Ein Schwarz-Weiß Foto von Andrea Weltzer

Kriminalfälle aus NRW: Wie ermittelt man in geschlossenen Szenen?

Köln | Verbrechen

Stand: 20.01.2025, 17:00 Uhr

30 Jahre nach dem Mord von Andrea Weltzer in Köln hofft die Polizei auf neue Spuren. Warum die Ermittlungen eine Herausforderung sind.

Von Hamzi Ismail

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Was geschah mit Andrea Weltzer?

In der Nacht auf den 7. Januar 1992 geschieht in Köln ein Verbrechen, das die Ermittler der zuständigen Cold Case-Einheit auch 30 Jahre später noch beschäftigt. Im Stadtteil Lindenthal wird die 28-jährige Andrea Weltzer von einem Autofahrer gefunden. Sie blutet stark, weist mehrere Stichwunden auf. Wenig später stirbt die junge Frau an den Verletzungen. Den gesamten Fall siehst du auch bei Lokalzeit MordOrte auf YouTube:

Weltzer wuchs mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in Leverkusen auf. Nach der Schule arbeitete sie in einem Bürojob. Doch dort war sie nicht glücklich. Sie kündigte, zog nach Köln, holt dort ihr Fachabitur nach. Sie wollte an die Uni und Psychologie studieren.

In Köln wächst Weltzer in einen neuen Freundeskreis hinein. Darunter offenbar auch Mitglieder der Kölner Hausbesetzer-Szene. Ob es aber einen Zusammenhang zwischen ihrem Tod und der Szene gibt, ist völlig unklar. Denn mit der Polizei reden die Hausbesetzer nicht. Nicht ungewöhnlich in der linken Szene. Die Ermittlungen der Behörden zu den möglichen Hintergründen von Andrea Weltzers Tod geraten ins Stocken.

Bis heute gibt es viele Spekulationen und wenig eindeutige Informationen. Trotzdem hofft die Polizei, den Fall noch aufzuklären. Denn 1992 wurden Spuren gesichert, die den Täter auch heute noch überführen könnten. WDR-Autor Hamzi Ismail hat sich für das Doku-Format "WDR Lokalzeit MordOrte" näher mit dem Fall beschäftigt. Für Lokalzeit.de hat er mit dem zuständigen Kölner Ermittler, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Markus Weber, über das Thema Ermittlungen in schwierigen Milieus gesprochen. Weber leitet die Cold Case-Abteilung der Kölner Polizei.

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Wie ermittelt die Polizei, wenn niemand mit ihr reden will?

Lokalzeit: Was ist das Besondere für die Polizei bei Ermittlungen in bestimmten Milieus, wie zum Beispiel in der linken oder der rechten Szene?

Markus Weber: Die Polizei gilt in Milieus wie diesen häufig als Feindbild. Schließlich ermittelt sie ja auch regelmäßig innerhalb dieser Gruppen. Deshalb ist es für uns Ermittler eine besondere Herausforderung, eine andere Ebene der Kommunikation und Vermittlung zu finden. Wir müssen deutlich machen, dass es hier nicht um die üblichen Konflikte und Reibungspunkte geht, die beide Seiten miteinander haben. Sondern, dass es einen Mordfall gegeben hat und wir einen Mörder suchen.

Ausschnitt von Markus Weber im Interview

Markus Weber leitet die Abteilung Cold Cases bei der Polizei Köln

Lokalzeit: Inwieweit war Andrea Weltzer überhaupt Teil der Hausbesetzer-Szene in Köln?

Weber: Das ist schwer zu sagen. Andrea Weltzer war offensichtlich erst einige Monate vor ihrem Tod in diese Szene hineingeraten oder hatte zumindest Kontakte dorthin. Es gibt Aussagen, dass sie linksgerichtet war, sich politisch schon immer ein wenig engagiert hatte. Dass sie mit den etablierten Parteien und dem etablierten System ihre Probleme hatte.

Lokalzeit: Warum ist so wenig über Andreas Kontakte aus der damaligen Kölner Hausbesetzer-Szene bekannt?

Weber: Die Szene hat ein schwieriges Verhältnis mit der Polizei. Weil es in der Vergangenheit immer wieder Konflikte gab, verweigerten die Hausbesetzer oder die autonomen Zentren den Kontakt zur Polizei. Es gibt dort so etwas wie einen Kodex, nicht mit der Polizei zu reden und auch keine Informationen preiszugeben. Das hat unsere Ermittlungen natürlich erschwert.

Lokalzeit: Können mögliche Zeugen denn nicht notfalls vom Gericht gezwungen werden, eine Aussage zu machen?

Weber: Es gibt bestimmte Maßnahmen, die müssen allerdings von der Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht angeordnet werden. Das können zum Beispiel Zwangsgelder oder unter bestimmten Umständen auch eine Erzwingungshaft sein. Allerdings gibt es für diese Maßnahmen enge Grenzen und Gesetze. Sie sind letztlich als letzte Maßnahmen zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht um ein Druckmittel, mit dem wir von Anfang an Zeugen einschüchtern wollen. So gehen wir nicht vor. Solche Maßnahmen werden nur angeordnet, wenn wir und auch die Staatsanwaltschaft der festen Überzeugung sind, dass ein Zeuge etwas Wichtiges weiß.

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Auch nach 30 Jahren: Hoffnung auf Aufklärung

Lokalzeit: Was hat das für die damaligen Ermittlungen bedeutet, dass keiner aus der Hausbesetzer-Szene mit der Polizei sprach?

Weber: Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Polizei überhaupt in der Lage gewesen ist, ordentlich in der Szene zu ermitteln. Hat die Polizei die Menschen erreicht, die etwas zum Fall hätten sagen können? Können die Mitglieder der Szene überhaupt zur Aufklärung beitragen - oder ist das Motiv außerhalb der Szene zu suchen? Um diese Fragen zu beantworten, sind wir aber auf Hinweise und Erklärungen aus der Hausbesetzer-Szene angewiesen. Damit wir verstehen, wie sich Andrea Weltzer damals in ihr bewegt hat und mit wem sie in Kontakt stand.

Lokalzeit: Warum haben Sie trotz der langen Zeit Hoffnung, den Fall Andrea Weltzer noch aufklären zu können?

Weber: Wir setzen große Hoffnung auf Personen, die damals in der Kölner Hausbesetzer-Szene unterwegs waren und vielleicht die letzten Tage oder eine gewisse Zeit vor ihrem Tod mit Andrea Weltzer verbracht haben. Vielleicht sind sie heute, 30 Jahre später, anders eingestellt und melden sich bei uns. Weil sie verstehen, dass es Sinn ergibt, in einem Tötungsdelikt mit der Polizei zu sprechen. Auch wenn man das früher aus verschiedenen, vielleicht auch nachvollziehbaren Gründen, nicht getan hat.