Zwei Schalen mit Snacks, in einer sind Erdnüsse, in der anderen Würmer

Da ist der Wurm drin: Was spricht für Insekten in Lebensmitteln?

NRW | Landwirtschaft

Stand: 24.07.2024, 13:21 Uhr

Riegel aus Heuschrecken oder Mehl aus Grillen: Seit rund drei Jahren dürfen Lebensmittel aus Insekten in der EU verkauft werden. Ihnen wird nachgesagt, sie seien besonders proteinreich und gut für das Klima. Doch ist das wirklich so? Experten aus NRW beantworten diese und andere Fragen.

Von Hanna Makowka

In einigen Teilen der Welt sind Insekten auf dem Teller völlig normal. In Thailand werden getrocknete Wanzen wie bei uns Erdnüsse in Kneipen geknabbert, in Australien sind Holzbohrer-Larven, die nach Nüssen und Mandeln schmecken, eine traditionelle Speise der Aborigines und in Mexiko gibt es Käferlarven als Snacks.

In Deutschland wurden sie bis vor wenigen Jahrzehnten in Form von Maikäfersuppe verzehrt. Trotzdem sind bei uns Insekten auf dem Ernährungsplan die absolute Ausnahme - und das, obwohl sie als proteinreiche und klimafreundliche Alternative zum Fleischkonsum gelten. Werden wir in ein paar Jahren alle regelmäßig Produkte aus Insekten konsumieren?

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Welche Insekten-Produkte gibt es in Deutschland?

Erlaubt ist der Verkauf von Insekten als Lebensmittel in der EU seit 2021. Aktuell sind in Deutschland gelbe Mehlwürmer, europäische Wanderheuschrecken, Hausgrillen und Buffalowürmer als Lebensmittel zugelassen. Es gibt sie bei uns gefroren, getrocknet oder in Pulverform. Als Burger Patties, Müsliriegel oder Nudeln. Der Geschmack ist leicht nussig. In einigen Restaurants stehen Insekten sogar als Delikatesse auf der Speisekarte. Auch in NRW gibt es solche Restaurants etwa in Essen, Duisburg, Düsseldorf oder Köln.

Vielfältig einsetzbar: So unterschiedlich sehen Insekten auf dem Teller aus

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Woher die Insekten stammen, die später zu diesen Produkten verarbeitet werden, ist unterschiedlich. "Es gibt Farmen in Frankreich oder den Niederlanden, die auch für den Lebensmittelbereich produzieren", weiß Prof. Dr. Guido Ritter. Er arbeitet als Ernährungswissenschaftler und Lebensmittelchemiker an der Fachhochschule in Münster. Mit Insekten als Lebensmittel beschäftigt er sich seit etwa zehn Jahren. Viele Insekten in unserem Essen könnten in Zukunft aber aus dem asiatischen Raum kommen, meint er - "aus Indonesien oder Thailand, wo schon länger Farmen existieren."

Futterquelle für Tiere

Gezüchtete Insekten dienen nicht nur als Nahrungsmittel für Menschen, sondern auch für Tiere in der Landwirtschaft. Damit beschäftigt sich das Unternehmen Illucens in Ahaus seit über 15 Jahren. Hier werden schwarze Soldatenfliegen gezüchtet.

Schwarze Soldatenfliegen im Fliegenstall

Schwarze Soldatenfliegen im Fliegenstall

Aus den Maden der Insekten macht Illucens Eiweißmehl. Abnehmer sind unter anderem Hersteller von Hunde- und Fischfutter. Landwirt Bernd Holters aus Ahaus überlegt, seinen Hof ebenfalls auf die Zucht von Soldatenfliegen umzustellen. Bisher hält er 800 Schweine. Aber die brauchen mehr Futter, Wasser und Fläche - und liefern im Verhältnis zu den Fliegen viel weniger Eiweiß.

Tatsächlich könnte es sein, dass die schwarze Soldatenfliege in Zukunft auch als Nahrungsmittel für Menschen zugelassen und bei uns auf dem Teller landen wird.

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Was spricht dafür, Insekten zu essen?

Der Sprecher des Bundesumweltamtes rät dazu, dass wir unseren Fleischkonsum aus Klimaschutzgründen halbieren. "Im Prinzip haben wir gar keine Alternative. Wir müssen das ändern, damit wir die Veränderungen des Klimas nicht weiterhin so negativ beeinflussen", sagt auch Professor Doktor Bernhard Watzl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Aber ist der Umstieg auf Insekten als Lebensmittel klimatechnisch die Lösung?

Ressourcenschonende Zucht

Die Zucht von Insekten benötigt weniger Fläche, Energie, Wasser und Futter. Während Rinder etwa acht Kilogramm Futter benötigen, um ein Kilogramm Fleisch aufzubauen, benötigen Insekten dafür durchschnittlich nur zwei Kilogramm. Im Vergleich zur traditionellen Fleischproduktion ist Insektenzucht also wesentlich ressourcenschonender. Hinzu kommt, dass beispielsweise Rinder beim Verdauen das Treibhausgas Methan ausstoßen.

"Allerdings sind Insekten keine Warmblütler, sondern müssen ihre Körperwärme von außen zugeführt bekommen", ergänzt Ernährungswissenschaftler Ritter. "Heißt: Sie müssen in beheizten Räumen sein. Die Energie dafür sollte aus Solar- oder Biogasanlagen kommen." Auch in Bezug auf die Menge des verwertbaren Tieres haben Insekten die Nase vorn: Sie können zu 80 Prozent verarbeitet werden, ein Rind nur zu 40 Prozent.

Weniger Tierleid und gute Nährwerte

Insekten leben auch in freier Wildbahn auf engem Raum zusammen. Deshalb gehen Forscher davon aus, dass sie unter Massentierhaltung weniger leiden als Schweine, Hühner oder Rinder. Außerdem werden sie durch Gefrieren getötet. Das entspricht ihrem natürlichen Tod, wenn sie im Winter durch die Kälte sterben.

Eine Schale mit Heuschrecken, Mehl- und Buffalowürmern auf Salat

Eine Schale mit Heuschrecken, Mehl- und Buffalowürmern auf Salat bei einem Street Food Festival.

Auch bei den Nährwerten liegen die Insekten vorn: "Manche haben wirklich einen hohen Anteil von ungesättigten Fettsäuren, beispielsweise der Mehlwurm, der ist sehr nährstoffreich", so Ritter. Im direkten Vergleich zum Rind ist der Proteingehalt bei Insekten höher. Wie viel höher, unterscheidet sich von Art zu Art, meint Ritter. "Aber alle bringen Proteine mit, die in der Zusammensetzung den üblichen tierischen Proteinen ähnlich sind. Wir können sie dementsprechend gut einbauen."

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Contra: Lange Zutatenliste und Preis

Die Verbraucherzentrale hat im Oktober 2020 einen Marktcheck veröffentlicht und darin Speiseinsekten in Supermärkten unter die Lupe genommen. Demnach seien insektenbasierte Lebensmittel vor allem als Snacks, Chips, Riegel und Nudeln zu finden. Die Produkte haben laut Verbraucherzentrale teilweise eine lange Zutatenliste aufgewiesen – in einem Proteinriegel waren neben Grillenpulver noch 18 weitere Zutaten aufgezählt.

In dem benannten Riegel seien insgesamt acht süßende Zutaten verarbeitet worden. Insgesamt seien viele Produkte sehr zuckerhaltig, allerdings ohne industriellen Zucker zu verwenden. Das lege den Verdacht nahe, dass den Lebensmitteln "ein ausgewogeneres Image" verpasst werden solle, heißt es im Marktcheck. Außerdem würden einige Produkte sehr viel Salz enthalten, der Gehalt an Insekten sei hingegen teilweise gering.

Burger mit Patties, in denen Mehlwürmer enthalten sind.

Burger mit Patties, in denen Mehlwürmer enthalten sind.

Ritter nennt noch einen Punkt, auf den kritisch geschaut werden muss: "Wir können und sollten Insekten nicht als die billige Variante tierischer Proteine verstehen. Wir sollten auch ethisch darauf achten, was wir da machen."

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Was müssen Verbraucher beachten? Allergiker aufgepasst!

"Man kann als Verbraucher immer davon ausgehen, dass man erkennen kann, wenn Insekten verarbeitet wurden", erklärt Ernährungswissenschaftler Ritter. Auf der Verpackung müsse immer die Spezies und die Menge stehen. Wegen der Kennzeichnungspflicht ist also ausgeschlossen, dass Insekten unbemerkt in Lebensmitteln enthalten sind.

Vom Verzehr selbst gesammelter Insekten rät Ritter ab. Bei ihnen ist nicht sichergestellt, dass sie unter hygienischen Bedingungen gelebt haben. Außerdem sollten die Insekten vor dem Verzehr ausreichend erhitzt werden. Wer sie roh isst, riskiert eine Übertragung von Parasiten oder Bakterien.

Wer eine Allergie gegen Krebs- und Weichtiere sowie gegen Hausstaubmilben hat, sollte vorsichtig sein. Der Verzehr von Insekten könnte in diesem Fall eine allergische Reaktion auslösen.

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Setzen sich Insekten durch - und was ist mit dem Ekel?

Laut Ernährungsreport 2020 stehen vor allem jüngere Menschen Insekten als Nahrungsmittel offen gegenüber. Laut Heinrich-Böll-Stiftung hat sich der Marktvolumen weltweit für essbare Insekten von 2019 bis 2023 auf rund 1,2 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Dennoch meint Ritter, dass es noch mindestens eine Generation brauchen wird, bis sich Insekten auf dem Teller durchsetzen: "Ernährung ist Gewohnheitssache."

Auch roher Fisch im Sushi sei bis vor zwei Jahrzehnten für viele ungewöhnlich gewesen. Der Unterschied zu Insekten sei der Ekelfaktor. "Den kann man überwinden, indem man die Insekten gar nicht mehr als ganzes Tier im Lebensmittel sieht." Zum Beispiel bei verarbeiteten Produkten wie Nudeln oder Mehl aus Insekten. "Das Wichtigste ist, dass es schmeckt - und das tut es", meint Ritter.

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Ein großer Hebel sei die Berichterstattung in den Medien. Ritter erzählt von einem Versuch, bei dem Wissenschaftler Probanden in ein Wartezimmer gesetzt haben. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen unterteilt, beide bekamen Zeitschriften zu lesen. Eine Gruppe las über die positiven Effekte von Insekten als Lebensmittel für die Umwelt, die andere über deren guten Geschmack. Beide Gruppen bekamen am Ende Burger aus Insekten angeboten. "Die Gruppe, die über den Genuss gelockt wurde, hat deutlich häufiger zugegriffen."