Ein Schwein steht im Stroh

"Lass das Schwein doch mal Schwein sein": Wie ein Aktivstall funktioniert

Warendorf | Landwirtschaft

Stand: 17.05.2024, 09:27 Uhr

Drinnen oder draußen? Raufen oder Ruhen? Schlafen oder Schlemmen? In einem Aktivstall entscheiden die Schweine vieles selbst. Mehr Tierwohl ist das Ziel. Ob es den Schweinen wirklich besser geht und was Umweltschützer zum Konzept sagen.

Von Stefan Weisemann

Ein Schwein kommt durch eine Holztür aus dem Stall und durchstöbert das dichte Stroh nach Körnern. Ein anderes liegt neben einer kleinen Pfütze in der Sonne und ruht sich aus. Zwei weitere spielen miteinander. Die ganze Zeit ist ein leichtes Grunzen zu hören. Willkommen in einem Aktivstall für Schweine.

Landwirt Michael Hörstmann betreibt ihn in Sassenberg im Münsterland. Was seinen Stall von anderen Schweineställen unterscheidet, zeigen wir bei WDR Lokalzeit Land.Schafft.

Haben die Tiere ein "Schweineglück", im Aktivstall aufwachsen zu dürfen? Was ist das Besondere an diesem Konzept? Und wo stößt es an seine Grenzen?

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Wie das Aktivstall-Konzept funktioniert

"Es war mein Motor, die Schweine glücklich zu sehen", sagt Gabriele Mörixmann, Landwirtin und Diplom-Agraringenieurin. Jahrelang hat sie auf ihrem Hof in Hilter im Kreis Osnabrück verschiedene Haltungsformen für Schweine ausprobiert. Mal ganz konventionell im Stall auf Böden mit Spalten, mal komplett auf Stroh.

So richtig überzeugt hat sie das alles nicht. "Ich habe dann versucht, die Vorteile aus allen Konzepten zu verbinden", sagt sie. Tierwohl, Transparenz und Wirtschaftlichkeit wollte sie unter einen Hut bekommen. Das Ergebnis: Die Erfindung des Aktivstalls für Schweine und eine einfache Formel: "Lass das Schwein doch einfach mal Schwein sein."

Was ist ein Aktivstall für Schweine?

00:25 Min. Verfügbar bis 17.05.2026

Ein richtiger Schweine-Spielplatz ist deshalb auf dem Hof entstanden. Drinnen und draußen. Es gibt große Heuhaufen, Kuhlen zum Suhlen, Wasserspiele und Bürsten, an denen sich die Schweine scheuern können. Erschöpfte Schweine können sich in abgetrennten Bereichen ausruhen, entweder im Hellen oder im Halbdunkel.

Die Schweine entscheiden selbst, wann sie etwas fressen wollen. In Trögen finden sie Stroh und Heu, außerdem gibt es Lecksteine. Wasser bekommen sie an Tränken und in Trögen. Im Sommer bringen eine Dusche und Badestellen Abkühlung, denn "Schweine können nicht schwitzen", sagt Mörixmann. Kurzum: Die Schweine sollen sich im Stall im wahrsten Sinne sauwohl fühlen.

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Warum die Schweine ihre Ringelschwänze behalten können

Ein sichtbares Merkmal der Aktivstall-Schweine ist das Ringelschwänzchen: Von der Omasau über die Muttersau bis zum Ferkel, behalten es alle. Das ist eine Besonderheit in Deutschland, betont die Erfinderin des Konzepts. Denn den meisten Mastschweinen werden die Schwänze kurz nach der Geburt abgeschnitten. Obwohl das eigentlich verboten ist.

Die Tierhalter wollen damit verhindern, dass sich die Schweine die Schwänze in den engen Ställen aus Langeweile oder Aggressivität gegenseitig abbeißen. Im Aktivstall sollen Langeweile und Aggressivität gar nicht erst aufkommen. Die Idee: Geht es den Schweinen gut, sieht man das auch an ihren gesunden Ringelschwänzchen.

Eine Gruppe Schweine im Aktivstall in Hilter, zu sehen sind mehrere Ringelschwänzchen

Nur echt mit Ringelschwänzchen: Die Aktivstall-Schweine

Und umgekehrt sagt Mörixmann: "Wenn was nicht stimmt, dann zeigt der Ringelschwanz das sofort. Er ist im Prinzip wie ein Fieberthermometer am Schwein." Doch auch obwohl sie viel für das Wohl ihrer Schweine tut, beißen sie hin und wieder mal bei ihren Mitbewohnern zu, am Schwanz oder an den Ohren. Ein neuer Ansatz bei der Fütterung soll das reduzieren: Die Schweine werden mit lebenden Regenwürmern gefüttert. Wie das abläuft, zeigen wir hier.

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Was mit den Schweinen aus dem Aktivstall passiert

Frei spielen und ausruhen, essen und trinken, wie viel man will. Das klingt nach einem guten Schweineleben. "Ich finde, das Minimum an Wertschätzung ist, dass sie ein gutes Leben hatten", sagt Mörixmann über ihre Schweine.

Die Schweine verbringen etwa 200 Tage im Aktivstall. Wenn sie dann genug Gewicht auf die Waage bringen, geht es zu einem Schlachter in der Nähe. Auch der ist Teil des Konzepts, er muss hohe Standards bei Transport, Arbeitsbedingungen und Schlachtung nachweisen.

Am Schluss landet das Fleisch der Aktivstall-Schweine in den Theken von einigen ausgesuchten Fleischereien und Supermärkten, auch im Internet wird es verkauft. Erkennbar am Siegel "Aktivstall für Schweine". Die Preise bestimmen Landwirte, Schlachter und Vermarkter gemeinsam. Denn auch das gehört zum Konzept, sagt Mörixmann: "Es wird niemand reich, aber es soll ja auch niemand arm werden."

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Welche Hürden das Aktivstall-Konzept hat

Neun Landwirte in Deutschland haben ihre Ställe mittlerweile zu Aktivställen umgebaut, so wie auch Landwirt Hörstmann aus dem Münsterland. Zwei Millionen Euro hat ihn das gekostet. Trotz der hohen Investition ist die Nachfrage groß: "Eigentlich bekomme ich jeden Tag Anrufe von Landwirten, die auch mitmachen wollen", sagt Mörixmann. Das Problem sei, dass es für mehr Aktivstall-Schweine derzeit noch nicht genug Nachfrage gebe. Die Abnehmer der Schweine müssten immer kalkulieren, ob sie Fleisch und Wurst am Ende auch verkauft bekommen.

Letztlich hängt also vieles daran, ob die Kunden bereit sind, für mehr Freiraum und Abwechslung im Schweineleben auch mehr Geld auszugeben. 150 Gramm Salami vom Aktivstall-Schwein kosten 4,70 Euro, also mehr als 30 Euro pro Kilo. Das ist rund drei Mal so teuer, wie eine günstige Packung Salami von Schweinen aus konventioneller Haltung beim Discounter.

Auch die Politik macht es den Landwirten nicht immer leicht. Mörixmann sagt: "Sie erlassen Gesetze, ohne mit den Machern gesprochen zu haben." So haben Berater der Bundesregierung zuletzt empfohlen, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen: "Das macht unser ohnehin teureres Fleisch dann prozentual noch teurer."

So wagen sich insgesamt bisher nur wenige Landwirte, ihre Schweinehaltung komplett umzustellen. Dabei ist der Aktivstall nicht das einzige Konzept. Einige Landwirte setzen zum Beispiel auf "Strohschweine". Diese Schweine haben in den Ställen mehr Platz, auch hier gibt es Innen- und Außenbereich und natürlich viel Stroh. Der Großteil der mehr als 20 Millionen Mastschweine in Deutschland wird laut Bundeslandwirtschaftsministerium 2023 allerdings weiter konventionell gehalten: Zwei Drittel der Schweine verbringen ihr Leben ausschließlich auf harten Spaltenböden.

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Ob der Aktivstall tatsächlich mehr Tierwohl bietet

Zurück in den Aktivstall. Es ist "das Tierwohl, das mich wahnsinnig begeistert", sagt Landwirt Hörstmann aus dem Münsterland. Haben die Schweine im Aktivstall also tatsächlich ein "Schweine-Glück"? "Ja", sagt Patrick Müller, Experte für Tierhaltung beim Umweltschutzverband BUND: "Natürlich ist es nicht Bullerbü, aber ein sehr großer Fortschritt beim Tierwohl." Der Umweltschützer spricht von einer "sehr tiergerechten Haltung".

Er sieht aber auch beim Aktivstall noch Luft nach oben. Bei der Tierhaltung nicht, aber vor allem beim Futter. Beim Anbau des Futters würden aus Sicht des BUND noch zu viele Pestizide eingesetzt. Die Umweltschützer fordern hier strengere Regeln. Trotzdem würden sie sich deutlich mehr Projekte wie den Aktivstall wünschen. Müller sagt: "Der Aktivstall ist nicht nur reines Marketing, es geht den Tieren dort tatsächlich viel besser."