselmann allerdings kritischer. "Grundsätzlich führen Negativzinsen zu einer Vermögensumverteilung von Gläubigern zu Schuldnern. Somit stellen Negativzinsen eine ’Vermögenssteuer’ für Sparer da, also für die Menschen, die Kapital besitzen", sagt Haselmann. Er vermutet, dass Frau Wagenknecht mit ihrer Aussage unterstellt, dass die Mittelschicht im Vergleich zur sehr Vermögenden nur einen eingeschränkten Zugang zu alternativen Anlagenformen neben dem Sparkonto oder Festgeldanlagen hat. "Ich sehe aber keinen Grund, warum nicht auch die Mittelschicht direkten Zugang zum Kapitalmarkt haben sollte", sagt der Experte.

Norbert Walter Borjans über EZB und Sparzinsen

Norbert Walter-Borjans (SPD) sagt, es gebe ein Überangebot an Kapital. Selbst wenn die EZB beschließen sollte, den Leitzins wieder zu erhöhen, bedeute das noch lange nicht, dass auch die Zinsen der Sparer sofort wieder ansteigen werden. Hat er Recht?

Auch Thomas Hartmann-Wendels erinnert daran, dass die EZB die Zinsen durch zweierlei Maßnahmen beeinflusst. "Sie bestimmt den Zinssatz, zu dem Banken bei der EZB Geld leihen können, also den Leitzins, und zu dem sie bei der EZB Geld anlegen können. Der Leitzins liegt derzeit bei Null Prozent und der Einlagenzins beträgt minus 0,4 Prozent." Wenn die Banken sich bei der EZB umsonst Geld beschaffen können und für Überschüsse gar einen Strafzins bezahlen müssen, macht es für die Banken nach Ansicht des Experten keinen Sinn, den Sparern Zinsen zu bezahlen.

Neben dem Leitzins beeinflusse die EZB das Zinsniveau aber auch dadurch, dass sie in großem Umfang Anleihen, die von Staaten oder Unternehmen ausgegeben werden, aufkauft, so Hartmann-Wendels. "Damit nimmt sie den Banken Geldanlagemöglichkeiten weg und überschwemmt den Markt mit Liquidität, d.h. die Banken benötigen gar keine Spareinlagen mehr, um Kredite ausgeben zu können", erklärt der Experte. Beide Maßnahmenbündel, die Null- bzw. Negativzinspolitik und das Ankaufprogramm führen laut Hartmann-Wendels dazu, dass die Sparer keine Zinsen mehr erhalten oder sogar negative Zinsen in Kauf nehmen müssen. Er kommt zu dem Schluss: "Wenn die EZB ihre Geldpolitik ändern würde, würden auch die Zinsen wieder ansteigen."

Rainer Haselmann ist eher skeptisch. Auch in den USA sei schon seit geraumer Zeit eine Wende in der Zinspolitik angekündigt worden – am Kapitalmarkt habe dies jedoch nur zu einer minimalen Anhebung der Zinsen geführt. Der Bankenexperte hält eine zeitnahe Wende in der Zinspolitik der EZB für extrem unwahrscheinlich. Dies würde zu starken Einbrüchen der Aktienmärkte führen, befürchtet Haselmann. Außerdem führten höhere Zinsen zu einer noch höheren Schuldenlast der südeuropäischen Länder. “Eine weitere Verschärfung der fiskalischen Situation dieser Länder, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine neue Eurokrise zur Konsequenz haben“, sagt Haselmann. Seiner Ansicht nach wird sich die Geldpolitik der EZB nur sehr schwer umkehren lassen. Neben den Erfahrungen aus den USA stützt Haselmann seine Einschätzung auf die Beobachtung, dass auch die Teilnehmer am Kapitalmarkt langfristig mit niedrigen Zinsen rechnen.

Sahra Wagenknecht über Bankgebühren

Sahra Wagenknecht kritisiert die Gebühren, die Banken immer häufiger von ihren Kunden verlangen. Sie sagt, so schlecht stehe es um die meisten Banken gar nicht, dass sie es nötig hätten, die Kunden auf diese Weise zu belasten. Hat sie Recht oder sind die Gebühren der Banken gerechtfertigt?

"Die Zinsen für Spareinlagen sind in den vergangenen Jahren gesunken, dagegen flossen aus lang laufenden Krediten, die in Zeiten höherer Zinsen vergeben wurden, immer noch hohe Zinserträge", sagt Thomas Hartmann-Wendels. Die Banken haben in den vergangenen Jahren also von den sinkenden Zinsen profitiert. Diese über einen langen Zeitraum abgeschlossenen Kredite laufen aber zunehmend aus, so dass die Zinsüberschüsse für die Banken stark rückläufig sind, erklärt Hartmann-Wendels. Deshalb kann er nachvollziehen, dass Banken immer öfter Gebühren verlangen: "Bislang war das Girokonto häufig kostenlos, weil die Guthaben niedrig oder gar nicht verzinst wurden, die Bank aber das Geld zinsbringend anlegen konnte, d.h. die Kunden haben die Kontoführungsgebühr durch den Verzicht auf Zinsen bezahlt." Diese Möglichkeit sei aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB aber entfallen, sagt Hartmann-Wendels. Die Kosten, die durch Dienstleistungen im Zahlungsverkehr entstehen, müssten die Banken nun durch Gebühren decken.

"Ja und Nein", differenziert Rainer Haselmann. Im Kreditgeschäft müssen Banken durch die Zinsmarge ihre Betriebskosten decken, erklärt der Experte. Bei negativen Einlagezinsen falle dies aus zwei Gründen schwer. "Zum einen ist es sehr unpopulär negative Einlagenzinsen an den Kunden weiterzugeben. Zum anderen gibt es bei negativen Zinsen eine natürliche Obergrenze: im Extremfall rechnet es sich für ihn, das Geld in einem angemieteten Schließfach zu lagern." Nach Ansicht von Haselmann sind Gebühren für die Banken daher eine Möglichkeit ihre Betriebskosten zu decken ohne die negativen Zinsen an den Kunden weiter zu geben. Der Bankenexperte sieht unabhängig vom Zinsumfeld aber noch eine weitere wichtige Entwicklung im Bankenmarkt. "Der Digitalisierungstrend der letzten Jahre hat dazu geführt, dass Direktbanken ihre Dienste auch ohne ein teures Filialnetz anbieten können. Direktbanken haben erheblich niedrigere Betriebskosten und können somit in der Regel bessere Zinsmargen an ihre Kunden weitergeben bzw. niedrigere Gebühren verlangen." Grundsätzlich seien also die Betriebskosten der Banken und nicht nur die niedrigen Zinsen für die Höhe der Gebühren verantwortlich, so Haselmann.

Stand: 20.09.2016, 14:05 Uhr