Die Todeszelle des berüchtigten Huntsville-Gefängnisses in Texas (Archivfoto von 2000)

Die Todesstrafe - Zehn Fragen, zehn Antworten

Verbrechen

Stand: 20.11.2023, 10:26 Uhr

Zwei Drittel der Menschen weltweit leben in Ländern, in denen die Todesstrafe gilt. Warum halten viele Länder daran fest? Schreckt die Todesstrafe Verbrecher ab? Die zehn wichtigsten Fragen zur Todesstrafe - und die Antworten.

Von Stefan Weisemann

In den letzten Jahrzehnten haben immer mehr Länder die Todesstrafe abgeschafft. Andere Länder halten dagegen eisern an ihr fest. Warum ist das so? Wo wird die Todesstrafe noch besonders häufig vollstreckt? Und werden wir irgendwann in einer Welt ohne Todesstrafe leben? Das sind die zehn wichtigsten Fragen und Antworten zur Todesstrafe.

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Die Todesstrafe in Deutschland

Wann wurden in Deutschland die letzten Todesurteile vollstreckt?

"Die Todesstrafe ist abgeschafft". Artikel 102 des deutschen Grundgesetzes ist kurz und deutlich. Am 23. Mai 1949 tritt das Grundgesetz in Kraft - zumindest in Westdeutschland ist die Todesstrafe damit Geschichte. Nur wenige Tage vorher spricht das Landgericht Köln das letzte Todesurteil auf westdeutschem Boden aus - gegen die Giftmörderin Irmgard S. Vollstreckt wird es nicht. Das Gericht wandelt es in eine lebenslange Haft um. Mehr zu diesem Fall mit seiner überraschenden Wendung bei WDR Lokalzeit MordOrte.

Bei Berthold Wehmeyer gab es eine solche Wendung nicht. Der 24-Jährige hatte in Brandenburg eine ältere Frau vergewaltigt und getötet. Das Urteil: Der Tod. Am 11. Mai 1949 wurde Wehmeyer im Zellengefängnis Moabit in West-Berlin per Guillotine hingerichtet - das letzte vollstreckte Todesurteil auf westdeutschem Boden.

Damit ist die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland noch lange nicht zu Ende, denn in der DDR galt sie noch fast vier weitere Jahrzehnte. Mindestens 168 Menschen wurden dort hingerichtet. Das letzte Opfer: Der Stasi-Hauptmann Werner Teske. Er wurde am 26. Juni 1981 im Gefängnis in Leipzig von hinten erschossen.

Teske soll am sozialistischen System gezweifelt und darüber nachgedacht haben, zur Bundesrepublik überzulaufen. Experten gehen heute davon aus, dass diese Gedanken nur vage waren und die Verurteilung Teskes vor allem als Abschreckung für andere mögliche Überläufer dienen sollte. Nach der Wende wurden ein Richter und ein Staatsanwalt zu jeweils vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil die Verurteilung Teskes auch nach DDR-Recht nicht rechtmäßig war.

Wann wurde die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft?

Am 18. Dezember 1987 bestätigte die Volkskammer der DDR die Abschaffung der Todesstrafe. Staatschef Erich Honecker hatte diese Änderung schon im Juli angekündigt. Möglicherweise als Zeichen der Menschlichkeit in Richtung Bundesrepublik. Denn kurz darauf trat Honecker seinen ersten Besuch beim damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl an.

In der Bundesrepublik gab es das Aus für die Todesstrafe schon deutlich früher. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 war sie in Westdeutschland Geschichte. Prof. Frank Neubacher, Kriminologe an der Universität Köln, geht davon aus, dass "man sich ganz bewusst auch vom Nationalsozialismus hat absetzen wollen."

Bemerkenswert: In Hessen wurde die Todesstrafe erst 2018 im Zuge einer Volksabstimmung aus der Landesverfassung gestrichen. Gültig war sie dort allerdings ohnehin nicht. Den Grund liefert das Grundgesetz selbst: "Bundesrecht bricht Landesrecht", heißt es dort.

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Verbrechen und Vollstreckung

Wo gibt es die Todesstrafe heute noch?

Weltweit gilt die Todesstrafe noch in 55 Ländern, also in etwas mehr als jedem vierten Land weltweit. Diese Zahl sinkt stetig. Zuletzt haben unter anderem Kasachstan, Papua-Neuguinea und Sierra Leone die Todesstrafe komplett abgeschafft. Unter den Ländern, die daran weiter festhalten, sind mit Indien, China, rund der Hälfte der Bundesstaaten der USA, Indonesien und Pakistan allerdings die bevölkerungsreichsten Länder der Welt. "Das bedeutet: Zwei Drittel der Menschen weltweit leben in Ländern, in denen die Todesstrafe noch gilt", sagt Alexander Bojčević, Todesstrafen-Experte bei Amnesty International.

Auch in Europa ist sie nicht komplett abgeschafft. Belarus wendet die Todesstrafe noch an. Bis vor Kurzem als mögliche Strafe für Mord und Terrorismus. Im März 2023 hat Machthaber Lukaschenko sie dann noch ausgeweitet. Auch Hochverrat von Staatsbediensteten und Militärs wird jetzt mit dem Tode bestraft. Immer wieder werden laut Amnesty International in Belarus auch Todesurteile vollstreckt.

Wo wird die Todesstrafe am häufigsten vollstreckt?

In China. "Dort gibt es jedes Jahr tausende Hinrichtungen, mehr als im ganzen Rest der Welt", erklärt Bojčević. "Die genaue Zahl ist allerdings unklar, weil China keine Zahlen von Hinrichtungen veröffentlicht - sie gelten als Staatsgeheimnis". Ebenso verhalten sich Nordkorea und Vietnam. Auch hier geht Amnesty International von Hinrichtungen "in großem Ausmaß" aus.

Die von Ländern selbst gemeldeten Zahlen sind also nur bedingt belastbar. Nach der Auswertung von Amnesty International wurden im Jahr 2022 weltweit mindestens 883 Menschen hingerichtet. Mit Abstand die meisten im Iran (576), es folgen Saudi-Arabien (65) und Ägypten (24). Nach Unterbrechungen wurden unter anderem in Afghanistan, Kuwait und Singapur im letzten Jahr wieder Todesurteile vollstreckt.

Für welche Verbrechen werden Menschen zum Tode verurteilt?

In allen Ländern, in denen die Todesstrafe gilt, wird sie für Mord verhängt. Dazu kommen je nach Land eine ganze Reihe weiterer Verbrechen. Vor allem auch Verbrechen, bei denen die Geschädigten nicht unmittelbar zu Tode kommen. In vielen Ländern werden Drogendelikte mit dem Tode bestraft, etwa in Singapur. Zum Beispiel in Pakistan kann Ehebruch zur Todesstrafe führen, in Saudi-Arabien die Prostitution. "In Vietnam steht sogar die Weitergabe von Zahlen zur Todesstrafe unter Todesstrafe", sagt Bojčević.

Unter anderem der Iran setzt die Todesstrafe laut Amnesty International auch als Mittel zur politischen Unterdrückung ein. Zuletzt im Rahmen der landesweiten Proteste gegen das Regime nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam. Außerdem wurden im Iran auch verstärkt Angehörige ethnischer Minderheiten hingerichtet.

Weltweit waren Ende 2022 mindestens rund 28.300 Menschen zum Tode verurteilt und haben auf ihre Hinrichtung gewartet, dokumentiert Amnesty International. Die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen, da unter anderem aus China, Ägypten, Nordkorea und Saudi-Arabien keine Zahlen vorlagen. Klar ist, dass auch in diesen Ländern viele zum Tode Verurteilte in den Gefängnissen sitzen.

Wie wird die Todesstrafe vollstreckt?

In den USA wird den Verurteilten eine Giftspritze verabreicht. Weil es teilweise an den dafür benötigten Präparaten mangelt, wurden Hinrichtungen in den letzten Jahren immer wieder verschoben. Das US-Informationszentrum für Todesstrafen berichtet auch von weiteren Komplikationen. So soll es 2022 im Bundesstaat Alabama bei einer Hinrichtung drei Stunden gedauert haben, bis es gelungen sei, dem Verurteilten die Infusion für die Giftspritze zu legen.

In vielen anderen Ländern werden die Verurteilten am Galgen gehängt, unter anderem in Ägypten, Bangladesch, dem Iran und Südsudan. In Belarus ist der Genickschuss die gängige Praxis. Unter anderem auch in Afghanistan, China, Palästina und Somalia werden die Verurteilten erschossen. In Saudi-Arabien gibt es darüber hinaus den Tod durch Enthauptung, teilweise auch öffentlich.

Dazu kommen auch immer wieder Steinigungen, eine besonders brutale Art der Todesstrafe. Die Opfer werden dabei so lange mit spitzen Steinen beworfen bis der Tod eintritt. Im letzten Jahr gab es laut Amnesty International allerdings keine Berichte über gerichtlich veranlasste Steinigungen.

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Argumente und Abschreckung

Mit welchen Argumenten halten Länder an der Todesstrafe fest?

Das größte Argument: Die Todesstrafe soll Kriminelle abschrecken und die Gesellschaft vor möglichen weiteren Taten eines Verurteilten schützen. Auch die gerechte Vergeltung ist ein häufig vorgebrachtes Argument der Befürworter: Wer tötet, müsse selbst getötet werden. Den Hinterbliebenen von Mordopfern solle die Todesstrafe außerdem Gerechtigkeit bringen.

In den USA betonen die Befürworter auch, dass die Bevölkerung die Todesstrafe unterstützt. Tatsächlich waren in Umfragen zuletzt noch rund 60 Prozent der Amerikaner für die Todesstrafe, Tendenz fallend. Viele haben aber auch Bedenken: Fast 80 Prozent der Befragten sagen, es bestehe ein gewisses Risiko, dass Unschuldige hingerichtet werden.

Schreckt die Todesstrafe tatsächlich ab?

"Die Abschreckungswirkung ist bestenfalls fraglich", sagt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zur Todesstrafe. Sie fasst damit zusammen, was Studien, Wissenschaftler und weitere Experten seit Jahrzehnten immer wieder anmerken und belegen.

Amnesty International-Experte Bojčević, sagt: "In den US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe gilt, ist die Mordrate teilweise deutlich höher als in denen, die sie abgeschafft haben." Außerdem verweist der Experte auf Kanada. Dort wurde die Todesstrafe Mitte der 70er Jahre abgeschafft, die Mordrate ist heute deutlich niedriger, als vor der Abschaffung.

"Viele Morde und Tötungen geschehen spontan, also ungeplant. Wenn Mörder planvoll vorgehen, dann gehen sie auch meist davon aus, dass sie nicht erwischt werden. Die Todesstrafe bringt in diesen Fällen also keine Abschreckung", sagt Bojčević.

Welche Argumente gegen die Todesstrafe gibt es darüber hinaus?

Die Todesstrafe verletzt das Recht auf Leben. So lautet das klarste und häufigste Argument gegen die Todesstrafe. Der Kriminologe Neubacher erklärt es so: "Wir sind davon überzeugt, dass auf die Todesstrafe verzichtet werden muss, um diese Unverletzlichkeit menschlichen Lebens als oberstes Prinzip zu bekräftigen. Und wenn der Staat von sich aus sagen würde, das Leben ist kostbar, [...] wir verhängen jetzt aber Todesurteile, das wäre gewissermaßen ein ethischer Widerspruch."

Gegner der Todesstrafe gehen davon aus, dass auch Unschuldige hingerichtet werden. Laut einer Studie des US-Todesstrafen-Informationszentrums sind in den USA seit Mitte der 70er Jahre 185 Menschen aus dem Todestrakt entlassen worden, weil sich im Nachhinein ihre Unschuld herausgestellt hat. Fehler von Polizisten und Staatsanwälten sowie Falschaussagen hatten zu den Fehlurteilen geführt. Dies lässt darauf schließen, dass Unschuldige wohl tatsächlich auch hingerichtet wurden. Dafür gibt es bisher aber keine konkreten Belege.

Auch die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung, wie zum Beispiel in den USA, lassen Menschenrechtler nicht gelten. Amnesty International betont, dass auch die Sklaverei oder die Rassentrennung von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurden. Zu Unrecht, wie sich im Rückblick zeigt.

Was wird für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe getan?

Die Leitlinie der Europäischen Union ist eindeutig: "Die Europäische Union lehnt die Todesstrafe in allen Fällen und unter allen Umständen entschieden und unmissverständlich ab." Sie setzt sich deshalb dafür ein, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen. Bojčević sieht in den letzten Jahren eine positive Entwicklung. "Die EU ist in diesem Bereich sehr engagiert", sagt er.

Auch die Vereinten Nationen fordern einen weltweiten Stopp von Hinrichtungen. Ende 2022 stimmten 125 Länder für eine Resolution, dass die Todesstrafe weltweit ausgesetzt wird. So viele wie noch nie. Nur noch 37 Länder haben sich in der Abstimmung dagegen ausgesprochen. Der Trend ist damit klar: Die Todesstrafe ist weltweit auf dem Rückzug. Bojčević sagt deshalb: "Ich bin optimistisch, dass es in einigen Jahrzehnten weltweit keine Todesstrafe mehr gibt." Zumindest offiziell.