Petra Nohl und Cold-Cases: Die Chancen der DNA-Analyse
Die damals 24-jährige Petra Nohl starb in den frühen Morgenstunden des 14. Februar 1988. Sie wurde erdrosselt und ausgeraubt, mitten in der Kölner Innenstadt. Wenige Stunden später zieht der Karnevalsumzug am Tatort vorbei.
Auf den Tag genau 35 Jahre später, im Februar 2023, nimmt die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Er soll laut Anklage Petra Nohl getötet haben. Ein ehemaliger Freund hatte den heute 56-Jährigen belastet. Und: Ermittler fanden DNA-Spuren des Mannes an Jacke und Hose des Opfers. Der Beschuldigte beteuert seine Unschuld, der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Der Fall Petra Nohl ist einer von zahlreichen ungeklärten Kriminalfällen in NRW, die von Cold-Case-Ermittlern erneut unter die Lupe genommen werden oder wurden. Bei mehr als 400 der gut 1140 ungeklärten Tötungsverbrechen seit 1970 sehen Ermittler gute Chancen, die Täter noch zu fassen. Dabei soll auch der wissenschaftliche Fortschritt helfen.
Kriminalistische Methoden, wie die DNA-Analyse, hat es früher nicht gegeben. DNA ist die englische Abkürzung für deoxyribonucleic acid, auf Deutsch Desoxyribonukleinsäure.
Seit Ende der 80er-Jahre führt die wissenschaftliche Methode zu neuen Ermittlungsansätzen. Heute sind DNA-Spuren oftmals ein entscheidender Hinweis, um Täter auch viele Jahre nach dem Kriminalverbrechen zu überführen.
Wie funktioniert eine DNA-Analyse?
Für Lokalzeit.de hat sich unser Autor mit Cornelius Courts unterhalten. Der 46-Jährige ist Professor für forensische Molekulargenetik an der Uni Köln und leitet die gleichnamige Abteilung am Institut für Rechtsmedizin des Uniklinikums Köln.
Lokalzeit: Wie hat die DNA-Analyse die Kriminalistik verändert?
Cornelius Courts: Die Einführung der DNA-Analyse in den forensisch-wissenschaftlichen Prozess ist ein Game-Changer gewesen. Sie ist eine unglaubliche Bereicherung der Möglichkeiten und heute aus der forensischen Analyse nicht mehr wegzudenken. Das Verfahren ist ein unersetzliches Werkzeug für Justiz und Polizei bei der Aufklärung von Straftaten jeglicher Art. Damit können wir sehr objektive und mit starken Zahlen gestützte Aussagen darüber machen, von welcher Person gefundenes biologisches Material stammt.
Lokalzeit: Wie funktioniert die DNA-Analyse genau?
Courts: Man schaut sich ganz gezielt 16 Abschnitte im Genom, also im Erbgut, an, die bei allen Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Ausnahme hiervon sind eineiige Zwillinge. Mittels verschiedener Verfahren kann die DNA aus Spurenmaterial isoliert werden. Mit der "Polymerase-Kettenreaktion", abgekürzt PCR, die seit der Corona-Pandemie vielen bekannt sein dürfte, werden anschließend einzelne DNA-Abschnitte gezielt vervielfacht. In einem letzten Schritt werden dann die PCR-Produkte sichtbar gemacht. Am Ende dieser molekularbiologischen Verfahren erhält man Rohdaten, aus denen Sachverständige das eigentliche DNA-Profil ableiten können.
Lokalzeit: Wie lange dauert es, bis das Ergebnis da ist?
Courts: Das kommt drauf an, mit welchem Material man es zu tun hat. Bei einfachen Proben, wie Mundschleimhautabrieben, bekommen wir das fertige DNA-Profil nach wenigen Stunden. Wenn Ermittler aber einen vergammelten, vermoderten Knochen finden, ist das Verfahren aufwendiger. Der Knochen muss gesäubert werden, dann wird ein Stück aus ihm herausgesägt oder etwas Material abgekratzt, um später mithilfe spezieller Extraktionsverfahren DNA daraus zu gewinnen. Das kann ein bis drei Tage dauern, um aus der Spur ein DNA-Profil zu generieren.
Was lässt sich über einen Menschen herausfinden?
Lokalzeit: Was genau lässt sich damit alles über einen Menschen herausfinden?
Courts: Mit der PCR-Methode kann man im Prinzip alles Mögliche aus der DNA über einen Menschen erfahren. In Deutschland dürfen allerdings nur bestimmte Informationen erhoben werden. Das ist in der Strafprozessordnung explizit geregelt. Wir dürfen ausschließlich das Geschlecht und das DNA-Profil einer Person ermitteln, also die Identität. In Ausnahmefällen dürfen wir auch Haar-, Haut- und Augenfarbe sowie das biologische Alter einer Person feststellen. Unzulässig sind genetische Untersuchungen zu Krankheiten oder charakterliche Eigenschaften. Auch die sogenannte biogeografische Herkunft eines Verdächtigen darf man in Deutschland nicht bestimmen. Sie gibt Auskunft über die geografische Region, aus denen wahrscheinlich die Vorfahren einer Person stammen. An sich könnte das natürlich einen erheblichen, ermittlerischen Mehrwert bieten.
Lokalzeit: Warum ist das in Deutschland nicht erlaubt?
Courts: Die biogeografische Herkunft, nicht Identität, ist nicht ungenau, im Gegenteil. Man kann die kontinentale Herkunft einer Person anhand einer biologischen Spur sehr genau vorhersagen. Und wir können auch den Fehlerbereich gut bestimmen. Es gibt keine wissenschaftlichen Gründe, diese Untersuchung nicht durchzuführen. Die meisten meiner Kollegen und Ermittler bei der Polizei würden den Einsatz der Methode sehr befürworten. Dass sie in Deutschland, im Gegensatz zur Schweiz oder den Niederlanden, nicht eingesetzt werden darf, hat ausschließlich politisch-ideologische Gründe.
Lokalzeit: Hat sich das Verfahren in den letzten Jahren weiter entwickelt?
Courts: Das grundlegende Verfahren ist seit den 90er-Jahren das Gleiche. Viele Details haben sich aber stark verbessert. Die Verfahren sind heute so empfindlich, dass wir selbst mit kleinen Mengen an Hautzellen, die man mit dem bloßen Auge nicht sieht, arbeiten können. Und es ist möglich, aus Materialien DNA zu analysieren, die ungünstigen Wetterbedingungen wie Regen oder Hitze ausgesetzt waren.
Der spektakulärste Fall und der gängigste Irrtum
Lokalzeit: Gibt es einen gängigen Irrtum über die DNA-Analyse?
Courts: Ein Irrtum ist die Annahme, dass gefundene DNA an einem Tatort direkt auf den Täter rückschließen lässt. Die DNA kann aber auch indirekt an den Tatort transferiert worden sein. Stellen Sie sich vor, Sie geben einer Person, die Handschuhe trägt, die Hand. Ihre DNA wird auf den Handschuh übertragen und bleibt daran haften. Begeht diese Person später ein Verbrechen während sie die Handschuhe trägt, kann es sein, dass sie nicht die eigene DNA am Tatort hinterlässt, sondern Ihre. Der Bundesgerichtshof hat daher entschieden, dass ein Gutachten oder ein Gerichtsurteil nie allein auf einem DNA-Befund basieren darf. Es muss noch andere Tatsachen geben, die mit in die Beweiswürdigung eingehen, zum Beispiel Zeugenaussagen oder weitere Beweismittel.
Lokalzeit: Gibt es einen spektakulären Fall, den Sie allein wegen moderner DNA-Analyse aufklären konnten?
Courts: Das ist mit Sicherheit der Knochenfund im Laacher See bei Bonn. Der Kampfmittelräumdienst Rheinland-Pfalz suchte in diesem See 2008 nach alten Bombenresten. Im 2. Weltkrieg sollte dort 1942 ein Flugzeug abgestürzt sein. Bei dieser Suchaktion wurde unter anderem ein menschlicher Knochen gefunden. Es war schnell klar, dass der Knochen schon sehr alt sein musste und es sich um kein aktuelles Tötungsdelikt handelt. Die Staatsanwaltschaft ließ nicht weiter ermitteln. Meine Kollegen und ich, damals arbeitete ich in der Bonner Rechtsmedizin, packte der Ehrgeiz. Wir wollten versuchen, die Identität der Person herauszufinden.
Lokalzeit: Ist es Ihnen gelungen?
Courts: Ja. Wir haben monatelang getüftelt, bis wir eine Methode entwickelt hatten, mit der wir aus diesem alten Knochen noch ein vernünftiges DNA-Profil erstellen konnten. Wir haben dann auf eigene Faust recherchiert und erfahren, dass in dem abgestürzten Flugzeug sieben Personen saßen, fünf britische Soldaten, ein australischer und ein kanadischer. Es dauerte vier Jahren und erforderte eine gute Zusammenarbeit mit Behörden und Botschaften, aber dann konnten wir mithilfe von DNA-Abgleichen feststellen: Bei dem Knochenfund handelte es sich um Überreste des kanadischen Soldaten. Er hatte noch einen 90-jährigen Bruder, der sich sehr darüber freute, endlich Gewissheit über das Schicksal seines Bruders zu haben.