Traktor fährt über ein Weizenfeld

5 Fragen zu Landwirtschaft ohne Tiere: Ein realistisches Szenario?

Lippe | Landwirtschaft

Stand: 31.08.2023, 10:13 Uhr

Ein Hof in Lippe hat radikal umgesteuert - von konventioneller Fleischproduktion auf Pilzzucht, bio und vegan. Fakt ist: Es gibt immer weniger fleischverarbeitende Betriebe. Aber: Funktioniert Landwirtschaft ganz ohne Tiere überhaupt? Eine Annäherung.

Von Silke Schmidt

Pilze statt Schweinemast - die Familie, die diesen Schritt gegangen ist, ist Familie Stuckmann aus Lippe in NRW. Sie ist damit nicht allein, immer mehr fleischverarbeitende landwirtschaftliche Betriebe stellen um. Wie realistisch ist das Szenario, dass Höfe ohne Nutztiere in Zukunft zum Normalfall werden?

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Wie ist die Ausgangslage?

In NRW gibt es rund 23.000 Betriebe mit Viehaltung. Während die Zahl der Betriebe in den vergangenen Jahren gesunken ist, ist die Zahl der Nutztiere leicht gestiegen. 2010 gab es in NRW noch 10.300 Schweinemastbetriebe, zehn Jahre später waren es nur noch knapp 7.400. Mehr als ein Viertel der Betriebe hat aufgegeben. Bei den Milchbauern sind es in den vergangenen fünf Jahren knapp 15 Prozent weniger geworden.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Tiere in den verbleibenden Betrieben in NRW sogar an. Besonders deutlich wird das bei der Zahl der Hühner, die seit 2010 um mehr als ein Fünftel gestiegen ist. Bedeutet in der Konsequenz: Immer weniger Höfe haben eine immer größere Zahl an Nutzvieh. Ein gegenteiliger Trend zum vermeintlichen Verbraucher-Ideal mit regionalem Fleisch vom kleinen Betrieb nebenan. Wie verschiedene Schlachtungen im Sinne des Tierwohls aussehen können, erfahrt ihr übrigens hier bei Lokalzeit Land.Schafft.

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Warum gibt es immer weniger Betriebe mit Nutztieren?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Schwierigkeiten beim Vertrieb, vor allem als während Corona Restaurants als wichtige Abnehmer des Fleisches wegfielen, höhere Kosten für Rohstoffe und Energie sowie gestiegene Auflagen zum Beispiel beim Emissionsschutz. Zudem verzichten gerade in der jüngeren Zielgruppe immer mehr Konsumenten auf Fleisch. Bei Familie Stuckmann aus Lippe war es ein Mix aus all diesen Faktoren - und dazu noch eine Generationen- und Gewissensfrage. Sohn und Tochter sollten den Hof übernehmen, wollten aber keinen Schweinemast. Die Familie steuerte radikal um - auf Pilzzucht. Auch ohne Tierhaltung gelingt hier eine Art Kreislaufwirtschaft. Alles zur Umstellung des Hofes im Video:

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Wäre dieses Konzept auch auf die breite Masse übertragbar?

Zum aktuellen Zeitpunkt eher nicht. Pilzzucht ist ein sehr spezielles Feld und eine eigene Nische, die viel Erfahrung verlangt. Es können ja auch nicht alle Landwirte mit Tieren nur noch Pilze anbauen. Und grundsätzlich gilt: Damit Gemüse gut wächst, braucht es Nährstoffe. Um dem Boden die entzogenen Nährstoffe wieder zurückzugeben muss gedüngt werden.

In Deutschland ist 40 Prozent des Düngers organisch und kommt aus der Tierhaltung. Neben Gülle werden auch Schlachtabfälle genutzt, zum Beispiel Hornspäne, Blutmehl oder getrocknete Tierhaare. Auch Biobetriebe nutzen solche organischen Dünger, da sie auf Kunstdünger verzichten müssen. Selbst wenn also auf einem Hof keine Tiere leben, kommen dort tierische Produkte zum Einsatz.

Hintenansicht eines Traktors, der Gülle auf einem Feld verteilt

Organische Dünger kommen ohne künstliche Bestandteile aus

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Wie viele landwirtschaftliche Betriebe gibt es, die jetzt schon ohne tierische Produkte wirtschaften?

Das ist schwer zu beantworten, weil es dafür bislang kaum klare Kriterien gibt, nach denen ein Hof entsprechend zertifiziert wird. Landwirtschaftliche Betriebe ganz ohne tierische Produkte sind aktuell auf jeden Fall die Ausnahme, nicht der Regelfall. Es gibt in Deutschland einige Betriebe, die vegan oder „biozyklisch-vegan“ wirtschaften. Sie verzichten auf alle Dünger und Produkte aus der Tierhaltung.

Als pflanzliche Düngealternativen werden zum Beispiel getrocknete Algen, Pellets aus Kartoffelschalen oder Trester aus Biobrauereien verwendet. Außerdem spielen Leguminosen, wie Kleegras, eine Rolle, die Stickstoff im Boden binden. „Biozyklisch-vegan“ ist so ein geschütztes Label mit entsprechenden Anforderungen an die Höfe. Aktuell gibt es noch keinen biozyklisch-veganen Betrieb in NRW. Grundsätzlich nimmt die Bedeutung pflanzlicher Düngung jedoch langsam zu.

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Welche Auswirkungen hätte es, wenn es gar kein Nutzvieh mehr in der Landwirtschaft gäbe?

Die Antwort auf diese Frage ist natürlich sehr hypothetisch. Es wäre jedoch davon auszugehen, dass sich nicht nur unsere Landwirtschaft dadurch massiv verändern würde. Wer schon mal im Schweinestall war, der kennt den Gestank.

Was da so intensiv in der Nase sticht, ist Ammoniak. 95 Prozent der Ammoniak-Emissionen in Deutschland gehen auf das Konto der Landwirtschaft. Ammoniak und das nach Umwandlung entstehende Ammonium können Land- und Wasserökosysteme schädigen. Durch zu hohe Nährstoffzufuhr können Gewässer veralgen. Die Landwirtschaft in Deutschland trägt außerdem maßgeblich zum Ausstoß klimaschädlicher Gase bei. Dafür verantwortlich sind vor allem Methan-Emissionen aus der Tierhaltung.

Mehrere rosa Schweineferkel stehen in einem Stall und schauen in die Kamera

2022 wurden fast sechs Millionen Schweine in NRW gehalten

Ohne Tiere würde jedoch auch ein wichtiger Teil in der Kreislaufwirtschaft fehlen. Wenn Getreide oder Hülsenfrüchte für die Verarbeitung zu Lebensmitteln für Menschen qualitativ nicht genügen - zum Beispiel weil es ein verregneter Sommer war - dann landen sie im Futtertrog. Auch durch den Anbau von Zwischenfrüchten entsteht Biomasse, zum Beispiel Stengel und Blätter, die für den Menschen nicht verwertbar ist. Über Tierhaltung können diese Pflanzenreste zu Lebensmitteln umgewandelt werden. Für viele Landwirte gehört Tierhaltung deshalb unbedingt zum Kreislauf dazu.

Ohne Weidetiere gingen zudem wohl typische Landschaftsformen verloren. Wiesen, Weiden, Moore könnten ohne Wiederkäufer wie Schafe, Ziegen und Rinder nicht gepflegt werden. Grünland würde verkrauten und verbuschen. Lebensräume für seltene Tier- und Insektenarten verschwänden.