Im Namen des Vaters, des Sohnes und des V6-Motors
Stand: 25.10.2024, 07:58 Uhr
Schwester Andrea ist eine eigentümliche Gottesfrau. Sie ist Oberin, dreifache Mutter und Autofanatikerin. An Wochenenden heizt sie in Gottes Namen durch die ostwestfälische Wald- und Wiesenlandschaft. Ist das ein Widerspruch?
Von Luca Peters
Ein Dönerimbiss, irgendwo an einer Mindener Ausfallstraße. Mit donnernden Reifen kommt draußen ein alter BMW-Oldtimer zum Stehen. Der Imbissbesitzer guckt einigermaßen überrascht. Aus dem Wagen steigt eine Frau in Ordenskleidung. Vor ihrem azurblauen Kleid baumelt ein silbernes Mutterkreuz. Schwester Andrea bestellt sich einen Döner. Lässig lehnt sie sich mit ihrem Mittagessen auf ihr silbriges Gefährt und langt kräftig zu. Das Gewohnheitsrecht, dass der Döner mit der Hand gegessen wird, gilt auch für fromme Gottesfrauen. "Ich wüsste nicht, dass irgendwo in der Bibel steht, dass die Zutaten von Döner verboten sind", sagt sie.
Unterwegs im Dienste des Herrn
Schwester Andrea, die zumindest nach bürgerlichen Prinzipien Brewitt mit Nachnamen heißt, ist 58 Jahre alt. Als Oberin ist sie das religiöse Oberhaupt der geistlichen Gemeinschaften der Mindener Diakonie Stiftung Salem. Die 40 evangelischen Schwestern der Diakonie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu helfen. Sie sind sogenannte Diakonissen der neuen Ordnung. Das bedeutet: Im Gegensatz zu früher können sie heiraten, eine Familie gründen, in eigenen Wohnungen leben und normales Gehalt bekommen.
Bis vor 20 Jahren wohnten die Schwestern der Diakonie noch zusammen im Mutterhaus und verschrieben ihr gesamtes Leben der Nächstenliebe. Sie wurden lebenslang vom Träger versorgt und bekamen nur ein Taschengeld, erklärt Schwester Andrea. "Diakonissen-Verbindungen, die immer noch dieses Konzept haben, sterben aus." Ihre Schwesternschaft sei heute eher so etwas wie ein Verein. "Wir treffen uns zum Beispiel zum Beten oder für gemeinsame Projekte."
Die 58-Jährige kümmert sich aber nicht nur um Alte und Kranke, um Behinderte und Suchende. Sondern auch um ihren BMW325i. Der 32 Jahre alte Oldtimer ist ihr so hoch und heilig, dass sie ihn ein halbes Jahr lang in der Garage versteckt und nur in den Sommermonaten herausholt.
Der Wagen sei eine Erinnerung an ihren 2017 verstorbenen Mann, das Gaspedal in den Kurven des Wiehengebirges nach unten durchzudrücken, ein Gefühl von Freiheit. Eine überraschend weltliche Aussage für eine andächtige Christin. Doch Schwester Andrea hat mit dem vorhistorischen Klischee der sittenstrengen Gottesdienerin nicht mehr viel gemeinsam. Der Herrgott sei ihr selbstverständlich wichtiger als ein Auto, sagt sie, doch das heiße ja nun nicht, dass sie als Frau nicht auch ganz eigene Bedürfnisse haben dürfe. Und eins davon sei eben schnelle Autos.
Glauben, beten, Gas geben
Die Menschen sollen sehen, dass eine Gottesfrau hinterm Lenkrad sitzt. Wenn Schwester Andrea in Ostwestfalen unterwegs ist, dann immer in voller Schwesterntracht. Auf dem Kreuz, das sie um den Hals als Kette trägt, steht eine Stelle aus dem Buch Mose. Der Mensch müsse streitbar bleiben, steht dort, für sich und andere.
So kommt es, dass Schwester Andrea das christliche Gebot der Nächstenliebe gelegentlich etwas großzügiger zu ihrem eigenen Vorteil auslegt. Natürlich fahre sie nie schneller als die christliche Moral und die Verkehrsregel erlauben würden, sagt sie. Aber das sei ja noch lange kein Grund, nicht trotzdem die Erste an der Ampel zu sein: "Ich gebe zu, dass mir das gefällt, wenn die anderen Autofahrer meine Rücklichter sehen. Die erwarten gar nicht, was für eine Kraft aus diesem Auto kommt."
Glaubensschwester Andrea Brewitt aus Minden liebt Oldtimer
Schwester Andrea hat sich längst mit ihrem Ruf als lässige Gottesfrau arrangiert. Sie gefällt sich als Mischung aus bibeltreuer Christin und exzentrischer Geschwindigkeitsenthusiastin. Ihr Markenzeichen, ihren 200-PS-Boliden, würde sie niemals verkaufen, für kein Geld der Welt, das komme überhaupt nicht in Frage. Außerdem hätte ihr der Herr bestimmt schon längst mitgeteilt, wenn er etwas an ihrer außergewöhnlichen Leidenschaft auszusetzen hätte, glaubt Schwester Andrea: "Der Jesus Christus ist damals auf einem Esel in Jerusalem eingeritten, das ist schon richtig. Aber wie viele Jahrtausende ist das her. Ich bin eben mit dem Auto im Dienste des Herrn unterwegs. Das ist für mich kein Widerspruch."
Über dieses Thema haben wir auch am 27.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.