Svea Philipp bei einem Kunstkurs in der JVA

Ehrenamt im Knast: "Viele können gar nicht glauben, dass ich das nicht für Geld mache"

Essen | Verbrechen

Stand: 27.02.2024, 11:53 Uhr

Svea Philipp und Elena Hernandez lassen sich einsperren. Freiwillig, einmal pro Woche für anderthalb Stunden in der JVA Essen.

Von Daniela Partenzi

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Durch Sicherheitstüren zum Ehrenamt

Die Justizvollzugsanstalt Essen für erwachsene Männer hat Platz für 528 Häftlinge. Knapp über 400 sitzen zurzeit in Straf- oder Untersuchungshaft. Warum, das wissen Elena Hernandez und Svea Philipp nur manchmal. Aber darum geht es nicht. Sie wollen Abwechslung hinter Gittern bringen. Hernandez mit einem offenen Ohr und einem Chorangebot, Philipp mit Kunstkursen.

Elena Hernandez und Svea Philipp engagieren sich ehrenamtlich im Knast

Elena Hernandez und Svea Philipp engagieren sich ehrenamtlich im Knast

Jeden Mittwoch fällt deshalb die schwere blaue Stahltür hinter Philipp ins Schloss. Sie begrüßt die Beamte an der Pforte hinter dem Panzerglas und tauscht ihren Ausweis gegen einen Schlüssel mit gelbem Plastikschild. Darauf steht die Nummer für ihr Schließfach im Vorraum. Jacke, Tasche, Uhr, Handy - alles bleibt hier. Mit schwarzer Jeans, Bluse und dicker langer Strickjacke geht die 27-Jährige durch den Metalldetektor und wird abgetastet. Alles ok.

Ist die vordere Tür zu, klackt die nächste auf. Sie darf in den Warteraum, in der Hand nur den Schlüssel für ihr Schließfach. "Ich finde das gut: alles abgeben, Konzentration auf das Wesentliche." Die Immobilienmaklerin liebt Kunst, zeichnet für ihr Leben gern und möchte ihr Können weitergeben. Wer zu ihr in den Kurs kommt, macht das ohne Zwang. "Wer keine Lust hat, braucht auch nicht mitzumachen", sagt sie.

Ehrenamtliches Engagement im Gefängnis

1750 Ehrenamtliche engagieren sich in den Haftanstalten in NRW. 992 Männer, 756 Frauen. Die Freiwilligen bieten unterschiedliche Kurse an. Für Ideen sind alle Haftanstalten offen. Wer sich einbringen möchte, muss das 21. Lebensjahr vollendet haben und braucht ein Führungszeugnis. Die vergangenen zwei Jahre müssen straffrei sein. Möchte jemand mit bestimmten Gruppen, zum Beispiel Sexualstraftätern, nicht arbeiten, wird das berücksichtigt. Auf der Seite der Landesvollzugsdirektion gibt es mehr Informationen.

Vier Männer sind aktuell in ihrem Kurs. Bis Philipp sie trifft, muss sie noch durch sehr viele Türen und Gänge des alten Kreuzbaus von 1910. Ein klassisches Gefängnis von früher: Dicke Holztüren mit verschlossenen Luken, Stahltreppen und Geländer. Weiß gestrichen, alles luftig, alle Etagen einsehbar. Der Justizbeamte Marc Marin holt Philipp ab. Manche Häftlinge grüßen, fast alle schauen ihr hinterher. Klar überlege sie, was sie anziehe. "Aber ich bin ohnehin nicht die Aufgemachte im Rock. Nie." 

Justizvollzugsamtsinspektor Marc Marin über das ehrenamtliche Engagement in der JVA Essen

00:23 Min. Verfügbar bis 27.02.2026

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Verhaltensregeln und Schulungen

Sie hat zu Beginn eine lange Liste mit Verhaltensregeln bekommen, ob der Dresscode darauf stand, weiß sie nicht mehr. "Aber bauchfrei gehört hier nicht hin, das versteht sich ja wohl von selbst." Es gibt Schulungen für die Ehrenamtlichen, eine Ansprechpartnerin. "Ich bin aber noch nie, wirklich nie, doof angemacht worden." Kein einziger dummer Spruch in anderthalb Jahren. Sie lacht und sagt: "Das ist draußen anders."  

Am Anfang ist sie bei einem anderen Ehrenamtler mitgelaufen. Zusammen haben sie ein Fotoprojekt mit den Häftlingen gemacht. Den Zeichenkurs gibt Philipp längst alleine. Der Justizbeamte holt mit ihr noch die Malkiste voller Blöcke, Stifte und Geodreiecke. Er begleitet sie zum Kunstraum, schließt auf, dann geht er. Der Raum hat den Charme eines Kellers. Gekalkter Beton, niedrige Decken, Neonröhren. Tisch und Stühle sind simpel, die Fenster von innen feinmaschig vergittert, dahinter ein dunkler Schacht. Es gibt schönere Räume, auch in der JVA Essen.

Erste Zeichenversuche für Häftling

Aber darum geht es nicht. Wichtig ist, was jetzt kommt. Andreas-Albert Stark zum Beispiel. Zur Begrüßung trifft seine tätowierte Faust auf ihre. "Hey, alles ok?", fragt Philipp. "Ja, klar", lautet die Antwort. Jetzt gerade ist für den 37-Jährigen die Welt in Ordnung. Er schnappt sich Papier und Bleistift und legt sofort los. Zeichnen hat der Mann sich nie zugetraut. Er versucht sich an einem Ohr. "Läuft doch, weiter so", sagt Philipp. Sie motiviert, gibt Tipps. Sein Ziel: Angelina Jolie zeichnen und irgendwann auch malen. "Ich hatte immer Interesse an Kunst. Finde ich super, dass ich das hier machen kann."

Andreas-Albert Stark freut sich über das ehrenamtliche Angebot

01:16 Min. Verfügbar bis 12.02.2026

Dass er das hier machen kann, liegt an fast 40 Ehrenamtlichen, die in der JVA Angebote machen. Sie leisten, was die Festangestellten nicht stemmen können, auch zwischenmenschlich. Justizvollzugsamtsinspektor Marc Marin ist fest davon überzeugt: "Für uns in Uniform ist das ja ein Job, aber dass da jemand kommt, nur wegen ihnen, einfach so … das macht schon was mit den Häftlingen." Philipp stimmt zu. "Viele können es gar nicht glauben, dass ich das nicht für Geld mache." Tatsächlich macht sie es auch für sich, um abzuschalten, die Welt da draußen hinter sich zu lassen. "Außerdem liegt das bei uns in der Familie." Ihr Vater ist Sozialarbeiter, die Mutter Sozialpädagogin. "Die hat auch schon mal im Knast gearbeitet." Berührungsängste gab es nicht. 

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"Ich habe mich noch nie unsicher gefühlt"

Das war bei Elena Hernandez anders. Als sie ihren Eltern vor fünf Jahren von ihrem Ehrenamt erzählte, war sie 23 Jahre alt. "Waaaaaas … du ganz alleine, mit lauter gefährlichen Männern?" Das war die Reaktion ihrer Mutter. Die angehende Theologin lacht herzhaft. "Wirklich, ich habe mich noch nie unsicher gefühlt." Der größte Schutz seien ja gerade die Häftlinge. "Die lieben ihre Gruppe so sehr und wissen genau, wenn einer Mist macht, dann wird der Kurs gestrichen. Das lässt keiner zu."

Elena Hernandez hat auch schon einen Gottesdienst in der JVA abgehalten

Elena Hernandez hat auch schon einen Gottesdienst in der JVA abgehalten

Hernandez macht das Ehrenamt auch, weil sie die Erfahrungen hier später mal beruflich nutzen möchte. Ihren ersten Gottesdienst hat die Studentin mit dem selbstbewussten Auftreten in der Kapelle der JVA gehalten. "Normalerweise kommen beim ersten Mal Familie und Freunde, das war nicht möglich. Aber die Häftlinge haben mich so gefeiert, das war cool." Kuchen zur Feier des Tages? Fehlanzeige. "Aber ich durfte Kekse mitbringen, original verpackt und vorher angemeldet."

Normalität und Abwechslung für die Häftlinge

Sie zieht viel Kraft aus dem Ehrenamt. "Man kommt hier so schön auf den Boden der Tatsachen. Vieles, was draußen alle aufregt, ist hier so unwichtig." Draußen ist für die Männer drinnen weit weg. Besuch ist für sie zwei Stunden im Monat gestattet. Handy natürlich nicht. Briefe schreiben geht, wird aber kontrolliert. Manche sitzen gerade am Anfang fast nur in der Zelle: 23/1 nennen sie das. 23 Stunden in der Zelle, eine Stunde Hof. "Da ist es gut, ein Ohr für die Menschen zu haben. Es geht dabei fast nie um den Haftgrund, eher darum, wie es demjenigen geht", sagt Hernandez.

Normalität und etwas Abwechslung reinbringen, das ist die Aufgabe. Hernandez betreut mittlerweile ehrenamtlich auch noch einmal im Monat eine Vater-Kind-Gruppe. Drei Stunden sind exklusiv reserviert zum Basteln, Spielen, Quatschen. Ein hochemotionales Treffen zwischen den Männern und ihren Kindern im Alter von Windelfrei bis 18. "So intensiv haben sich die Meisten vorher noch nie mit ihren Kindern beschäftigt", sagt Hernandez. Sie hofft für die Zukunft bei ihnen eine Idee gepflanzt zu haben. "Beim Abschied weinen nur die Kids, die Männer reißen sich zusammen – aber nur bis sie wieder in ihren Zellen sind." 

Sie verlässt dann die JVA. Genau wie für ihre Ehrenamts-Kollegin Svea Philipp geht es zurück durch sehr viele Türen. Alle werden hinter ihnen verschlossen. Sie holen ihre Sachen aus dem Schließfach. Zum Schluss tauschen sie bei der Beamtin an der Pforte den Schlüssel mit dem gelben Anhänger gegen ihre Freiheit und gegen das Gefühl, wieder einmal etwas wirklich Gutes getan zu haben.