Mit dem Lost-Places-Jäger unterwegs in der alten Mühle

Lokalzeit 03:15 Min. Verfügbar bis 08.08.2025

Lost-Places in NRW: Die verfallene Mühle

Minden-Lübbecke | Unterwegs

Stand: 17.08.2023, 09:47 Uhr

Alte Bunkeranlagen, verlassene Villen, aufgegebene Industriehallen - sie sind in NRW überall, aber man sieht sie fast nie. Verlorene Orte. Sogenannte Lost Places. Und es gibt Menschen, die verrückt nach ihnen sind.

Von Luca Peters

Morsche Zweige brechen auf dem kleinen Pattweg, auf dem Weg zur verlassenen Mühle. Dann noch ein paar Meter durch den dichten Kastaniendschungel. Noch ein Schritt. Und noch einer. Dann taucht sie plötzlich auf: alt und verlassen.

Rechts das stehengebliebene Mühlrad, dem anzusehen ist, wie lange es schon kein Wasser mehr gefördert hat. Entlang der unverputzten Wand der Mühle laufen dicke Risse, wie Narben eines langen, ereignisreichen Lebens. Fast sieht es so aus, als könne der nächste Windstoß genügen, um das ganze Gemäuer in den davor liegenden Bach zu pusten.

Daniel Boberg

Daniel Boberg in der verlassenen Mühle

Der Mann, der heute durch diesen verlassenen Ort führt, ist Daniel Boberg. Der 34-Jährige liebt es, "Lost Places", also verlassene Orte, zu suchen und sie zu fotografieren.

Diese Lost-Places kannst du selbst besichtigen

Häufig ist das Betreten von "Lost Places" Hausfriedensbruch und damit illegal. Es gibt aber ein paar Orte in NRW, die dir ganz legal ein "Lost Places"-Gefühl geben:

  • Landschaftspark Duisburg-Nord: Auf dem ehemaligen Industrieareal können Besucher zwischen den Gebäuden umherstreifen und vereinzelt auch hochklettern. Der Eintritt ist frei.
  • Autoskulpturenpark in Mettmann: Seit Jahrzehnten lässt der 73-jährige Düsseldorfer Michael Fröhlich auf seinem Grundstück alte Autos verrotten. Jeden Sonntag kann man den Park besuchen. Mehr dazu hier.
  • Bunker unter dem Essener Hauptbahnhof: Der ehemalige Bunker kann im Rahmen besonderer Führungen besichtigt werden. Wer sich einen Einblick verschaffen will, schaut einfach in diesem Beitrag nach.
  • Bunkermuseum Oberhausen: Es werden kostenfreie Führungen angeboten, zu denen man sich allerdings anmelden muss.
  • Dorfwüstung Wollseifen in der Eifel: Zuerst wurde das Dorf von den britischen Streitkräften beansprucht und zu einem Truppenübungsplatz umgebaut, 1950 an das belgische Militär übergeben. 2006 wurde der Übungsplatz aufgegeben und steht Besuchern offen.

Ein lebloser Teddy

Bei Boberg hat die Besitzerin der alten Mühle seinem Besuch zugestimmt - wenn ihr genauer Standort geheim bleibt. Boberg kann die alte Mühle, die irgendwo im Kreis Lippe steht, also in Ruhe erkunden.

Fast märchenhaft sieht es aus. Wie Boberg vor der Ruine der Mühle steht und fotografiert. Würde der Teddy da nur nicht über der Eingangstür hängen. Der schlohweiße Teddybär mit dem einen Auge und der kaputten Hose. Erdrosselt und leblos.

Nazi-Bunker und Industriebrachen

Aber der Lost-Place-Fotograf hat schon Unheimlicheres gesehen. Boberg ist in stockfinstere Beton-Bunker der Nazis hinabgestiegen und hat sich in Brandenburg vom Werkschutz einer Industriebrache abführen lassen. Jetzt drückt er die Klinke der Eingangstür herunter.

Foto der Mühle im Inneren

Schnappschüsse wie diese faszinieren Daniel Boberg

"Es sieht aus, als ob es von heute auf morgen verlassen wurde, es sind ja alle alten Geräte noch drin. Das ist beeindruckend, das sieht man nicht alle Tage", sagt Boberg. Unter geborstenen Dachbalken stehen die verrosteten Maschinen, mit denen früher Mehl in der Mühle gemahlen wurde. Braune Bierflaschen der ehemaligen Dortmunder Ritter-Brauerei liegen herum, Jahrgang 1994.

Nichts liegt mehr dort, wo es sein sollte

Es gibt mehrere Wohnräume: eine kleine Küche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und ein Kinderzimmer. Nichts steht oder liegt mehr dort, wo es sein sollte. Zeitschriften, Zeitungen und Kleidungen liegen herausgerissen auf dem Boden. Möbel wurden umgeworfen.

Und trotzdem: "Wenn man den Küchentisch abputzt, könnte man dort heute noch sitzen", sagt Boberg. Er findet alte Tagebücher aus dem zweiten Weltkrieg in Sütterlinschrift, Hausaufgaben aus dem Erdkundeunterricht.

Der Mühlenkreis

Mühlen gehören im Kreis Lippe, im äußersten Nordosten von Nordrhein-Westfalen, seit mehr als 400 Jahren dazu. In der Nähe hat sich sogar ein ganzer Landstrich nach ihnen benannt. Wer nach Minden-Lübbecke unterwegs ist, der fährt in den Mühlenkreis. Rund 2200 von ihnen gibt es in der Region. Manche werden durch Wasser, andere durch Wind angetrieben. Nicht alle sind heute noch in Betrieb.

Wem gehörte die alte Mühle?

Ein Anruf im nächstgelegenen Ort beim Heimatpfleger gibt Aufschluss: Die alte Mühle? Kennt er natürlich. Seit mindestens 1681 stehe die hier. Doch im Dorf gehe das Gerücht um, dass sie auch deutlich älter sein könne.

Klar, den alten Müller habe er noch gut gekannt, sagt er, schließlich sei hier noch bis weit ins 20. Jahrhundert Mehl gemahlen worden. Nur seine Frau… hochintelligent sei sie gewesen, mit langen grauen Haaren. Aber die Mühle habe sie nie verlassen. Ja, das sei schon ein bisschen gruselig.

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Sind Lost Places nicht auch gruselig?

Zuletzt sei die Mühle von einem Herrn R. gepachtet gewesen, der hier bis zu seinem Tod im Jahr 2017 Futtermittel verkauft hätte. Wie es drinnen aussehe? Keine Ahnung, viel zu gefährlich. In der Mühle liegen allerlei Zeitzeugen herum. Auf einer Kommode liegt beispielsweise ein Heftchen mit Kontoauszügen, adressiert an Herrn R. Es geht um 1000 Deutsche Mark hier, 150 da. Eingegangen als Barscheck. Boberg stapft inzwischen Richtung Keller. "Es ist immer wie eine kleine Zeitreise, wenn man in solche Keller hinabsteigt oder auch auf Dachböden", sagt Boberg. "Da drüben stehen noch Kinderschuhe herum. Das ist dann doch auch mal unheimlich."

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Wieder zurück im Erdgeschoss, hat sich Boberg über den zugerümpelten Boden nochmal in Richtung Küche vorgekämpft. Durch das efeubewachsene Fenster fällt Licht auf ein Rotkohlglas, das verloren auf der gesprungenen Herdplatte steht. Fast so, als warte es darauf, dass sein Besitzer jeden Moment zurückkommen könnte. 

Über dieses Thema haben wir am 19.07.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.