Fast abgerissen, heute Publikumsmagnet: 30 Jahre Gasometer Oberhausen

Oberhausen | Heimatliebe

Stand: 10.09.2024, 16:30 Uhr

Der Gasometer Oberhausen war lange Gasspeicher eines der größten Hüttenwerke im Ruhrgebiet. In den 80er-Jahren entging er nur knapp dem Abriss. Heute ist der Gasometer Publikumsmagnet und fasziniert als Popstar der Industriekultur seit 30 Jahren Millionen Besucher. Über eine unerwartete Erfolgsgeschichte.

Von Carmen Krafft-Dahlhoff

Franz-Josef Brüggemeier und Jürg Steiner klettern in den leeren Gasometer in Oberhausen. Noch bis vor kurzem war er der größte in Betrieb befindliche Scheibengasbehälter Europas. In Overalls und mit Handschuhen aus dem Baumarkt zwängen sie sich durch das sogenannte Mannloch. "Das hatte nicht mehr als einen Meter Durchmesser", erinnert sich der heute 74-jährige Steiner. Was sie drinnen erwartet, verschlägt ihnen den Atem. Eine gigantische Eisen-Scheibe teilt die Tonne in ein oben und unten. Sie soll das Gichtgas regulieren, verschiebt sich je nach Füllstand hoch und runter. Da hier kein Gas mehr gespeichert wird, ist die Scheibe ganz unten. Es ist eng, man bekommt Platzangst. Die beiden arbeiten sich weiter vor. Als sie dann auf der Scheibe des 117 Meter hohen Gasometers stehen, fällt das Licht durch mehrere Löcher auf sie herab, erinnert sich Brüggemeier. Es sei ein magischer Augenblick gewesen, sagt der 73-Jährige.

Kurator Franz-Josef Brüggemeier (links) und Architekt Jürg Steiner (rechts) | Bildquelle: WDR

Bis hier im Gasometer Bilder und Installationen entstehen, wird es zu diesem Zeitpunkt noch einige Jahre dauern. Brüggemeier ist Kurator aus Bottrop, Steiner Architekt aus der Schweiz. Im Auftrag der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park sind sie Ende der 1980er-Jahre auf der Suche nach möglichen Industriedenkmälern. Damals steckt das Ruhrgebiet mitten im Strukturwandel. Immer mehr Zechen werden geschlossen, große Industriebauten stehen leer und drohen zu verfallen.

Gasometer in Oberhausen: Beinahe abgerissen, heute Besuchermagnet

30 Jahre nach ihrer Klettertour stehen Brüggemeier und Steiner, die Pioniere der Gasometer-Neunutzung, erneut in der untersten Etage des Gasometers. Der Leere von damals ist ein Ausstellungsraum gewichen. Die Ausstellung "Planet Ozean" zeigt große Fotografien vom Leben in den verschiedenen Meeren der Erde.

Einblick in die Ausstellung "Planet Ozean" im Gasometer Oberhausen 00:34 Min. Verfügbar bis 10.09.2026

Ein Blauhai schaut von einem der Bilder mit einem gigantischen Auge auf die Besucher. Eine Etage weiter oben schwimmen, mit Projektoren auf eine 40 Meter hohe Leinwand geworfen, Fische und Haie durch den Gasometer.

Der Gasometer ist heute eine Ausstellungshalle und absoluter Publikumsmagnet | Bildquelle: Carmen Krafft-Dahlhoff

Seit dem ersten Besuch von Brüggemeier und Steiner hat sich der Gasometer erheblich verändert. Nach der Schließung der Kokerei in Oberhausen und der zunehmenden Nutzung von Erdgas wurde der Meter 1988 stillgelegt und stand auf der Abrissliste der Ruhrkohle AG. Keiner wusste so recht, wie der verrostete Gigant zu nutzen sei. Stadt, Landesregierung und IBA setzten sich für den Erhalt des Ende der 1920er-Jahre erbauten Gebäudes ein.

Knapp entging die "Tonne" am Rhein-Herne-Kanal damals dem Abriss | Bildquelle: Gasometer Oberhausen

Die IBA brachte schließlich die Idee zum Umbau zu einer Ausstellungshalle ein. 1993 und 1994 wurde die Tonne, wie der Bau im Ruhrgebiet manchmal genannt wird, für 16 Millionen Euro umgebaut. Inzwischen ist der Gasometer nicht nur Teil der Route der Industriekultur im Ruhrgebiet, sondern gehört auch zur Europäischen Route der Industriekultur. Zu ihr gehören Meilensteine der Industriegeschichte in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Luxemburg und Deutschland.

Wie Schule, die Spaß macht

Die Grundstruktur mit dem damals errichteten, 4,20 Meter hohen, unteren Raum, der durch die alte Gasdruckscheibe vom oberen Bereich abgetrennt ist, besteht bis heute. Die neunjährige Mira aus Oberbayern besucht zum ersten Mal den Gasometer.

Sie ist mit ihrer Großmutter gekommen und blickt sich beeindruckt im Gasometer um. Sie bringt auf den Punkt, warum die Ausstellungen hier seit Jahrzehnten Besucher jeden Alters anziehen: "Also es ist wie Schule - in Spaß." Ihre Großmutter erinnert sich sogar noch an die erste Ausstellung im Gasometer. "Feuer und Flamme" stellte 1994 die Industrie-Geschichte des Ruhrgebiets vor.

Für Mira bietet die "Tonne" so einiges 00:19 Min. Verfügbar bis 10.09.2026

Mira und ihre Großmutter gehören damit zu den rund 10 Millionen Besucherinnen und Besuchern, die seit Eröffnung am 8. September 1994 die 18 verschiedenen Ausstellungen besucht haben. Es sollte allerdings 20 Jahre dauern, bis der gigantische Raum der Tonne erstmals von einer Ausstellung komplett bespielt wurde. Beim zweiten Projekt im Gasometer füllt Aktionskünstlers Christo 2013 die Tonne mit einem XXL-Luftpaket erstmals ganz aus. Da, wo heute Fische und Haie auf die Leinwand projiziert werden, schwebte bereits der Mond, eine Weltkugel und ein auf dem Kopf stehender Berg.

Frühere Installationen im Gasometer 00:14 Min. Verfügbar bis 10.09.2026

Das "Mannloch", durch das Architekt Steiner und Kurator Brüggemeier einst zur ersten Inspektion in den Gasometer einstiegen, kann man übrigens noch heute erahnen. Es ist ganz in der Nähe des Besuchereingangs.  

Über dieses Thema haben wir auch am 06.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.