Einen großen Schlüsselbund hält Stefan Schwarz in seiner rechten Hand. Mehrere schwere blaue Sicherheitstüren muss er damit aufschließen, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Der Gefängnispfarrer läuft durch die langen Gänge der Justizvollzugsanstalt Rheinbach. Sein Ziel an diesem Morgen ist sein Schrank, in dem Briefe der Häftlinge liegen.
Sie schreiben ihm, wenn ihnen etwas auf der Seele brennt, wenn sie am Gottesdienst teilnehmen oder beichten möchten. Seitdem sein evangelischer Kollege im Herbst 2023 in Rente gegangen ist, sind die Poststapel für den 64-jährigen katholischen Seelsorger noch dicker als vorher.
Gefängnisseelsorge in NRW
In den 36 Justizvollzugsanstalten und fünf Jugendarrestanstalten in Nordrhein-Westfalen arbeiten rund 90 christliche Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger – die Hälfte davon ist katholisch, die andere evangelisch. Auch muslimische und jüdische Gemeinden und Vereine schicken Seelsorger in die Gefängnisse.
Die Hauptaufgabe der Seelsorger ist, die Gefangenen während der Haft zu unterstützen. Mit Einzel- oder Gruppengesprächen und Angeboten wie Chor, Musikgruppen, Andacht und Gottesdiensten.
- Zum Beitrag: "Ehrenamt im Knast: Kunst und Chor für Häftlinge"
Pfarrer Schwarz muss seinen Tag gut organisieren, er hat viel zu tun und nur begrenzt Zeit. Nach dem Überblick über die Post besucht er die Absender und klärt die Anliegen persönlich. Er sortiert sie nach Prioritäten und entscheidet, mit wem noch am selben Tag ein längeres Gespräch stattfinden muss. Manche besucht er in ihrer Zelle, andere kommen in sein Büro direkt neben der Gefängniskapelle. Seit 26 Jahren macht Schwarz das, "einmal lebenslänglich", sagt er selbst. Er weiß, was, wann zu tun ist.
Als Erstes trifft er Häftling Markus Klein. Der 55-Jährige sitzt seit einem Jahr in der JVA Rheinbach. Warum er hier ist, will er lieber nicht erzählen. Klein leidet darunter, dass seine Tochter den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Aber das Gespräch mit dem Pfarrer hilft ihm: "Man kann mit ihm über alles reden, das einem auf der Seele brennt - egal ob private Probleme oder Probleme in der Haftanstalt."
Was auch immer ihm die Häftlinge erzählen, Schwarz behält es für sich. Für Seelsorger gilt die Schweigepflicht. Sie sind aber nicht nur Ansprechpartner für die Inhaftierten, sondern auch für deren Angehörige und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gefängnis.
Früher oder später kämen die meisten Inhaftierten in den Gesprächen auf ihre Tat zu sprechen, erzählt Schwarz. "Gott kann verzeihen, wo Menschen nicht mehr verzeihen können", sagt er. Das zu erfahren sei für Gefangene, die eine Beichte ablegen wollen, wichtig. "Der Täter muss dabei Gewissenserforschung betreiben, ehrlich bereuen und vor allem lernen, Empathie mit den Opfern zu empfinden", sagt der Seelsorger.
Seine Arbeit mit den Gefangenen ist teilweise sehr intensiv - und hat auch ihre Schattenseiten. "Ich erinnere mich an einen Gefangenen, dessen Freundin Krebs im Endstadium hatte", erzählt er. Mit viel Mühe und Gesprächen habe er es geschafft, dass der Gefangene vorzeitig entlassen wurde, damit er seine Freundin pflegen kann. "Kaum war er draußen, hat er seiner Freundin die Schmerzmittel weggegessen, neue Straftaten begangen und seine Freundin musste allein sterben", erzählt Schwarze. "Und dann muss ich die Scherben Gott zeigen und ihm sagen: Jetzt bist du dran."
Diese Geschichten haben sich eingebrannt, genauso aber auch die Guten. Am Nachmittag bereitet Häftling Axel Hämmerlein in der Anstaltskapelle die Andacht vor. Der 57-Jährige hat in der JVA zum Glauben gefunden. Auch durch die vielen Gespräche mit Pfarrer Schwarz. "Fünfeinhalb Jahre habe ich gekriegt, das ist eine lange Zeit. Ich war am Anfang 23 Stunden am Tag in der Zelle. Da kriegt man die Krise und möchte reden. Und der Pfarrer kann einen gut aufbauen, das tut gut." In einem guten Jahr wird er entlassen. "Der Seelsorger hat mir geholfen, die Jahre im Gefängnis durchzustehen", sagt er.
Menschen wie Hämmerlein sind der Grund, warum Schwarz den Job schon so lange macht: "Das Schönste an meinem Beruf ist die Erfahrung, dass sich Menschen wirklich dauerhaft ändern können", sagt er. Nach der Andacht probt er mit dem Chor noch die Lieder für den nächsten Sonntagsgottesdienst. Dann radelt er mit dem Fahrrad zehn Kilometer nach Euskirchen, wo er zu Hause ist. Für ihn die beste Methode, nach einem langen Arbeitstag den Kopf frei zu kriegen.
Über dieses Thema haben wir auch am 27.02.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bonn, 19.30 Uhr.