Marita Dias Monteiro kennt sich aus mit menschlichen Abgründen. Und mit den Schäden, die sie verursachen können. Wer im Rhein-Erft-Kreis Opfer häuslicher Gewalt wird, spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der 47-Jährigen darüber. Sie sitzt an ihrem großen hölzernen Schreibtisch im Polizeirevier, als das Telefon klingelt. Dias Monteiro nimmt ab, lässt den Anrufer kurz sprechen. "Ja, da sind sie an der richtigen Stelle", bestätigt sie mit freundlicher Stimme. Ruhig hört sie zu, was den Mann belastet, stellt immer wieder Zwischenfragen. Am Ende des Gesprächs wird sie ihm die passende Organisation vermitteln.
Dias Monteiro ist eine von sieben Opferschützern bei der Polizei im Rhein-Erft-Kreis. Sie helfen Betroffenen von Gewalttaten und Unfallopfern, Beratungsstellen oder Zufluchtsorte zu finden. Dafür arbeiten sie eng mit Hilfsorganisationen zusammen. Manchmal unterstützen sie auch die Angehörigen oder Zeugen. Opferschutzbeauftragte gibt es in jeder Kreispolizeibehörde. Ein Blick in die Statistik zeigt, warum ihre Arbeit so wichtig ist. Im Jahr 2022 wurden laut Polizei NRW mehr als 290.000 Menschen Opfer von Gewaltdelikten, im selben Jahr starben 451 Menschen bei Verkehrsunfällen, dazu kamen weitere 12.514 Schwerverletzte. Dias Monteiro ist im Rhein-Erft-Kreis vor allem für die Opfer häuslicher Gewalt zuständig. Davon gab es im Kreis 2022 fast 1.000 Fälle.
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"Es ist ein sehr dankbarer Job"
Oft melden sich nicht die Geschädigten zuerst, sondern werden von den Opferschützern kontaktiert. "Wir warten immer ein, zwei Tage, bis sich die Situation beruhigt hat. Denn Geschädigte sind nach so einem Ereignis sehr aufgewühlt und nicht aufnahmefähig", sagt die Kriminalhauptkommissarin und sichtet dabei am Computer die neu eingegangenen Fälle. "Dann nehmen wir Kontakt auf und erkundigen uns erst einmal, wie es dem Geschädigten geht und ob überhaupt Bedarf an einem Gespräch besteht." Mit manchen Geschädigten hat Dias Monteiro immer wieder zu tun. An einen Fall erinnert sie sich besonders gut.
"Empathie ist gefragt und zuzuhören. Geschädigte haben immer erstmal Redebedarf", sagt Dias Monteiro. Sie arbeitet seit sieben Jahren als Opferschützerin. Vor ihrer aktuellen Tätigkeit war sie 20 Jahre auf Streife, erzählt die Beamtin. "Da gibt es nichts, was man nicht gesehen hat." An manches werde sie sich aber nie gewöhnen. "Alle Fälle, in denen Kinder involviert sind, gehen mir immer nahe."
Während die Zahl der Fälle von Gewalt gegen Polizisten und Polizistinnen bundesweit laut Bundeskriminalamt seit Jahren steigt, erleben Dias Monteiro und ihre Kollegen als Opferschützer vor allem viel Zuspruch für ihre Arbeit. "Die Rückmeldungen sind fast nur positiv", sagt Dias Monteiro. "Das können Dankeskarten sein, Anrufe, manchmal erscheinen hier Geschädigte und besuchen einen. Es ist ein sehr dankbarer Job."
Damit der Verkehrsunfall nicht zum Trauma wird
Nur wenige Meter von Dias Monteiros Büro, nur ein paar Schritte über den grauen Flur der Kreispolizeibehörde, sitzt ihr Kollege Uwe Raschke. Während Dias Monteiro sich vor allem um Opfer häuslicher Gewalt kümmert, betreut er Menschen, die durch Unfälle traumatisiert oder belastet sind. "Früher ist die Polizei einfach nur zur Unfallstelle gekommen. Wenn der Unfall aufgenommen war, war die Sache erledigt. Man hat aber festgestellt, dass die Leute große Probleme mit dem Verarbeiten haben", sagt der Polizeihauptkommissar.
Nach einem Unfall kontaktiert der 59-Jährige alle Beteiligten, die im Polizeibericht stehen und vermittelt sie bei Bedarf an Trauma-Ambulanzen, Psychologen oder private Hilfsorganisationen. Raschke weiß: Manchmal ist es nicht der Verursacher, der Geschädigte oder ein Beifahrer, der Unterstützung braucht, sondern eine vermeintlich unbeteiligte Person. Zu erkennen, wo Hilfe gebraucht wird, ist nicht immer einfach. Sie zu geben, ist aber umso wichtiger. Denn Traumata, die nicht erkannt und behandelt sind, können Menschen ein Leben lang belasten.
In ihrem Job werden beide Polizisten tagtäglich mit Gewalt oder schlimmen Schicksalen konfrontiert. Nicht immer ist es einfach, sich abzugrenzen. Privates und Berufliches trennen sei dabei das Wichtigste, sagen beide. "Wenn Feierabend ist, dann ist Feierabend und ich kann gedanklich damit abschließen. Ich habe eine tolle Familie und einen tollen Freundeskreis, da finde ich einen Ausgleich", sagt Dias Monteiro.
Raschke ergänzt: "Ich versuche, die Geschädigten auf der sachlichen Ebene zu behandeln und das Ganze nicht an mich heranzulassen." Um abzuschalten, engagiert er sich als Berater für Verkehrssicherheit an Schulen. "Das sind sehr viele schöne Erlebnisse."
Über das Thema haben wir am 24.01.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.