Bochum als "essbare" Stadt? Wie ein Verein das schaffen will
Stand: 15.10.2024, 08:07 Uhr
Wie schmeckt eine Dahlienblüte? Und wie Rosenlikör? Ein Verein aus Bochum macht den Blüten-Geschmackstest. Dahinter steckt eine größere Idee: Der Verein will Bochum zu einer "essbaren" Stadt machen. Was das genau für die Grünflächen in der Stadt bedeuten würde.
Von Ann-Kristin Pott
Brokkoli auf dem Rathausplatz
Vor dem Rathaus in Bochum wachsen Bohnen und Brokkoli, zwischen ein paar Autos ein Kirschbaum. In Parks sammeln Spaziergänger Himbeeren, Brombeeren und Johannisbeeren und aus einigen Beeten pflücken ein paar Anwohner essbare Wildblumen. So könnte es an vielen Ecken in Bochum einmal aussehen, wenn es nach Veronika Nickl geht. "Die Stadt sollte ein Paradies für Menschen und Tiere sein", sagt sie. Die 59-Jährige ist Vorsitzende des Bochumer Ernährungsrates EssBo.
Der 2020 gegründete, gemeinnützige Verein ist ein Netzwerk aus verschiedenen Initiativen und Menschen aus Bochum. Sie alle setzen sich für eine "gesunde, regionale und vielfältige Nahrungsmittelversorgung" ein, erzählt Nickl. Bochum soll eine "essbare Oase" werden, eine klimafreundliche Stadt mit solidarischer Landwirtschaft, Streuobstwiesen, Gärten, Wildblumenstreifen, Dachgärten und Beeten.
Blüten im Geschmackstest
Große Ziele, die manchmal im Kleinen beginnen. Zum Beispiel in einem Holzkorb voller bunter Blumen. Rote, pinke, gelbe Dahlien und Fuchsschwänzchen. Auch Essbo-Vorsitzende Veronika Nickl probiert ein Blatt. Sie spürt die feste Konsistenz und den würzigen Geschmack. Er erinnert ein bisschen an Kürbis oder Gurke. Die Blütenproben sind Teil eines Workshops auf dem Trantenrother Hof in Witten. Und Nickl ist gemeinsam mit anderen Mitgliedern vom EssBo-Ernährungsrat und weiteren Interessierten hier, um zu lernen. Denn wer eine Essbare Stadt fordert, muss auch wissen, was überhaupt essbar ist.
Wie schmecken Blüten? Die Workshop-Teilnehmer testen es
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Die Aktionen vom EssBo-Ernährungsrat, wie der gemeinsame Besuch des Workshops in Witten, sind meist kostenlos. Das Wissen soll für alle zugänglich sein, genauso wie die Lebensmittel. Deswegen organisiert der Verein auch immer wieder Veranstaltungen und Diskussionsrunden, geht in Schulen.
In der Natur gibt es dabei mehr Essbares zu entdecken, als viele denken, erklärt Heike Flörke den Teilnehmern. Sie leitet den Workshop auf dem Trantenrother Hof. Die Dahlien, die sich alle eben in den Mund gesteckt haben, hat die 56-Jährige selbst gepflanzt. Flörke weiß genau, welche Blumen essbar sind. Springkraut, Klee und Löwenzahn zum Beispiel, Nelken, Veilchen, Phlox, Gänseblümchen und Ringelblumen auch, sagt sie. Ebenso Brokkoli- und Radieschen-Blüten.
Heike Flörke kennt sich bestens mit essbaren Blumen aus
Die Blumen, die sie essen, sind nach den Prinzipien der "Slow Flower Bewegung" angebaut. "Pestizide und Herbizide benutzen wir nicht, nur organischen Dünger", erklärt Flörke.
Was ist eine Essbare Stadt?
Das Konzept Essbare Stadt hat sich die Initiative EssBo nicht ausgedacht. Ende der 2000er-Jahre begann die britische Stadt Todmorden damit, auf öffentlichen Flächen Gemüse anzubauen. Inzwischen gibt es weltweit zahlreiche Nachahmer. Auch in NRW unterstützen mehrere Städte Menschen dabei, ihre Stadt zu einer Essbaren Stadt zu machen, darunter Düsseldorf, Oberhausen, Krefeld oder Hamm.
Während sich Nickl die verschiedenen Dahlien-Sorten auf dem Trantenrother Hof anschaut, erzählt sie vom ersten Projekt des Ernährungsrates. 2021 pflanzten sie in der Bochumer Innenstadt 30 Beerensträucher, legten drei Hochbeete an und richteten einen Naschgarten für die Menschen in der Stadt ein. In einem Nachgarten wachsen Wildpflanzen, Beeren und Nüsse, außerdem gibt es aufbereitetes Trinkwasser. Im Bochumer Stadtteil Hamme haben sie zudem eine Kräuterspirale errichtet. Natur und Menschen sollten wieder stärker zusammenfinden, meint die 59-Jährige.
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Nickl ist wichtig, "dass das, was wir essen, um uns herum wächst. Dass wir die Bauern kennenlernen und keine langen Wege mehr haben. Quasi vom Acker bis zum Teller. Und, dass die Politik unsere Ernährung als wichtiges Thema wahrnimmt". Aktionen wie der Workshop zu den essbaren Blüten sollen dabei helfen.
Vom Wegesrand direkt in den Mund
Unter einer großen Eiche sitzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und hören Heike Flörke zu. Nachdem alle bereits die rohen Blüten probiert haben, erzählt die Expertin, wie sie die Blüten weiterverarbeitet. Zum Beispiel als Gewürz für Butter oder Kräutersalz. Dafür eignen sich unter anderem Ringelblume, Kornblume, Goldrute, Rosenblüten oder Schnittlauch. Für einen süßen Snack "Blüten mit Eiweiß bestreichen, Puderzucker drauf und drei bis vier Tage trocknen". Auch Rosenlikör hat sie für den Workshop vorbereitet.
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Zum Abschluss dekorieren die Teilnehmer noch Brennnessel-Törtchen mit bunten Blüten. Manche können sich gut vorstellen, öfter Dahlien-Blätter auf das Quarkbrötchen oder in den Salat zu streuen. Und ein Teilnehmer möchte jetzt lieber eine Blumenwiese im Garten pflanzen, statt dort einen neuen Carport zu bauen.
Netzwerk und "Schlaraffenband"
Gemeinsame Aktionen wie der Blüten-Workshop bringen die EssBo-Mitglieder immer wieder in Kontakt mit Menschen, die ähnliche Überzeugungen haben. Mittlerweile hat der Ernährungsrat ein Netzwerk aufgebaut. Andere Gruppen helfen bei der Organisation von Veranstaltungen, zum Beispiel der Gemeinschaftsgarten Hof Bergmann in Bochum, der Verein "Slow Food" oder Kleingartenvereine. Auch über die Stadtgrenzen hinaus gibt es Kooperationen. Die Ernährungsräte in Bochum, Dortmund und Essen tauschen sich regelmäßig aus. Sie haben auch ein gemeinsames Projekt, das "Schlaraffenband Ruhr". Ihre Idee: Am Rand der Radwege, die die Städte verbinden, soll alle fünf Kilometer ein Naschort entstehen.
Die EssBo-Vorsitzende Nickl hofft, "dass sich viele Menschen von solchen Aktionen anstecken lassen. Denn jeder Einzelne kann viel bewegen, wenn er ein kleines Fleckchen Grün bepflanzt" Ein Motivationsschub für EssBo ist dabei die Internationale Gartenschau 2027 im Ruhrgebiet. Bis dahin, hoffen Nickl und die anderen Mitglieder des Ernährungsrats, soll die Idee von Bochum als Essbare Stadt Früchte tragen.