Lothar Beckers

Zehn unbequeme Fragen an einen Richter

Mönchengladbach | Verbrechen

Stand: 12.07.2023, 08:59 Uhr

35 Jahre lang war Lothar Beckers Richter am Landgericht Mönchengladbach. Bis 2021 verhandelte er die größten Fälle der Stadt, entschied über die Zukunft von Mördern und Vergewaltigern. Unserer Autorin verrät Beckers, wann er selbst etwas Illegales gemacht hat und wie er unliebsamen Anwälten eins auswischte.

Von Helena Kaufmann

1. Lokalzeit: Mussten Sie schon mal jemanden laufen lassen, von dem Sie sicher waren, dass er schuldig ist?

Lothar Beckers: Ja. Da war jemand, der ein Hotel überfallen hat. Doch die Indizien haben am Ende nicht ausgereicht. Daraufhin mussten wir ihn freisprechen. Irgendwann später hat er dann leichtsinnigerweise in einer anderen Gerichtsverhandlung als Zeuge ausgesagt und diese Tat gestanden.

Lokalzeit: Konnte man ihn dann dafür nochmal verurteilen?

Beckers: Ja, es gibt die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens.

2. Lokalzeit: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie ihn nach dem ersten Prozess laufen lassen mussten?

Beckers: Höchste Unzufriedenheit. Das war ein Störgefühl, das hat auch noch länger angedauert. Dann muss man sich immer so ein bisschen beruhigen mit dem Satz: "Du hast nach der Prozessordnung entschieden."

3. Lokalzeit: Welche Straftat haben Sie mal begangen?

Beckers: Ich habe mal in der Jugend Cannabis geraucht. Das ist alles verjährt. Ich sage jetzt nicht wie Bill Clinton: "Ich habe am Joint gezogen, aber nicht inhaliert." Das ist Kappes. Irgendwann ist man dann aus dieser Phase raus und überlegt, ob man irgendwas anderes nehmen soll. Ich bin Rot- und Weißwein verfallen.

4. Lokalzeit: Kann man mit Ihnen noch streiten oder haben Sie am Ende immer recht?

Beckers: Da müsste ich Sie an meine Frau weiterleiten. (lacht) Ich denke, dass man mit mir streiten kann, ich habe auch nicht immer recht und ich hoffe, dass ich auch nachgeben kann. Aber das ist eine Selbsteinschätzung. Wie es in Beurteilungen so schön steht: "Er ist Argumenten sehr aufgeschlossen und kann anderen Meinungen nachgeben."

Lokalzeit: Solche Gutachten haben aber auch eine nicht allzu geringe Fehlerquote.

Beckers: Ja, richtig. Das stimmt auch. (lacht)

5. Lokalzeit: Haben Sie in ihrem Beruf vielleicht auch das Streiten gelernt?

Beckers: Das ist im juristischen Beruf so, dass man sich mit verschiedenen Dingen auseinandersetzt und mit der Zeit lernt, zu argumentieren: Erst die schwächeren Argumente bringen, dann die stärkeren. Etwas, das häufig verloren geht, aber sehr wichtig ist: zuhören und ausreden lassen.

6. Lokalzeit: Welche Strafe würden Sie gerne abschaffen?

Beckers: Was man abschaffen kann, ist das Schwarzfahren als Straftatbestand. Denn ich sehe keine Grundlage, warum Schwarzfahren eine Strafe ist. Das schützt nur den öffentlichen Personennahverkehr und ich weiß nicht, ob hier Schutz angebracht ist.

7. Lokalzeit: Haben Sie Anwälten oder Verteidigern, die Sie nicht leiden konnten, mal eines ausgewischt?

Beckers: Ja. Mein Saal am Landgericht in Mönchengladbach war der Schwurgerichtssaal - ein Altertümchen ohne Klimaanlage. Wenn es richtig heiß war, habe ich den Beteiligten gesagt, dass sie die Roben ausziehen können. Und dann empfand ich das zugegeben immer als Genugtuung - insbesondere bei Verteidigern oder Staatsanwälten, die ich nicht leiden konnte - wenn sie die Roben tatsächlich ausgezogen haben. Ich habe die Robe noch nie ausgezogen.

Lokalzeit: Und was haben Sie unter der Robe getragen?

Beckers: Jackett, weißes Hemd und weiße Krawatte, Anzug oder aber auch schon mal eine Jeans.

8. Lokalzeit: Welche Frage ist die nervigste, die Ihnen auf Dinnerpartys gestellt wird?

Beckers: Das geht dann so: "Ich habe gehört, du bist Jurist. Ich habe da mal eine Frage. Mein Nachbar hat eine Hecke und die wächst einen Meter zu uns rüber." Ich habe mir angewöhnt dann zu sagen: "Ah, Nachbarschaftsrecht. Nee, da habe ich überhaupt keine Ahnung von." Also, nicht, dass ich nicht gerne helfe, aber wenn das von Leuten kommt, die ich gar nicht kenne oder nicht besonders mag, dann ist das lästig.

9. Lokalzeit: Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?

Beckers: Ja, ich glaube an das Gute im Menschen. Aber ich habe gelernt, dass vieles grau ist und jeder Mensch Schwächen hat. Ich würde nie sagen: "Boah, das traue ich ihm nicht zu." Das kann man nicht sagen.

10. Lokalzeit: Würden Sie sich selbst etwas Schlechtes zutrauen?

Beckers: Ja, da packe ich mich mit rein.

11. Lokalzeit: Nerven Sie Gerichtsserien?

Beckers: Ja, sehr. Aber noch mehr nervt mich der Tatort. Das ist Kasperletheater, wenn man das nur halbwegs nach juristischen Maßstäben beurteilt, dann ist das alles Quatsch. Man hört immer, wenn etwas falsch dargestellt wird, dass es der Dramatik geschuldet sei. Wenn man einen richtigen juristischen Berater beim Drehbuch dabei hat, dann kann man es juristisch richtig und trotzdem spannend machen.

Mehr von Lothar Beckers sehen Sie am 12. Juli um 22.15 Uhr in einer Folge von MordOrte im WDR-Fernsehen oder in der ARD-Mediathek.