Ein Handy zeigt die Überwachungswerte einer Kuh im Kuhstall

Die "gläserne Kuh": Was bringt Hightech im Kuhstall?

Kleve | Landwirtschaft

Stand: 13.11.2023, 11:48 Uhr

Systeme, die die Gesundheit der Kühe überwachen. Melkroboter, die dem Landwirt Arbeit abnehmen. In Kuhställen hat modernste Technik längst Einzug gehalten. Wie hilft sie den Landwirten? Und was sind ihre Grenzen?

Von Stefan Weisemann

Ein kleiner, glatter, weißer Zylinder aus Plastik. Rund 200 Gramm schwer. Vollgepackt mit Technik und Sensoren. Jede der rund 130 Milchkühe auf dem Hof von Markus Baumann in Geldern im Kreis Kleve hat seit knapp einem Jahr ein solches Teil im Magen liegen. Bis zum Ende ihres Lebens.

Der Zylinder, ein so genannter Bolus, sendet rund um die Uhr Daten aus dem Inneren der Kuh. Geht es dem Tier gut? Ist es in der Brunst? Läuft und frisst es genug? Aus dem Kuhmagen kommen diese Daten direkt auf das Handy des Landwirts. Das Ziel: Gesündere Tiere, weniger Zeit und Kosten, mehr Milch. Laut Hersteller ist der Bolus für die Kühe ungefährlich und beeinträchtigt sie nicht. Wie das System auf dem Hof in Geldern genau funktioniert, zeigen wir bei WDR Lokalzeit Land.Schafft.

Der erste Blick von Landwirt Baumann geht morgens mittlerweile auf sein Handy. Noch bevor er das erste Mal im Kuhstall war, weiß er schon, wie es seinen Tieren geht.

Das System meldet zum Beispiel, wenn eine Kuh eine Mastitis, also eine Euterentzündung entwickelt. "Früher haben wir das erst erkannt, wenn wir beim Melken Flocken in der Milch gesehen haben", sagt Baumann. Dann ist es zu spät – die Milch muss weggeschüttet werden.

Landwirt Markus Baumann aus Geldern in seinem Kuhstall

Sieht auf dem Handy, wie es seinen Kühen geht: Landwirt Markus Baumann

Das moderne System verspricht, dass es die Entzündung anhand der inneren Körpertemperatur der Kuh vier Tage früher erkennt. Mehr Zeit also für den Landwirt, mit entzündungshemmendem Knoblauch noch entgegen zu wirken und die Milch zu retten. Auch die Kosten für den Tierarzt kann er sich so im besten Fall sparen.

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Moderne Technik überwacht Kühe

"Ich nenne das die gläserne Kuh", sagt Kristin Becker, selbstständige Agrarwissenschaftlerin und Hostin bei WDR Lokalzeit Land.Schafft. "Man sieht an dem Tier etwas, das man von außen noch gar nicht erkennen kann. In Zukunft wird diese Technik von immer mehr Betrieben genutzt werden."

Dabei muss es nicht unbedingt der Zylinder im Kuhmagen sein. Es gibt auch Halsbänder, die die Bewegungen und Gesundheit der Kühe überwachen. Ebenso GPS-Tracker am Fuß, die genau aufzeichnen, wie lange sich ein Tier beim Fressen aufhält, wie lange es liegt, wie viel es sich bewegt. Allerdings sind diese Tracker für durchschnittliche Betriebe zu teuer.

Besonders beim Melken kommt in Kuhställen immer häufiger moderne Technik zum Einsatz. Melkroboter, in die die Tiere selbst hineingehen und die nebenbei auch noch das richtige Kraftfutter geben und die Gesundheit des Tieres überwachen, sind immer öfter zu finden. "Gerade in diesem Bereich überlegen sich die Anbieter immer neue Dinge", sagt Becker.

Künstliche Intelligenz im Kuhstall

Der nächste Schritt, an dem gerade gearbeitet wird: Eine Künstliche Intelligenz, die alle gesammelten Daten im Kuhstall noch besser analysiert und noch besser auf jede einzelne Kuh eingehen kann. Agrarwissenschaftlerin Becker: "Eine KI kann zum Beispiel unterscheiden, ob eine Kuh weniger läuft, weil sie etwas an ihren Klauen hat oder ob sie weniger läuft, weil sie einfach fauler ist als die anderen".

Unter anderem wird auch am Potsdamer Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie am KI-Kuhstall von morgen geforscht. Dort geht es unter anderem darum, wie eine Künstliche Intelligenz die Belüftung des Stalls so steuern kann, dass sich die Kühe jederzeit wohlfühlen – Sensoren und Simulationsmodelle kommen zum Einsatz.

Teure Technik für das Tier

Viel moderne Technik also. Technik, die sich allerdings längst nicht jeder leisten kann. Landwirt Baumann aus Geldern hat für die Einrichtung des Bolus-Systems in seinem Stall rund 12.000 Euro bezahlt. Dazu kommen weitere laufende Kosten – "hochgerechnet 200 Euro pro Tierleben", sagt er. Aber: "Wir sparen Antibiotika, wir sparen, weil wir die Milch nicht wegschütten und Hormone brauchen wir auch fast gar nicht mehr, weil das System jede Brunst sieht".

Die Kühe im Kuhstall von Landwirt Baumann in Geldern.

Rund um die Uhr unter Beobachtung: Die Kühe von Landwirt Baumann in Geldern

Weniger Kosten, mehr Gesundheit für die Tiere. Klingt gut. Aber geht es nicht vor allem um Effizienz? Darum, noch mehr aus den Tieren herauszuholen? Agrarwissenschaftlerin Becker wünscht es sich anders, aber sie sagt ehrlich: "In der heutigen Welt des Überkonsums müssen wir günstige Lebensmittel in großen Mengen erzeugen. Da geht es eigentlich nicht, dass eine Kuh krank ist, das kostet Geld." Landwirten bleibe nichts anderes übrig, als wirtschaftlich zu sein.

Allerdings ist auch klar: Trotz aller Technik – einen Landwirt-losen Kuhstall wird es laut Becker nicht geben. "Die Technik ist ein gutes Hilfsmittel. Aber Prozesse müssen kontrolliert werden – und das kann nur der Mensch."