Blick in eines der zerstörten Klassenzimmer

Kriminalfälle aus NRW: Das Flammenwerfer-Attentat von Volkhoven

Köln | Verbrechen

Stand: 11.06.2024, 08:12 Uhr

60 Jahre ist es her: Am 11. Juni 1964 betritt Walter Seifert bewaffnet mit einem Flammenwerfer einen Schulhof im Kölner Vorort Volkhoven. Acht Kinder und zwei Lehrerinnen werden getötet. Es ist der erste Amoklauf an einer deutschen Schule. Ein Rückblick.

Von David Peters

Kurz nach neun Uhr am 11. Juni 1964 geht Walter Seifert durch das Tor der Volksschule im beschaulichen Kölner Stadtteil Volkhoven. Auf seinem Rücken hat er einen selbstgebauten Flammenwerfer und in der Hand eine Lanze. Das Schultor verbarrikadiert der damals 43-Jährige mit einem mitgebrachten Holzklotz.

Auf dem Schulhof turnen Kinder unter der Aufsicht der Lehrerin Anna Langohr. Mit seinem Flammenwerfer setzt Seifert seine ehemalige Lehrerin und die Kinder in Flammen. Langohr überlebt mit schweren Brandverletzungen. Dann geht Seifert zum Schulgebäude. Durch die Fenster hält er den Flammenwerfer in die Klassenräume. Er geht von Raum zu Raum, bis sein Benzinkanister leer ist.

Acht Kinder sterben – sie liegen in einer Grabstätte auf dem Friedhof im Kölner Stadtteil Volkhoven/Weiler. Eine Gedenkstele soll immer an sie erinnern. Am 11. Juni 2024 fand eine Gedenkveranstaltung statt. Das Attentat von Volkhoven sei Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt Köln, heißt es. Aber was ereignete sich an diesem 11. Juni vor 60 Jahren?

Eine Schülerin, die den Amoklauf überlebte, ist Hella Rauch. Die damals 12-Jährige wollte durch das Fenster vor dem Amokläufer fliehen, erinnert sie sich. "Als ich mit einem Fuß auf der Fensterbank stand, um rauszuklettern, stand der Herr Seifert vor mir." Seifert habe dann den Flammenwerfer gezielt auf sie gehalten. "Dann hab ich die Hände vor das Gesicht geschlagen, weil die Luft so heiß war."

Rauch erlitt Verbrennungen dritten Grades am ganzen Körper. Sie wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht:

Man hatte mein Grab schon ausgeschaufelt auf'm Friedhof. Die hatten meiner Mutter gesagt, das würde ich nicht überleben. Hella Rauch, Überlebende des Amoklaufs

Die 12-Jährige überlebte. Acht andere Kinder schafften es nicht. Sie starben an den Folgen der Verbrennungen. 28 Kinder wurden bei dem Amoklauf schwer verletzt.

Gerlinde Kunz war Lehrerin an der Volksschule. Mit ihrer Kollegin Ursula Kuhr versuchte sie die Tür zum Klassenraum zuzuhalten. Der Amokläufer war stärker. Er riss die Tür auf und stach mit seiner Lanze auf Kuhr ein. "Sie blutete sehr stark. Sie hat auf meinen Knien gelegen", erzählt Gerlinde Kunz. Kunz selbst blieb unverletzt. Ursula Kuhr und ihre Kollegin Gertrud Bollenrath starben durch die Stichverletzungen mit der Lanze, als sie versuchten die Kinder vor dem Amokläufer zu schützen.

Nach dem Amoklauf versucht Walter Seifert zu flüchten. Er hatte sich aber zuvor noch selbst auf dem Schulhof mit einem tödlichen Pflanzenschutzmittel vergiftet. Kurze Zeit später wurde er erst von Volkhovenern und dann von Polizisten gestellt, die ihm in den Oberschenkel schossen. Der 43-Jährige starb noch am selben Abend im Krankenhaus an dem Pflanzenschutzmittel.

Seiferts Mutter spendet Ersparnisse an die Opfer

Seifert versuchte nach seinem Kriegseinsatz bei der Wehrmacht Polizist zu werden. Nach einem Jahr wurde er allerdings wegen Tuberkulose entlassen. Einen neuen Job fand er nicht. Seine Frau starb bei einer Fehlgeburt. Seifert begann einen Papierkrieg mit den Behörden, weil er die Tuberkulose als Folge seines Kriegsdienstes anerkennen lassen wollte. Er behauptete, die Behörden wollten ihn ermorden. Die Behörden bezeichneten ihn als "psychisch abwegige Persönlichkeit."

Polizisten stehen vor dem rauchgeschwärzten Eingang einer Schulbaracke nach dem Flammenwerfer-Amoklauf.

Polizisten stehen vor dem rauchgeschwärzten Eingang einer Schulbaracke in Volkhoven

Heinrich Hülser war damals Pastor in Volkhoven und kannte auch Walter Seifert. Wenige Wochen vor dem Amoklauf bekam Hülser von Seifert eine Mappe mit Unterlagen über seine eigenen Gedanken. Das waren "aggressive Thesen", erinnert sich der Pastor. "Das sprach von Konfusität, aber man konnte nicht ahnen, was dahinter stand."

Die wenigen kurzen Vernehmungen Seiferts vor seinem Tod am Abend des Amoklaufs, waren ebenfalls konfus und unkonkret. Das Motiv konnte bis heute nicht geklärt werden. Die Mutter von Seifert spendete ihre gesamten Ersparnisse an die Familien der Opfer. Sie habe sich für die Taten ihres Sohnes geschämt. Zwei Jahre später starb auch sie.