Jan Große-Kleimann läuft über einen Acker. Einen Acker, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich brach liegen würde. Eigentlich. Denn auf seinem Acker wuchern sattgrüne Pflanzen. Der Landwirt aus Steinfurt im Münsterland setzt seit drei Jahren zum Teil auf regenerative Landwirtschaft. Sie soll dafür sorgen, dass die Äcker auch mit langer Trockenheit oder plötzlichem Starkregen gut zurechtkommen und auch langfristig Erträge sichern. Als Reaktion auf den Klimawandel. Wie die regenerative Landwirtschaft auf Große-Kleimanns Hof abläuft, zeigen wir bei WDR Lokalzeit Land.Schafft.
Ist die regenerative Landwirtschaft die Antwort auf die Klima-Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft? Große-Kleimann sagt ganz klar: "Ja, ich erkenne positive Veränderungen im Boden seit der Umstellung." Unterstützung bei seinem Zwischenfazit bekommt er unter anderem vom Naturschutzbund NABU. Er stellt Landwirten, die ihr Konzept umstellen, in einer Studie perspektivisch bis zu 60 Prozent höhere Gewinne in Aussicht.
Trotzdem ist der Landwirt aus Steinfurt bisher fast noch ein Einzelkämpfer. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil das Feld der regenerativen Landwirtschaft recht groß ist. Aber klar ist: Bisher setzen nur vereinzelte Betriebe auf das Konzept. Warum ist das so? Welche Vorteile hat die regenerative Landwirtschaft? Und welche Nachteile?
Die Vorteile der regenerativen Landwirtschaft
Ein Boden, der biologisch aktiv ist
Egal ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter - der Acker ist immer bepflanzt. Das ist eines der Grundprinzipien der regenerativen Landwirtschaft. Auf seinem Maisfeld hat Große-Kleimann deshalb als Zwischenfrucht rund 30 verschiedene Pflanzen gesät. Von Bohnen und Erbsen über Rettich, Klee und Gräser bis zu Sonnenblumen. Ein Paradies und gefundenes Fressen für Würmer und Schnecken. Sie zersetzen die Pflanzen und Pflanzenreste und verteilen ihre Bestandteile im Boden. Es entsteht Humus, der die angebauten Nutzpflanzen später besser mit Nährstoffen versorgen kann.
Bodenverbesserer: Landwirt Jan Große-Kleimann mischt Pflanzenkohle in seine Gülle
Ein weiterer Bodenverbesserer: Landwirt Große-Kleimann mischt Pflanzenkohle in seine Gülle. Sie selbst ist zwar kein Dünger, hat aber eine riesige Oberfläche. So kann sie Nährstoffe aus der Gülle binden, die sich sonst einfach verflüchtigen würden. "Ich erhöhe so den Nährstoffspeicher in meinem Boden, das ist eine nachhaltige Investition", sagt der Landwirt. Und die Kohle hat noch einen Vorteil: Weil sie die Stoffe in der Gülle besser bindet, stinkt es nicht. Das freut auch die Nachbarn.
Ein Boden, der für den Klimawandel gewappnet ist
Viele Pflanzen bedeuten unzählige Wurzeln, viele Würmer bedeuten unzählige kleine Gänge im Boden. Die Folge: Der Boden ist deutlich lockerer, als auf einem Acker, der monatelang brach liegt. Durch die vielen Wurzel- und Regenwurmgänge kann er deutlich mehr Wasser aufnehmen. Auch wenn es mal sehr viel Regen auf einmal gibt, was in Zukunft wohl immer öfter passieren wird. Hier kommt auch noch einmal die Pflanzenkohle ins Spiel: Sie wirkt im Boden wie ein riesiger Schwamm, der zusätzliches Wasser aufnehmen kann.
Gleichzeitig ist das auch die Notreserve für längere Trockenphasen. Der Boden kann deutlich mehr Wasser speichern und an die Pflanzen abgeben. Die immergrüne Bepflanzung ist außerdem ein natürlicher Sonnenschutz. Bei Sonne und Hitze verdunstet nicht mehr so viel Wasser.
Ein Boden, der weniger Arbeit macht
Mehr Nährstoffe, mehr Pflanzen- und Insektenvielfalt, mehr Schutz gegen die Folgen des Klimawandels. Aber weniger Arbeit? Tatsächlich verspricht auch das die regenerative Landwirtschaft. Der Boden soll so wenig wie möglich von außen bewegt werden. Das Pflügen entfällt also. Auch gedüngt wird weniger. Das spart Zeit, Arbeitsstunden und Geld. "Das was wir mit der mechanischen Bodenlockerung meinen gut zu machen, machen die Bodenwürmer für uns umsonst", sagt Große-Kleimann.
Eine weitere große Einsparung: Wer weniger zum Pflügen oder Düngen mit dem Traktor über die Äcker fahren muss, verbraucht auch deutlich weniger teuren Diesel.
Ein Boden, der das Klima schont
Dass die Landwirtschaft dem Klima zu schaffen macht, ist kein Geheimnis. Sie allein sorgt laut Umweltbundesamt für rund acht Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes in Deutschland. Der größte Anteil: Die Viehhaltung. Rinder produzieren bei der Verdauung Unmengen des Treibhausgases Methan, das so in die Luft gelangt. Aber auch die Ausbringung von Stickstoff-Düngern und chemischen Pflanzenschutzmitteln auf den Feldern sowie der Diesel-Verbrauch der Traktoren machen sich in der Klimabilanz bemerkbar.
Die regenerative Landwirtschaft setzt auch hier an. Ein gesunder Boden mit viel Humus kann besser das klimaschädliche Kohlendioxid binden. Es gelangt so nicht in die Atmosphäre. Außerdem braucht er weniger Dünger. Und auch der Traktor mit seinen Abgasen kommt viel seltener zum Einsatz. All das schont das Klima.
Die Nachteile der regenerativen Landwirtschaft
Es geht nicht ohne Unkrautvernichter
Ein Boden, der sich fast von selbst mit Nährstoffen versorgt und kaum Eingriffe von außen braucht. Das erscheint zunächst als eine ideale Lösung. Es ist allerdings nicht die ganze Wahrheit. Zu der gehört nämlich auch, dass Landwirt Große-Kleimann den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat einsetzt. Denn: Die als Zwischenfrucht gewachsenen Pflanzen und auch viele Wurzelunkräuter fühlen sich auf seinem Feld sehr wohl. Eine frisch gesäte Nutzpflanze, wie in seinem Fall Mais, könnte sich gegen die wuchernden Pflanzen gar nicht durchsetzen. Es braucht also vor der Aussaat Hilfe von außen.
Glyphosat: Ein umstrittener Unkrautvernichter
Glyphosat ist das meist verkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt. Grob gesagt: Wo es gespritzt wird, wird alles Grüne abgetötet. In Wasserschutzgebieten ist das Mittel verboten, auch Hobbygärtner dürfen es nicht mehr einsetzen. Die Internationale Krebsforschungs-Agentur der Weltgesundheitsorganisation hat Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft, andere Behörden kommen zu einem anderen Ergebnis. Ob das Mittel ab 2024 in der Europäischen Union weiterhin eingesetzt werden darf, ist noch unklar. Die EU-Kommission hat die Entscheidung dazu zuletzt vertagt.
Die Kritik an seinem Glyphosat-Einsatz ärgert den Landwirt spürbar. Er sagt: "Wenn man sich nur das Glyphosat alleine anguckt, dann blendet man aus, was in der konventionellen Landwirtschaft sonst alles gespritzt wird - von Herbiziden bis Fungiziden." Es gäbe auch natürliche Alternativen zum Glyphosat. Allerdings mit zwei Nachteilen: Sie kommen nicht gegen jedes Unkraut an und sind auch deutlich teurer.
Es geht nicht ohne Investitionen
Wer auf die regenerative Landwirtschaft setzt, braucht Geduld. "Ich investiere viel Geld und Zeit in Sachen, die für die Stabilität des Bodens in den nächsten 15 bis 20 Jahren sorgen. Aber nicht für den Spitzenertrag im nächsten Jahr", sagt Große-Kleimann. Auch der Naturschutzzbund NABU räumt ein, dass seine vorausgesagte Gewinnsteigerung bei der regenerativen Landwirtschaft erst nach sechs bis zehn Jahren einsetzen wird.
Große-Kleimann hat zunächst einen Kurs besucht. Zehn Tage innerhalb eines Jahres. Er musste sich also vorab länger mit der Umstellung beschäftigen. Das braucht Zeit. Dann hat er sich die Nährstoffverhältnisse in seinem Boden angeguckt. Das Ergebnis: Es fehlten unter anderem Bor, Schwefel und Magnesium. Um ein ausgeglichenes Nährstoffverhältnis zu schaffen, hat der Landwirt die Stoffe zusätzlich ausgebracht. Das kostet zunächst einmal Geld, das nicht sofort wieder reinkommt.
Auch in einen neuen Traktor hat der Landwirt investiert. Der neue ist kleiner, leichter und hat breitere Reifen. Das soll den Boden schonen.
Es fehlen offenbar noch Anreize
Die Vorteile der regenerativen Landwirtschaft scheinen vor allem auf längere Sicht zu überwiegen. Und Studien zeigen, dass sich Landwirte aufgrund des Klimawandels immer häufiger auf Ernteausfälle einstellen müssen. Bisher spielt das Wetter bei den meisten aber noch einigermaßen mit, die Ernteausfälle halten sich unter dem Strich in Grenzen.
Viele Landwirte scheuen sich deshalb davor umzusteigen. Letztlich werden aber alle umdenken müssen, meint Landwirt Große-Kleimann: "Es braucht wohl noch ein paar Jahre mit ein paar mehr Wetterextremen bis die Erkenntnis durchdringt, dass wir nur mit einem gesunden Boden nachhaltig produzieren können." Er selbst will weiter im Bereich der regenerativen Landwirtschaft experimentieren. Denn: "Auch meine Enkelkinder sollen noch von diesen Böden leben können."