Mathis Lemke sitzt lächelnd auf einem alten Traktor, der auf seinem Hof und schaut über die Schulter in die Kamera. Im Hintergrund sind Landschaft und Berge.

Von wegen olle Postkarten: Der jüngste Heimatpfleger in NRW

Minden-Lübbecke | Heimatliebe

Stand: 22.10.2024, 07:21 Uhr

Heimatpflege - das klingt nach vergilbten Büchern und Postkarten. Stimmt nicht, sagt der 25-jährige Mathis Lemke aus Stemwede. Er will das Amt des Heimatpflegers entstauben und so die Dorfgemeinschaft am Leben halten. Was den 25-Jährigen in seinem Ehrenamt antreibt.

Von Julian Piepkorn

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Willkommen in Arrenkamp

Wenn Mathis Lemke anderen seine Heimat zeigen will, zählt er erst mal auf, was es hier nicht gibt: "Keine Kneipe, keinen Dorfmittelpunkt, keine Gehwege. Nur unsere Schützenhalle." Lemke ist 25 Jahre alt und wollte nach der Schule nie weg aus seinem Dorf. Er steht vor dem weißen Flachbau der Schützenhalle und sagt grinsend: "Wir haben hier halt nicht so viel."

Wer Mathis Lemke besuchen möchte, kommt an großen Bauernhöfen und weiten Feldern vorbei. 14.000 Einwohner zählt die Gemeinde Stemwede im Kreis Minden-Lübbecke. Sie versteckt sich ganz im Norden von NRW, an der Grenze zu Niedersachsen. Der Stemweder Ortsteil Arrenkamp ist Lemkes Zuhause. 200 Menschen leben hier, dazu etliche Kühe und Pferde. Mehr Dorf geht kaum.

Viele junge Menschen zieht es in die Stadt. Lemke bringt sich aktiv in sein kleines Dorf ein. Mit 25 Jahren ist er der wohl jüngsten Heimatpfleger in Nordrhein-Westfalen. Laut Westfälischem Heimatbund engagieren sich rund 700 Heimatpfleger in den Kreisen, Gemeinden und Städten in Westfalen.

Ihre wichtigste Aufgabe sei es, so Mathis Lemke, ansprechbar zu sein. Mal seien die Bäume zu groß, mal liege Müll auf der Straße oder auf dem Friedhof sei etwas kaputtgegangen, erzählt der 25-Jährige: "Das trage ich dann an die Gemeinde weiter oder organisiere selbst helfende Hände." Manchmal setzt er auch gemeinsam mit Anwohnern eigenen Ideen um. "Das Land gibt bis zu 2000 Euro Zuschuss, weiß nur kaum jemand", sagt er.

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Der junge Mann und die Postkartensammler

Seit Herbst 2023 engagiert er sich in dem Ehrenamt. Anfang 2023 war die vorherige Heimatpflegerin verstorben. Die Gemeinde suchte dringend einen Nachfolger und fragte bei Lemke an. Er sagte zu. Und erinnert sich noch gut an seine erste Sitzung mit den zwölf Heimatpflegern aus den anderen Stemweder Ortsteilen. "Mein erster Gedanke war: Boah, dieses ganze alte Postkartensammeln. Ich weiß nicht, ob ich mich da wiederfinde." Doch er ist geblieben. Warum?

Mathis Lemke möchte auf dem Land bleiben

00:39 Min. Verfügbar bis 22.10.2026

Das liegt vor allem an seiner Verbundenheit zum Ort. "Heimat ist nicht einfach da, sondern muss erst wachsen", sagt Lemke. Bei ihm hatte sie dafür Jahre Zeit. Mit zwölf zog er aus der benachbarten Kleinstadt Lübbecke nach Arrenkamp. In den Sommerferien half er den Bauern bei der Arbeit auf den Feldern, war Kinderkönig auf dem Schützenfest. Er kennt die Geschichten und Zusammenhänge in dem kleinen Ort. Später absolvierte er eine Ausbildung zum Landwirt. Schon früh fand er Gefallen an der Geflügelzucht. Heute verkauft er privat Eier seiner Hühner in einem kleinen Schuppen neben dem großen Bauernhaus, in dem er seit sieben Jahren zur Untermiete wohnt, mitten im Funkloch. In Arrenkamp leben bis heute seine Freunde aus der Konfirmationszeit. "Das alles zusammen ist für mich Heimat."

Lemke steht vor der Schützenhalle und zeigt jetzt auf eine Karte von Arrenkamp an der weißen Wand. Das ganze Dorf auf einem halben Quadratmeter. Ein praktisches Beispiel für die Arbeit der Heimatpfleger. Auf einem Foto neben den Straßenzügen sind grobkörnig die Umrisse der Bergkapelle zu erahnen. Das Wappensymbol und Sehenswürdigkeit von Arrenkamp. "Das ist mit einem Uralt-Handy aufgenommen", sagt Lemke und schüttelt mit dem Kopf. "Das würde man heute nicht mehr so machen."

Mathis Lemke links zeigt auf eine Info-Tafel samt Dorfkarte

Mathis Lemke vor der Informationstafel samt Dorfkarte: "Wir haben hier nicht so viel"

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Weihnachten

"Ohne Auto ist das Fortbewegen hier schwierig", sagt Lemke fast entschuldigend. Im benachbarten Höxter gibt es deswegen sogar extra einen Rufbus. Lemke setzt sich in sein Auto, das er neben der Schützenhalle abgestellt hatte. Für die neun Kilometer bis zur alten Mühle von Stemwede-Destel braucht er keine zehn Minuten. Mit dem Bus hätte er über eine halbe Stunde gebraucht. In der Mühle will er seine Heimatpfleger-Kollegen Horst Richter und Tobias Seeger treffen. Richter ist nicht nur Heimatpfleger von Stemwege-Destel, ihm gehört auch die alte Mühle. Tobias Seeger ist Chef aller Stemweder Ortsheimatpfleger. Für ihn ist das Engagement von Mathis Lemke etwas Besonderes.

Von links nach rechts: Horst Richter, Heimatpfleger Mathis Lemke und Heimatpflege Koordinator Tobias Seeger vor Richters Mühle

Horst Richter, Heimatpfleger Mathis Lemke und Heimatpflege Koordinator Tobias Seeger (v.l.n.r.) sorgen für die Weihnachtsbeleuchtung an der Mühle

"Das ist schon eine tolle Sache, dass wir den Mathis haben." Der 48-Jährige spricht von "jungen Leuten", die schwer für das Ehrenamt zu begeistern seien - und meint dabei "alle unter 65". Meistens würden es eben doch nur Rentner mit viel Freizeit machen. Dabei versuchen die Heimatpfleger, gezielt jüngere Menschen anzusprechen - mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten. Stolz zeigen sie die interaktive Tourenapp durch die Gemeinde. Auch Instagram wollen sie endlich nach vorne bringen. Dort seien ja die ganzen jungen Leute. Mathis Lemke lacht auf und sagt: "Horst, wir müssen dich schon an den Mühlenflügel binden. Sonst guckt das keiner." Zumindest in Lemkes Kindheit hat das mit dem Ansprechen der jüngeren Zielgruppe geklappt. Wenn auch auf andere Art und Weise.

Die Heimatpfleger bringen an den Flügel der alten Mühle im Winter jedes Jahr viele Lichter an. Immer, wenn Lemke mit seiner Mutter daran vorbeigefahren ist, "da wusste ich, dass Weihnachten ist." Erst Jahre später wird ihm klar, dass das sein erster Kontaktpunkt mit dem Ehrenamt war.

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Kommunalpolitik? Nein, danke

Als er seinen Freunden erzählt hat, dass er jetzt Heimatpfleger ist, hätten diese ihn zuerst fragend angeschaut. "Ich sage dann: Ich bin Ansprechpartner, wenn etwas ist." So würden wohl auch viele Kommunalpolitiker ihre Aufgabe beschreiben. Doch in die Politik will der 25-Jährige nicht gehen. "Kommunalpolitik kann auch wehtun, das ist ein dauerhafter Kampf. Am Ende erreiche ich so vielleicht weniger für den Ort." Dabei ist er als Heimatpfleger zu keinen Aufgaben verpflichtet. "Wenn ich nur einmal im Jahr den Blühstreifen am Schützenhaus mähe, reicht das auch", sagt Lemke.

Heimatpfleger Mathis Lemke sitzt auf einem roten Traktor.

Mathis Lemke ist für seinen Ort Arrenkamp im Einsatz

Seine Amtszeit ist auf fünf Jahre befristet, dann wird der Heimatpfleger vom Gemeinderat neu berufen. Bis dahin will der 25-Jährige die Arrenkamper vernetzen und einen offenen Austausch organisieren. "Ich würde gerne allen Nachbarn die Frage stellen, was sie sich für unseren Ort wünschen." Die Heimatpflege ist für Mathis Lemke auch eine Mission für die Zukunft.