Bei ihm packen Polizisten aus: Der Polizeipfarrer mit dem offenen Ohr
Stand: 15.04.2024, 09:06 Uhr
Unfälle, Tötungsdelikte, Pöbeleien - Polizisten erleben viel in ihrem Job. Manche Einsätze hinterlassen Spuren, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Dann ist es wichtig, jemanden zum Reden zu haben. Einen wie Michael Clauß.
Von Inke Köster
Dezember 2022: Die Auffahrt zur Autobahnraststätte Sternberg-Süd an der A46 ist übersät von Metallteilen und Glassplittern. Der Strahler eines Feuerwehrwagens ist auf die Unfallstelle gerichtet. Von vorne wirkt das Auto nur noch wie ein verknäultes Stück Metall. Vier Jugendliche verunglücken an diesem späten Abend auf der Raststätte bei Wuppertal.
Zwei von ihnen sterben. Streifenpolizistin Sandra Busenbecker muss die Todesnachricht an die Angehörigen übermitteln. Eine Aufgabe, die an die Substanz geht. Bei der sie sich aber auf die Unterstützung von Michael Clauß verlassen kann. Seit 33 Jahren ist der 69-Jährige ehrenamtlicher Polizeiseelsorger im Bergischen Städtedreieck, bestehend aus Solingen, Remscheid und Wuppertal.
Was ist die Aufgabe von Michael Clauß?
00:22 Min.. Verfügbar bis 15.04.2026.
Bei Clauß können Polizisten auspacken. Alles loswerden. Gefühle offen aussprechen. Sein Vorteil: Er ist mittendrin und doch außenstehend. Er ist nicht in die polizeiliche Hierarchie eingebunden, hat eine Schweigepflicht und ein Zeugnisverweigerungsrecht. Polizeiseelsorger wie ihn gibt es bundesweit bei der Polizei, sie stammen aus unterschiedlichen pastoralen Berufen.
- Zum Beitrag: Wie überbringt man eine Todesnachricht?
Busenbecker ist für seine Unterstützung dankbar: "Es ist immer schlimm, wenn jemand verstirbt. Aber wenn ganz junge Leute aus dem Leben gerissen werden, macht das noch einmal etwas anderes mit mir, die eine solche Nachricht überbringen muss. Ich schüttele das ja nicht ab."
Sandra Busenbecker ist für die Unterstützung von Michael Clauß dankbar
Diese Unfallnacht wird beiden lange in Erinnerung bleiben. Die Nachricht über das Unglück verbreitete sich schnell in den sozialen Medien. An den Absperrungen tauchten plötzlich Angehörige auf, die wissen wollten, wie es den Opfern gehe, erinnert sich Clauß. Eine Herausforderung für ihn. In diesen Momenten gibt es neben den Polizisten noch eine zweite Gruppe, die sich auf ihn verlässt: die Angehörigen. "Ich glaube, das ist schon beruhigend für die Polizisten und Polizistinnen, wenn ich dann da bin. Ich kann mich um die Menschen kümmern. Ich bin als Seelsorger anders ausgebildet als die Polizei", sagt Clauß.
Die Polizei, seine Gemeinde
Wer Todesnachrichten überbringen muss, Entführungen oder Geiselnahmen miterlebt hat und darüber sprechen möchte, kann das mit Polizeiseelsorgern wie Clauß tun. Auch für Polizisten, die Opfer von Mobbing werden, oder private Probleme haben, hat Clauß ein Ohr. Er gibt ihnen in solchen Situationen Halt.
Viele Beamte bezeichnen den 69-Jährigen als ihren "Fels in der Brandung". Aufgrund seiner Statur - zwei Meter groß und stämmig - auch liebevoll als Teddybär oder großen Rucksack, in den man alles reinwerfen kann. Für Clauß sind das Komplimente. Mit fast 70 hat er längst das Rentenalter erreicht. Aufhören? Daran denkt er noch nicht. Die Polizei ist seine Gemeinde - und für die möchte er da sein, solange er kann.
Was bedeuten Clauß die Polizisten?
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Zwischen den Fronten
Früher ist Clauß mit den Polizisten dahin gefahren, wo es knallt. Zu Demos wie in Lützerath, Fußballspielen oder Castor-Transporten. Als Ansprechpartner und moralische Unterstützung für die Beamten. Damals hatte er immer einen Jutebeutel mit Süßigkeiten dabei, in den die Polizisten jederzeit hineingreifen konnten.
Da kommt Freude auf: Michael Clauß hat Süßigkeiten dabei
Heute ist Clauß bei solchen Einsätzen nur noch selten dabei. Die Knie machen das nicht mehr so mit: "Ich werde dieses Jahr 70 und kann nicht mehr so wie früher 14 Stunden mit den Menschen nachts auf der Straße stehen und rumlaufen."
Dennoch versucht er weiterhin für die Bereitschaftspolizisten da zu sein. Auch, weil er weiß, dass die Gewaltbereitschaft ihnen gegenüber in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Bundesweit gab es im Jahr 2022 etwa 42.700 registrierte Gewalttaten gegen Polizisten, fast acht Prozent mehr als im Vorjahr. "Sie werden zwar gut daraufhin ausgebildet und vorbereitet, aber es ist schon belastend, wenn das so massiv auftaucht", sagt Clauß.
Über dieses Thema haben wir auch am 01.03.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr