Ein Mann in Arbeitskleidung sitzt in einer Werkstatt

400 Jahre Tradition: Der letzte Messerschleifer am Solinger Wipperkotten

Solingen | Heimatliebe

Stand: 14.09.2024, 13:09 Uhr

Früher waren sie in der Klingenstadt Solingen allgegenwärtig: Schleifkotten, also kleine Schleiferwerkstätten für Messer, Scheren und andere Schneidwaren. Doch mit dem Siegeszug der Billigware hat die Bedeutung des Handwerks abgenommen. Heute hält nur noch eine Traditionswerkstatt am Wupperufer die Stellung.

Von Martin Henning (Text) und Helge Rosenkranz (Multimedia)

In der Werkstatt von Ralf Jahn ist es eng. An den Wänden hängen Hämmer, Äxte und Schleifscheiben. Auf den Holztischen im Raum stehen Boxen mit weiteren Hämmern, Nägeln und Messergriffen. Vor Jahns kleinem Tisch in der Mitte hat sich eine Schlange gebildet. Kundin Stephanie Farfsing ist froh, dass sie als Erste drankommt. Sie hat über ein Dutzend Messer und Scheren mitgebracht, alle in Papier eingewickelt.

Behutsam packt Jahn die Mitbringsel aus und reiht sie fein säuberlich auf einem Küchentuch auf. Seit mehreren Jahrzehnten bringt Farfsing ihre Messer und Scheren zum Schleifer. Irgendwann ist sie bei Ralf Jahn gelandet, war begeistert von der Arbeit des 56-Jährigen und ist geblieben. "Man kann zugucken und weiß, dass dieser Mann das immer gemacht hat. Sein Leben lang", sagt sie bewundernd. In diesem Moment setzt Jahn seine laute Schleifmaschine in Bewegung.

Der Messerschleifer bei der Arbeit

00:36 Min. Verfügbar bis 14.09.2026

Früher gab es hier, direkt an der Wupper, 26 Schleifereien dieser Art. Alle arbeiteten mit Wasserkraft. Der Job war zur damaligen Zeit lebensgefährlich:

Warum der Job als Schleifer früher oft tödlich endete

00:40 Min. Verfügbar bis 14.09.2026

Als im Zuge der Industrialisierung die erste Dampfmaschine in Solingen aufgestellt wurde, verlagerten sich die Schleifstellen in die Innenstadt. Für Kunden waren die Wege kürzer und die Schleifer waren plötzlich unabhängig von Hoch- oder Niedrigwasser. Betriebe, die mit Wasserkraft arbeiteten, starben aus. Beinahe zumindest.

Der Letzte seiner Art

Heute ist nur noch die kleine Schleifstelle von Ralf Jahn an der Wupper übrig geblieben. Montags bis donnerstags fertigt er eigene Messer in seiner Manufaktur am Solinger Wipperkotten an, am Wochenende gibt er Messerbaukurse und Schärfseminare. Immer freitags können Kunden wie Stephanie Farfsing hier ihre Messer und Scheren schärfen lassen. Die Preise variieren von 1,50 Euro für ein einfaches Tafelmesser bis zu 19 Euro für eine Friseurschere.

Mit wenigen Handgriffen wechselt Jahn nun die Schleif- und Polierscheiben. Da jede Klinge unterschiedliche Anforderungen bei der Pflege hat, wechselt er sie dutzende Male am Tag. Gerade hält er ein Messer in einem spitzen Winkel an die Schleifmaschine. Weniger als eine Minute braucht der Spezialist normalerweise. Bei seiner Arbeit hat es der 56-Jährige aber auch mit Fällen zu tun, die deutlich mehr Zeit erfordern. "Dann repariere ich zuerst die Schneide, feile Macken und Ausbrüche raus und beginne erst danach, das Messer zu schärfen."

Wipperkotten von außen

Ralf Jahns Arbeitsstelle: der Wipperkotten

Jahn kam vor 17 Jahren in den geschichtsträchtigen Wipperkotten. Er hatte zuvor eine Ausbildung als Besteckmacher absolviert. Der Job war sicher, Jahn war angestellt - aber er wollte Geschichte erleben. Es zog ihn an den Rand der Stadt, in die 1605 erbaute Schleiferei. Der besondere Arbeitsplatz mit einer Sammlung historischer, handgearbeiteter Werkzeuge und Geräte fasziniert ihn nach wie vor. "Gibt es eine schönere Arbeitsstelle? Für mich nicht. Hier starten Wanderer ihre Touren ins Bergische. Und ich darf hier arbeiten." Auch wenn er zugeben muss: "Das ist ein nasses Loch hier unten an der Wupper."

Ein Messer in einem Goniometer

Mit einem Goniometer kann man den Winkel des Schliffs ablesen

Um zu kontrollieren, dass er das Messer im richtigen Winkel schleift, benutzt er ein sogenanntes Goniometer. In der Vorrichtung trifft ein Laserstrahl auf die Schneide und wird dann auf einen Gradmesser projiziert. Stephanie Farfsings Messer und Scheren sind nach einer Viertelstunde wieder scharf. Jahn wirft bereits wieder die Schleifmaschine an. Der nächste Kunde wartet.

Über das Thema haben wir am 10.07.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.