Kriminalfälle aus NRW: Der 14 Stunden Monolog eines Mörders
Stand: 13.01.2025, 17:00 Uhr
Im Juni 2019 eskaliert ein Streit in einer Gärtnerei in Neuenkirchen. Der 55-jährige Ulrich F. will das Anwesen seiner Mutter erben. Als die Mutter ihm das Erbe verweigert, nimmt der Streit eine tödliche Wendung. Der Prozess vor dem Landgericht in Münster wird dabei allen Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben.
Von Tobias Lickes
Der Fall: Ein Erbstreit eskaliert
Es ist die Nacht vom 25. auf den 26. Juni 2019. In einer familiengeführten Gärtnerei in Neuenkirchen im Münsterland streitet sich Ulrich F. mit seiner Mutter. Der damals 55-Jährige möchte das Anwesen seiner 79-jährigen Mutter erben, doch sie will ihm so wenig wie möglich vermachen. Die Diskussion um das Erbe eskaliert.
Zwischen Ulrich F. und seiner Mutter bricht ein Erbstreit aus
Plötzlich verpasst Ulrich F. seiner Mutter mindestens einen heftigen Schlag auf den Kopf. Sie bricht benommen zusammen. Ihr Sohn bindet seiner bewusstlosen Mutter einen Tragegurt um die Brust, schleppt sie zum hauseigenen Brunnen auf dem Gelände der Gärtnerei und wirft sie hinein. Das Wasser ist zum Zeitpunkt der Tat zwei Meter tief. Die Frau ertrinkt.
Am nächsten Vormittag ruft der Gärtnermeister selbst bei der Polizei an und meldet seine Mutter als vermisst. Als die Beamten zur Spurensuche zur Gärtnerei kommen wollen, wird Ulrich F. zunehmend nervöser. Er gibt vor, selbst auf dem Gelände nach seiner Mutter zu suchen. Vor Zeugen schaut er dabei auch im Brunnenschacht nach. Scheinbar überrascht schreit er auf und lässt sich ein Seil bringen, um seine Mutter aus dem Brunnen zu ziehen. Bereits knapp 20 Minuten nach Ulrich F.s erstem Anruf bei der Polizei meldet ein Zeuge den Fund der Frau im Brunnenschacht.
Zunächst haben Polizei und Feuerwehr noch Hoffnung, die Mutter noch lebend retten zu können. Doch Sanitäter können nur noch ihren Tod feststellen. Schon an diesem Tag kommt den Beamten das Verhalten von Ulrich F. verdächtig vor.
Ulrich F. informiert selbst die Polizei
Er sei sehr aufgeregt auf und ab gelaufen, habe direkt gerufen, dass er einen Strick um die Brust seiner Mutter gebunden habe, erzählt die Polizei später vor Gericht. Neben dem Brustgurt fällt der Polizei vor allem ein Hämatom am Bein der Toten auf. Wie wahrscheinlich ist eine solche Verletzung bei einem Suizid?
Die Kriminalpolizei Münster sammelt Indizien. Sie findet heraus, dass Ulrich F. hoch verschuldet war und das Geld aus einem Verkauf der Gärtnerei bekommen wollte. Mehrmals laden die Beamten Ulrich F. vor. Seine Version des Tathergangs überzeugt sie immer weniger. Schließlich erhebt die Staatsanwaltschaft Münster Anklage gegen ihn. Mehr als 10 Monate nach der Tat beginnt am Landgericht Münster der Prozess gegen Ulrich F. Und der wird allen Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben.
Der Prozess: Ein 14-stündiger Monolog
Nach 27 Verhandlungstagen meldet sich der Angeklagte Ulrich F. selbst zu Wort. F. der zuvor schon unter anderem wegen Unfallflucht, Steuerhinterziehung und Hausfriedensbruch polizeilich bekannt war, kündigt an, dass seine letzten Worte länger dauern würden. Die letzten Worte sind die letzte Gelegenheit für den Angeklagten, noch Einfluss auf das Urteil zu nehmen. Es unterscheidet sich von den Schluss-Plädoyers, die meist vom Verteidiger und vom Staatsanwalt gehalten werden.
Ulrich F.s Mutter hat ihn in der Gärtnerei lediglich geduldet
Doch Ulrich F. ist mit dem Schluss-Plädoyer seines Verteidigers unzufrieden. Akribisch bereitet er sich auf seine letzten Worte vor. Als ihm das Wort erteilt wird, hat er zehn Aktenordner mit mehr als 700 Seiten vorbereitet. Schnell wird klar: Ulrich F. plant einen Rundumschlag.
Das Gericht, die Gutachter, die Zeugen - alle hätten sich zusammen mit seiner Mutter gegen ihn verschworen. Ulrich F. redet Stunde um Stunde, verliert sich immer tiefer in Verschwörungstheorien. Bis die Richterin ihn unterbricht und ihn bittet, seine Ausführungen am nächsten Tag fortzusetzen. Auch an diesem Tag wird Ulrich F. nicht fertig werden.
Nach fast 12 Stunden an vier Verhandlungstagen reicht es der Richterin schließlich. Sie bittet F., zum Abschluss zu kommen. Die letzten Worte dauern am Ende fast 14 Stunden. Sie gehen als einer der längsten Monologe in die Geschichte ein, der je am Landgericht Münster gesprochen wurde. Helfen tun sie dem Angeklagten aber nicht.
Das Gericht verhängt die Höchststrafe gegen Ulrich F. Im Urteil heißt es: "Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte sich wegen Mordes aus Habgier strafbar gemacht [...]. Mit der Tat, so hoffte der Angeklagte, hätte er sich in den Besitz des möglichst ungeschmälerten Erbes seiner Eltern bringen können. [...] Ein Mord [ist] mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen." Wenn du mehr über das Strafmaß lebenslänglich erfahren willst, findest du hier die Erklärung eines Anwalts.
Was ist eigentlich vor Gericht erlaubt - und was nicht?
Wer zum ersten Mal von dem Fall von Ulrich F. hört, fragt sich: Waren diese tagelangen letzten Worte juristisch überhaupt zulässig? Die Antwort ist eindeutig: ja.
Bei deutschen Gerichten ist es nicht verbindlich geregelt, wie lange die letzten Ausführungen des Angeklagten sein dürfen. Aus gutem Grund, erklärt Richter Christian Walz vom Landgericht Münster: "Das Recht des letzten Wortes ist ein wichtiges Recht der Strafgesetzordnung. Wie das im Einzelnen ausgeübt wird, ist erstmal Sache des Angeklagten. Er soll dadurch die Gelegenheit bekommen, sich angemessen zu verteidigen."
Auch bei solch einem Marathon-Schlusswort müssen übrigens alle Anwesenden im Saal bleiben. Selbst wenn das mehr Arbeitsstunden für Richter, Staatsanwalt, Verteidigung, Gerichtsdiener und beteiligte Polizeibeamte bedeutet. Das kostet selbstverständlich Steuergelder. Richter Walz erklärt: "Natürlich kostet das dann. Aber das ist die notwendige Folge unserer Strafprozessordnung. Das ist ein kalkuliertes Risiko."
Im Landgericht Münster findet der Prozess gegen Ulrich F. statt
Wie in diesem Fall von Ulrich F. kann der Richter oder die Richterin aber den Angeklagten bitten, zum Ende zu kommen. Während der Verhandlungen hat der Vorsitzende immer die "Ordnungsgewalt" im Gerichtssaal. Er entscheidet, was im Sitzungssaal erlaubt ist - und was nicht. Außerhalb des Gerichtssaals, also zum Beispiel auf den Fluren, hat meist der Präsident des Landgerichts das Hausrecht und bestimmt die Regeln.
Fotos machen, Videos aufnehmen sowie Essen und Trinken sind im Gerichtssaal während des Prozesses fast immer verboten. Auch in den anderen Gebäuden eines Gerichts dürfen häufig keine Fotos oder Videos gemacht werden. Bei längeren Wartezeiten ist es aber erlaubt, außerhalb des Saals etwas zu essen und zu trinken.