Warum dieser Gärtner Brennnesseln anbaut
Stand: 24.05.2023, 14:54 Uhr
Was andere ganz schnell aus ihrem Garten verbannen, baut Rainer Born am Niederrhein mit Begeisterung an: Unkraut.
Von Frank Wolters
Eine Idee, um zu überleben?
Ein Hektar. So klein ist die Fläche, die Rainer Born in Straelen bewirtschaftet. Die komplette Gärtnerei fasst kaum mehr als 100 mal 100 Meter. Und das am Niederrhein in Straelen. Dort, wo um die Stadt herum eine Gärtnerei größer ist als die andere. Gewächshaus reiht sich hier an Gewächshaus, dazwischen Freiflächen für allerlei Zierpflanzen, so weit das Auge reicht. Und mittendrin die kleine Gärtnerei von Rainer Born.
"Früher gab es hier sogar mal Kühe", erzählt der Chef, "aber da hat schon mein Opa erkannt, dass sich das nicht lohnt, so klein wie wir sind." Und so stellte Großvater Born schon auf Zier- und Zimmerpflanzen um. Aber, da das alle um ihn herum machen, musste Rainer Born clevere Ideen entwickeln, um mit dem Familienbetrieb wirtschaftlich zu bleiben.
Seine neueste Idee: Wildkräuter. So nennt er, was andere am liebsten ganz schnell aus ihrem Garten heraus haben wollen. Löwenzahn zum Beispiel, Purpurklee, Spitzwegerich - und sogar Brennnesseln. Insgesamt 24 unterschiedliche Pflanzenarten.
Was die "Wilden Kerle" können
"Wer Brennnesseln anbaut, ist schon ein bisschen besonders", gibt Born zu. "Wir sind von einigen Kollegen ganz schön ausgelacht worden, als wir damit angefangen haben." Das Konzept dahinter ist ebenso einfach wie logisch. Alle diese Kräuter, die Rainer "wilde Talente" nennt, sind sehr insektenfreundlich. Und zwar genau passend zur Region.
Rainer Born erklärt, warum die ungeliebten Wildpflanzen so wichtig sind
00:26 Min.. Verfügbar bis 21.04.2025.
So mögen bestimmte Insektenarten am Niederrhein Spitzwegerich, während ihre Artgenossen in den Alpen lieber Enzian mögen. Rainer produziert also das, was heimische Insekten mögen. Und liegt damit voll im Trend.
Was die Gärtnerei Born von anderen unterscheidet, die ebenfalls insektenfreundliche Pflanzen produzieren, ist die Vermarktung. Auf den gleichen Großhandelswegen wie die Zierpflanzen, die er immer noch produziert, werden die wilden Talente vertrieben.
Mehrmals in der Woche kommen die Lastwagen der Großhändler. Und von da aus geht es in die Baumärkte, Gartenmärkte, ja sogar in die Supermärkte der Region. So können auch die Kunden etwas für die Natur tun, die passenden Pflanzen für die Insekten anpflanzen - und das aus regionalem Anbau.
Purpurklee ist kein Unkraut - sondern wichtig für die einheimischen Insekten.
Altes Wissen aus der Apotheke
Auf die Idee mit den wilden Talenten kam Rainer Born wegen Tochter Hannah. Die lernt seit zwei Jahren in der örtlichen Apotheke den Beruf der Pharmazeutisch-technischen Assistentin. Dabei lernt sie auch alle möglichen Pflanzen kennen und unterscheiden.
Eines Tages kam sie mit Dutzenden Plastikbeutelchen nach Hause. Darin: Samen und Blätter von Wildkräutern. "Das ist ja alles Unkraut, hat Papa damals gesagt", erinnert sich Hannah. Dann aber erzählte sie von den heilenden Wirkungen der Pflanzen, welche Insekten sie anlocken, und dass manches Blatt sogar als Salat schmeckt.
Löwenzahn ist nicht nur gut für Insekten, sondern auch lecker im Salat.
"Eine Marktlücke", sagt Rainer Born und schmunzelt. Mitten in der Pandemiezeit räumte die Familie eins der Gewächshäuser aus und pflanzte Unkraut, oder eben Wildkräuter. Inzwischen macht die Produktion dieser Pflanzen beinahe ein Drittel der kleinen Fläche der Gärtnerei aus.
Unterstützung vom NABU
Das war am Anfang auch ein wirtschaftliches Risiko. Aber schnell war klar, es gibt einen Markt für die wilden Talente. Auf der einen Seite Menschen, die im Garten oder auf dem Balkon Platz schaffen wollen für Insekten und Bienen. Und auf der anderen Seite Freizeitköche. "Richtig zubereitet ist Löwenzahn oder Brennnessel-Salat eine Delikatesse", sagt der Gärtner.
Wilde Talente statt bunter Zierpflanzen - was als belächelte Idee startete, ist mittlerweile ein tragfähiger Geschäftszweig und wird sogar vom NABU unterstützt: Purpurklee eingetopft, in recycelten Töpfen, die bedenkenlos in die gelbe Tonne können.
Am liebsten würde Born nur noch insektenfreundlich, bienenfreundlich und nachhaltig produzieren. Und so in vielleicht zehn Jahren die Gärtnerei mit Pflanzen, die für andere nur Unkraut sind, wirtschaftlich gesund an seinen Sohn übergeben.