Jung, männlich, ungebildet? Der Integrations-Check bei hartaberfair!

Der Faktencheck zur Sendung vom 29.02.2016

Fachkraft von morgen oder Mindestlohn und Hartz IV für immer: Welche Chancen haben Flüchtlinge am Arbeitsmarkt? Sind Schulen und Betriebe überhaupt gerüstet? Und bringen die Zuwanderer genug Wissen und Willen mit, um in unserer Arbeitswelt zu bestehen?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen der Gäste. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Ludger Wößmann über Syrer und Schulbildung

Der Bildungsökonom Ludger Wößmann glaubt, dass viele Syrer aufgrund ihres Bildungsstandes große Probleme bekommen werden, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Zwei Drittel der Syrer erreichten gerade einmal das PISA-Kompetenzniveau 1. Stimmt das?

Ulrich Kober, Direktor des Programms "Integration und Bildung" bei der Bertelsmann-Stiftung, sieht das differenzierter. Richtig sei, dass syrische Achtklässler im Jahr 2011 bei der TIMSS-Studie – einer internationalen Vergleichsstudie zu Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften – sehr schlecht abgeschnitten haben. "Aus diesen Daten folgert Wößmann in einer Studie von 2015 über 'Universal Basic Skills', dass 65 Prozent der syrischen Schüler unter einem Schwellenwert für die absoluten Grundkompetenzen liegen, wie sie die OECD mit der PISA-Kompetenzstufe 1 definiert hat", so Kober. Zwar gäben die TIMSS-Ergebnisse für Syrien tatsächlich Hinweise darauf, dass das syrische Schulsystem im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften vor Ausbruch des Krieges im internationalen Vergleich sehr leistungsschwach war, sagt Kober. Er schränkt aber ein: "Die Ableitung, viele junge Syrer, die heute als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, verfügten über eine schlechte Schulbildung, liegt nahe, ist aber nur mit Vorsicht zu treffen." Es sei theoretisch ebenso möglich, dass die eher besser Gebildeten nach Deutschland gekommen sind, weil ihnen bildungs- und finanzstarke Familien die Flucht ermöglichen konnten, sagt Kober. Um stichhaltige Aussagen treffen zu können, mangele es derzeit aber an empirische Daten von hier lebenden syrischen Flüchtlingen: "Über die schulischen und beruflichen Qualifikationen von Flüchtlingen gibt es zurzeit keine verlässlichen Daten. Bisherige Untersuchungen dazu beruhten auf freiwilligen Selbstauskünften und waren nicht repräsentativ", stellt Kober klar.

Cem Özdemir über die Dauer von Asylverfahren

Cem Özdemir (Bd.90/Die Grünen) sagt, Afghanen, die in Deutschland Asyl beantragen, warten bis zu 13 Monate auf einen Bescheid. Somalier sogar über 14 Monate.

Die Dauer eines Asylverfahrens für Afghanen liegt tatsächlich in dieser Größenordnung. 2014 dauerte ein Verfahren für Afghanen durchschnittlich 13.9 Monate. Nicht ganz so lange mussten Somalier auf eine Entscheidung warten. Im Schnitt bekamen sie nach 9.2 Monaten einen Bescheid. Am längsten dauerten die Bearbeitungszeiten für Pakistaner: 15,7 Monate mussten sie warten, ehe sie über eine Entscheidung informiert wurden. Betrachtet man alle Verfahren, so lag die durchschnittliche Bearbeitungszeit im Jahr 2014 bei 7,1 Monaten. Damit dauert ein durchschnittliches Verfahren aber immer noch über vier Monate länger als von der Bundesregierung angestrebt: Im Koalitionsvertrag von 2013 einigten sich die Regierungsparteien auf eine maximale Bearbeitungsdauer von drei Monaten.

Ludger Wößmann über Konkurrenz am Arbeitsmarkt

Ludger Wößmann widerspricht der häufig aufgestellten Behauptung, Flüchtlinge konkurrierten mit gering qualifizierten deutschen Arbeitnehmern um Jobs. Es seien vor allem die schon hier lebenden Migranten, die mit diesem Konkurrenzdruck konfrontiert werden. Wie groß ist die Konkurrenz durch Flüchtlinge tatsächlich?

"Ludger Wößmann hat recht", stimmt Ulrich Kober zu. Zahlreiche internationale Studien hätten keine Belege dafür vorweisen können, dass Zuwanderer Einheimische auf dem Arbeitsmarkt verdrängen. "Im Gegenteil zeigt sich, dass es mittel- bis langfristig sogar positive Effekte auf die Arbeitsmarktergebnisse der einheimischen Bevölkerung gibt. Sie resultieren vor allem aus expandierenden Firmen und einer gesteigerten Innovationskraft als Folge der Zuwanderung", sagt Kober. Dies gelte sogar für Flüchtlinge, deren Qualifikationsstruktur sehr heterogen ist und bei denen der Anteil gering Qualifizierter tendenziell hoch ausfällt, so der Bildungswissenschaftler: "Studien zeigen, dass auch der Zuzug von Flüchtlingen positive Effekte auf die Beschäftigung und das Lohniveau im Aufnahmeland haben kann – allein schon durch die Nachfrageeffekte, die dies auslösen kann." Als Beleg nennt Kober eine Untersuchung der massiven Einwanderung von Flüchtlingen nach Dänemark in den Jahren 1990 bis 2008. So hätten Einheimische als Folge der Flüchtlingswelle beruflich verbesserte und anschließend komplexere Tätigkeiten ausgeübt. "Dieser Befund wird damit erklärt, dass Flüchtlinge vor allem aufgrund von Sprachproblemen zumindest anfangs fast ausschließlich in Berufe mit einfacheren und handwerklichen Tätigkeitsprofilen drängten. Im Ergebnis entstehen auf diese Weise durch die Zuwanderung von Flüchtlingen auch positive Lohneffekte für Einheimische, die ursprünglich geringer entlohnte Tätigkeiten ausüben – ohne dass sich ihr Arbeitslosigkeitsrisiko dauerhaft erhöht", sagt Kober.

Uwe Hück über benötigte Arbeitskräfte

Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender bei Porsche, sagt, bis zum Jahr 2025 würden in Deutschland 6,5 Millionen Arbeitskräfte benötigt, um den wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten. Stimmt seine Prognose?

Die gleiche Aussage hatte Uwe Hück bereits bei seinem letzten "hart aber fair" - Auftritt im vergangenen September geäußert. Nach Ansicht von Prof. Herbert Brücker, Volkswirtschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitsmarkt und Integration, kann diese Aussage aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht mit ja oder nein beantwortet werden. "Richtig ist, dass ohne Wanderungen die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahr 2025 in den von Herrn Hück genannten Größenordnungen zurückgehen würde. Das Erwerbspersonenpotenzial, aufgrund einer steigenden Erwerbsbeteiligung und eines späteren Renteneintritts, um knapp 5 Millionen Personen." Allerdings passe sich die Volkswirtschaft sowohl an ein steigendes als auch an ein schrumpfendes Arbeitsangebot an, so Brücker. "So wird bei einem Rückgang des Arbeitsangebots weniger investiert, weniger nachgefragt und weniger produziert, so dass die Volkswirtschaft insgesamt schrumpft. Damit geht auch die Arbeitsnachfrage zurück, es kann auch bei einem starken demografischen Wandel weiter Arbeitslosigkeit geben", sagt Brücker.

Benötigt würden die zusätzlichen Arbeitskräfte jedoch für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. "Ohne Zuwanderung müssten immer weniger Erwerbstätige immer mehr Personen finanzieren, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen. Zuwanderung kann dieses Problem zwar nicht lösen, weil Migranten auch älter werden, aber deutlich abmildern." Ob sich positive Erträge für den Sozialstaat ergeben und wie hoch sie ausfallen wird aber nach Ansicht von Brücker davon abhängen, wie gut die Migranten in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Ludger Wößmann über Schulen und Integration

Ludger Wößmann sagt, Kinder von Migranten aus vergangenen Einwanderungswellen schneiden bei den PISA-Studien sehr schlecht ab. Hieraus müsse man Lehren ziehen. So sei es besser, Flüchtlingskinder so schnell wie möglich in den normalen Unterricht zu integrieren und nicht zu lange in "Willkommensklassen" zu unterrichten. Dies erschwere ihre Integration. Hat er recht?

Die Empfehlung zugunsten einer frühen Integration in die Regelklasse, ist nach Ansicht von Ulrich Kober richtig. Der Bildungsexperte nennt drei Gründe: Zum einen sei eine frühe Integration in den normalen Unterricht sprachdidaktisch sinnvoll. "In Willkommens- oder Seiteneinsteigerklassen sind Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Unterstützungsbedarf und schlechten Deutschkenntnissen gehäuft vertreten. Das erschwert den Erwerb der deutschen Sprache, denn neu zugewanderte Kinder können nicht vom 'Sprachbad' mit Schülern profitieren, deren Familiensprache Deutsch ist."

Darüber hinaus gelte zumindest in Grundschulen, dass alle Kinder, egal ob mit Herkunftssprache Deutsch oder nicht, Lernanfänger in der deutschen Schriftsprache seien, so Kober. Darüber hinaus stelle eine frühe Integration in den normalen Unterricht die Verknüpfung von Spracherwerb und Unterrichtsinhalten sicher, so Kober. "Experten sind sich darin einig, dass der Spracherwerb so früh wie möglich mit dem Erwerb fachlicher Inhalte und Kompetenzen verknüpft sein sollte. Willkommensklassen konzentrieren sich hingegen häufig ausschließlich auf das Vermitteln der deutschen Sprache." Nach Ansicht von Kober sei es besser, zusätzliche Sprachförderung in Deutsch anzubieten, die über den regulären Unterricht hinausgeht, diesen aber nicht ersetzt.

Zum Dritten wirke sich eine frühe Integration in den normalen Unterricht auch sozial positiv aus, so der Experte. "Neben dem Spracherwerb sind auch soziale Kontakte für eine erfolgreiche Integration zentral. Bei einem schnellen Übergang in die reguläre Schulklasse können Bindungen zu deutschen Mitschülern entstehen, die helfen, sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden." Dies helfe sogar bei der Integration der Eltern der geflüchteten Kinder: "Die Kinder erlernen in der Regel die deutsche Sprache schneller und wirken so auch als Mittler zwischen den Kulturen und unterstützen ihre Eltern bei der Orientierung in der deutschen Gesellschaft", erklärt Kober.

Stand: 01.03.2016, 10:07 Uhr