Woher kommt mein Fleisch? Was die Haltungsform bedeutet
Stand: 08.09.2024, 09:39 Uhr
Auf fast jeder Fleischverpackung im Supermarkt ist es zu sehen: das Siegel "Haltungsform". Was bedeuten die einzelnen Stufen eigentlich konkret für die Tiere? Zeigt das Siegel tatsächlich, ob es den Tieren gut ging? Und warum wird gerade ein neues Siegel eingeführt? Hier kommen die Antworten.
Von Stefan Weisemann
Was die Freiland-Schweine aus Essen besonders macht
Hier fühlt sich Alexander im Brahm am wohlsten. Im blauen Arbeitsanzug hockt der Landwirt aus Essen im dichten Stroh. Die Sonne scheint auf sein Gesicht. Und auf die Rücken seiner Schweine. Die wirbeln um den Landwirt herum, geben ein ständiges Grunzen von sich. Jedes einzelne will offenbar zumindest eine kurze Berührung oder ein kurzes Kraulen abbekommen. Vom "Chef", wie sich im Brahm den Schweinen gegenüber selbst nennt.
Im Brahms Schweine leben draußen. Das ganze Jahr über. Schutz bei Regen oder Sturm bieten ihnen große Zeltdächer. In kleineren Boxen können sich die Schweine zurückziehen. "Die haben Gras, die können buddeln, die leben an der frischen Luft", beschreibt im Brahm das Schweineleben auf seinem Hof. Kein Stall, keine Spaltenböden, keine Enge. Das Besondere: Im Brahm hält gleich 2000 Schweine so. Massentierhaltung im Freiland. Wie die genau aussieht, zeigen wir euch hier.
Freiland-Schweine wie die in Essen sind noch nicht so verbreitet in Deutschland. Eine besondere Form der Haltung also, die sich erst noch etablieren muss. Wie Tiere gehalten werden, sollen Verbraucher im Supermarkt schnell an den Fleischverpackungen erkennen. Es gibt unzählige Label, Siegel und Kennzeichnungen. Maximale Transparenz? Eher maximale Verwirrung, sagen Kritiker.
Am bekanntesten ist das Siegel "Haltungsform". Ein weißes Kästchen, auf dem vier Stufen in verschiedenen Farben angezeigt sind. Nach und nach kommt "Bio" als fünfte Stufe dazu. Die großen Supermarktketten haben sich vor einigen Jahren auf dieses einheitliche Siegel geeinigt. Was können Verbraucher daran ablesen? Was nicht? Und warum führt die Bundesregierung gerade ein weiteres Tierhaltungs-Siegel mit fünf Stufen ein?
Was die fünf Stufen beim Siegel "Haltungsform" bedeuten
Haltungsform 1: "Stall"
Nicht mehr als die gesetzlichen Mindeststandards. Das ist die rote Stufe 1 beim Siegel "Haltungsform". Die Tiere bekommen ein Mindestmaß an Platz. Ein ausgewachsenes Schwein beispielsweise ist auf nicht einmal einem Quadratmeter eingepfercht. Rinder haben je nach Gewicht um die zwei Quadratmeter Platz. Zusätzlich werden sie im Stall angebunden, mit Ketten oder Gurten. Ein Leben zwangsläufig im Stillstand.
Das wohl bekannteste Siegel auf Fleischverpackungen: "Haltungsform"
Auch bei Hühnern gibt es Platz-Probleme: Hier sind rund 26 Tiere pro Quadratmeter erlaubt. Der Platz berechnet sich hier nach dem Gesamtgewicht der Tiere. Frische Luft im Stall ist bei Stufe 1 nicht vorgesehen. "Es ist absurd, dass diese Stufe überhaupt gekennzeichnet wird", sagt Andreas Winkler von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.
Haltungsform 2: "Stall + Platz" oder "Stallhaltung Plus"
Etwas mehr Platz gibt es bei Stufe 2 in Blau. Aber auch hier kaum mehr als bei den gesetzlichen Mindeststandards. Ein Schwein hat hier zehn Prozent mehr Platz im Stall, spürbar mehr Bewegungsfreiheit bietet das nicht. Auch bei Hühnern müssen es mindestens zehn Prozent mehr sein.
Für sie schreibt die zweite Haltungsstufe außerdem "zusätzliches Beschäftigungsmaterial", wie zum Beispiel Stroh oder Picksteine vor. Es reicht allerdings, auf 150 Quadratmetern Stall einen einzigen solchen Gegenstand bereitzustellen.
Enge und Spaltenboden: Schweine in einem konventionellen Stall
Die Naturschützer von Greenpeace erheben seit mehreren Jahren, wie viel Fleisch welcher Haltungsform die Supermärkte verkaufen. Aktuell macht Fleisch aus den Stufen 1 und 2 rund 82 Prozent aus, sagen sie. Das ist zwar immer noch ein hoher Anteil an "Billigfleisch", aber er sinkt stetig. Letztes Jahr waren es noch gut 87 Prozent. Das Ziel der Supermärkte: Bis zum Jahr 2030 wollen sie gar kein Fleisch mehr aus diesen beiden Haltungsformen anbieten.
Haltungsform 3: "Frischluftstall" oder "Außenklima"
Erste größere Veränderungen bei der Haltung gibt es bei der orangen Stufe 3. Hier bekommen die Tiere jetzt auch frische Luft, zum Beispiel durch eine offene Seite des Stalls oder einen Auslauf draußen. Allerdings reicht auch ein geöffnetes Fenster im Stall.
Und auch hier kommt wieder etwas mehr Platz dazu. Ein Schwein bekommt etwas mehr als einen Quadratmeter und Stroh zur Beschäftigung. Rinder dürfen nicht mehr angebunden werden. Außerdem muss das Futter der Tiere in der Mastphase frei von Gentechnik sein. "Letztlich sind das aber alles nur kosmetische Verbesserungen", sagt Foodwatch-Experte Winkler.
Haltungsform 4: "Auslauf/Weide" oder "Premium"
Haltungsform 4 präsentiert sich auf den Verpackungen in Hellgrün. Im Vergleich zur Stufe 1 hat ein Schwein hier doppelt so viel Platz, also 1,5 Quadratmeter. Schweine und Rinder müssen rund um die Uhr ins Freie gehen können, in einen Auslauf oder auf eine Weide.
Hühner sollen zumindest in einem Drittel ihrer Lebenszeit nach draußen können. Sie bekommen zusätzlich auf einem Teil des Bodens Stroh, Holzspäne, Sand oder Torf. Bisher ist Stufe 4 auf den meisten Fleischverpackungen in den Supermärkten die höchste Stufe beim Haltungsform-Siegel. Sie soll das Maß aller Dinge beim konventionellen Tierwohl anzeigen, wird teilweise auch als "Premium" beworben.
Haltungsform 5: "Bio"
Nach und nach kommt eine fünfte Stufe dazu: Bio. Unter anderem muss hier das Futter komplett frei von Gentechnik und aus ökologischem Anbau sein. Die Regeln für Antibiotika sind strenger. Hühner dürfen raus, wann immer es das Wetter zulässt. Die Außenfläche muss überwiegend bewachsen sein. Schweine bekommen zusätzlich noch Wühlmaterial.
Platz und Grün: Bio-Rinder auf einem Hof in Kamp-Lintfort
Außerdem müssen die Höfe und Betriebe mindestens nach EU-Öko-Verordnung zertifiziert sein. Stehen die Haltungsformen 4 und 5 also für ein erfülltes und fröhliches Tierleben? Und die Haltungsform 1 schlicht für ein unwürdiges Tierleben? Ganz so einfach ist es nicht.
Was die Haltungsform über das Tierwohl aussagt
Im Schnitt hat 2023 jeder Deutsche 51,6 Kilogramm Fleisch gegessen. Das ist laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir so wenig wie noch nie, seit der Verbrauch erfasst wird. "Viele essen heute weniger, dafür bewusster Fleisch", sagt Özdemir. Beim bewussteren Fleischkauf soll auch das Haltungsform-Siegel helfen, versprechen die Supermärkte. Können Verbraucher an dem Siegel tatsächlich erkennen, wie gut oder schlecht es einem Tier ging?
"Jein", sagt Verbraucherschützer Winkler, "das Siegel bietet nur eine sehr bedingte Orientierung". Sein größter Kritikpunkt: Das Siegel sagt zwar etwas über die Bedingungen aus, in denen das Tier gehalten wurde. Es zeigt aber nicht an, ob das Tier auch gesund war.
"Nur weil der Stall größer ist, geht es dem Tier nicht besser", sagt Winkler und belegt das mit einer Studie: Danach sind bei der konventionellen Haltung von Schweinen rund 40 Prozent der Tiere krank, vor allem Lungenentzündungen sind ein Problem. Ebenso Wunden, zum Beispiel durch Schwanzbeißen. In der Bio-Haltung sind laut der Studie 35 Prozent der Tiere krank. Der Unterschied ist also nicht allzu groß. Ob die Tiere gesund sind, hängt vor allem von der Arbeit des Landwirts, vom Futter und von der Hygiene ab.
Außerdem sagt das Haltungsform-Siegel auch nichts darüber aus, wie die Tiere aufgezogen, transportiert und geschlachtet wurden. Ein Kritikpunkt, den die meisten Tier- und Verbraucherschützer teilen.
Warum ein neues Tierhaltungs-Siegel eingeführt wird
"Initiative Tierwohl", "Nature & Respect", "Für mehr Tierschutz", "Bioland", "Demeter". Schon jetzt zieren unzählige Siegel die Fleischverpackungen im Supermarkt. Zusätzlich führt die Bundesregierung jetzt ein neues Siegel ein. In schwarz-weiß, also deutlich weniger farbenfroh und auffällig, als die meisten anderen. Minister Özdemir verspricht sich davon "Transparenz und Klarheit" und "eine bewusste Kaufentscheidung".
So sieht das neue verpflichtende Label zur Tierhaltung aus
Das neue Label listet fünf Stufen bei der Tierhaltung auf, von "Stall" bis "Bio". Wer da direkt an das "Haltungsform"-Siegel denkt, liegt richtig. "Tatsächlich unterscheiden sich die Stufen bei den Siegeln im Detail nur minimal", sagt Foodwatch-Experte Winkler. Einen ganz entscheidenden Unterschied gibt es aber: Das neue Siegel ist staatlich vorgeschrieben. Spätestens ab August 2025 muss es zunächst auf jeder Packung mit Schweinefleisch abgedruckt sein. Rind und Huhn sollen folgen.
"Ein wichtiger und längst überfälliger Schritt", sagen die Naturschützer des NABU, "aber nicht genug, um wirkliche Transparenz bei der Tierhaltung herzustellen." Denn auch das neue Siegel beschränkt sich auf die Haltungsbedingungen der Tiere. Die Gesundheit etwa spielt weiterhin keine Rolle. Außerdem müssen zum Beispiel Wurst und Fleisch in Restaurants erst einmal nicht gekennzeichnet werden.
Ob freiwillig oder staatlich vorgeschrieben - Foodwatch hält von den Labels insgesamt nicht viel. Die Verbraucherschützer fordern, dass "Bio" bei der Haltung Mindeststandard sein sollte. Zusätzlich sollte es gesetzliche Vorgaben geben, wie Landwirte ihre Tiere gesund halten müssen.
Klar ist: Vielen Menschen ist es nicht egal, wie das Tier gelebt hat, das sie essen. Laut einer YouGov-Umfrage sind 58 Prozent der Deutschen bereit, mehr Geld auszugeben, wenn das Tier ein halbwegs gutes Leben hatte. Ob das so war, ist im Supermarkt allerdings nicht komplett zu ermitteln. Auch nicht mit den Siegeln zur Haltungsform.