MONITOR vom 09.12.2021

2G minus: Wie riskant sind Schnelltests in der vierten Welle?

Bericht: Shafagh Laghai, Lara Straatmann, Julia Regis, Nikolaus Steiner

2G minus: Wie riskant sind Schnelltests in der vierten Welle? Monitor 09.12.2021 08:58 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Shafagh Laghai, Lara Straatmann, Julia Regis, Nikolaus Steiner

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: "Ja, "2G-Plus" lautet das Zauberwort, geimpft, genesen und getestet. Das gilt dann als Eintrittsticket für Restaurants, Clubs oder Kinobesuch. Klar, da sollte man den Tests wenigstens so einigermaßen vertrauen können, auch wenn jetzt schon bekannt ist, dass viele dieser Tests nicht bei jedem anschlagen, der sich infiziert hat. Was allerdings schwer irritiert, warum da jede Menge Tests auf dem Markt sind, die offenbar so gut wie nutzlos sind – und damit eben auch gefährlich, weil sie die Getesteten in einer falschen Sicherheit wiegen. Wer kontrolliert das eigentlich alles, was da in Apotheken verkauft oder in Testzentren verwendet wird? Und wie sicher sind die Tests, die Sie bei sich zu Hause haben?"

Deutschland am Limit. Dramatische Infektionszahlen, volle Intensivstationen. Inzidenzen, die offenbar längst nicht mehr die Realität widerspiegeln. Für die neue Bundesregierung steht fest, ein Lockdown soll unbedingt vermieden werden. Stattdessen heißt es seit Wochen: Schnelltests für alle – nicht nur die Ungeimpften.

Christian Lindner (FDP): "Auch Geimpfte und Genesene werden sich engmaschig testen müssen."

Karl Lauterbach (SPD): "Eigentlich wäre noch besser 2G-Plus."

Katrin Göring-Eckardt (B'90/Grüne): "Und dass wir so viele Menschen wie möglich testen."

Malu Dreyer (SPD): "Es gilt 2G-Plus."

Michael Müller (SPD): "Dass wir neben dem Impfschutz noch einen zusätzlichen Test erwarten."

Schnelltests werden immer wichtiger, auch weil die Impfwirkung nachlässt. Immer häufiger gilt in Deutschland jetzt 2G-Plus; das heißt, auch Geimpfte und Genese müssen sich vor dem Besuch in der Kneipe oder im Restaurant, vor Veranstaltungen oder einem Diskobesuch testen. Hier im Gesundheitsamt Jena ist man skeptisch. Schon jetzt kommt man mit der Erfassung der Infizierten nicht mehr hinterher. Hier seien alle am Limit, sagen sie, weil die Pandemie völlig aus dem Ruder laufe. Schnelltests könnten in dieser Situation zu einer falschen Sicherheit führen.

Sabine Trommer, Gesundheitsamt Jena: "Also, ich sehe das schon kritisch und das ist auch so eine … so eine Unbeschwertheit entsteht dadurch, weil natürlich die Leute dann sagen, ich war heut früh getestet, ich war negativ, jetzt können wir uns heute alle treffen, dem ist ja nicht so."

2G-Plus – eine riskante Strategie. Denn gerade bei Geimpften und Genesenen sind Schnelltests oft noch unzuverlässiger, warnt der Virologe Dieter Hoffmann.

Dieter Hoffmann, Institut für Virologie, TU München: "Diese Menschen haben eben oft nicht so viel Virus und auch weniger Symptome, wenn sie infiziert sind. Das weiß man. Und bei denen ist es halt dann auch so, dass die Antigen-Schnelltests nicht so viele Treffer landen können. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit noch geringer, dass man wirklich Leute herausfischt durch das Testen."

Die Hersteller von Schnell- und Selbsttests versichern dagegen allesamt, dass die Tests extrem präzise seien. Eine trügerische Sicherheit, das zeigt das Beispiel eines Kindergartens in Friedrichshafen am Bodensee. Regelmäßig wurde hier mit Schnelltests getestet – alle waren negativ. Doch Ende November gab es plötzlich 20 Corona-Infektionen. Der Schnelltest stellte sich als mangelhaft heraus.

Monika Blank, Stadt Friedrichshafen: "Das wird ja auch immer mit kommuniziert, so Schnelltests bieten nicht die letzte Sicherheit, jeder Schnelltest hat eine Unsicherheit. Bei diesem Schnelltest hat sich jetzt herausgestellt im Nachhinein, dass er wahrscheinlich diese Sensitivität nicht hat."

Eine zu geringe Sensitivität, um Infektionen zu erkennen. Kein Einzelfall. Das Paul-Ehrlich-Institut hat Schnell- und Selbsttests seit Herbst letzten Jahres unter die Lupe genommen und die Ergebnisse Anfang November veröffentlicht. Von 122 Schnelltest erkannten 96 zuverlässig Infektionen bei einer sehr hohen Viruslast; heißt, jeder fünfte Test ist durchgefallen. Setzt man dieselben Maßstäbe an bei einer hohen Viruslast, mit der Menschen ebenfalls bereits infektiös sein können, sieht das schon ganz anders aus: Dann erkennen von den 122 Schnelltests nur noch 20 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektion.

Jana Schröder, Institut für Krankenhaushygiene, Mathias-Spital, Rheine: "Menschen mit hoher Viruslast können andere Menschen infizieren. Und wenn der Test dann negativ ausfällt und damit das falsche Ergebnis anzeigt, dann kann es natürlich sein, dass Menschen sich in einer falschen Sicherheit wiegen. Dann eben auch andere infizieren und da sind letztendlich auch Superspreader-Events durchaus möglich."

Wie zuverlässig sind Schnelltests? Wir gehen einkaufen in ganz Deutschland. Drogerien, Supermärkte, Apotheken. Wir bekommen viele Tests, die bei hoher Viruslast kaum anschlagen. In einer Apotheke kaufen wir sogar einen Selbsttest, der bei der Prüfung durch das Paul-Ehrlich-Institut glatt durchgefallen ist. Nur 59 Prozent Sensitivität bei sehr hoher Viruslast, bei hoher Viruslast 0 Prozent.

Manuel Krone, Infektionsepidemiologe, Universitätsklinikum Würzburg: "Das ist ein großes Problem, dass Teste auf dem Markt sind, die offensichtlich nicht die Qualitätskriterien des Paul-Ehrlich-Instituts erfüllen. Tests, die die Mindestkriterien nicht erfüllen, müssten eigentlich schnellstmöglich vom Markt genommen werden und auch zurückgerufen werden."

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände antwortet uns auf Anfrage:

Zitat: "Uns liegen keine Informationen vor, dass in Apotheken SARS-CoV-2-Tests zur Eigenanwendung abgegeben werden, die nicht die rechtlichen Normen erfüllen."

Die rechtlichen Normen, genau sie sind das Problem. Denn die Schnelltest-Hersteller zertifizieren sich quasi selbst und geben dann an, dass ihre Tests zuverlässig seien, das reicht, um für den Markt in Deutschland zugelassen zu werden. Irgendwann prüft das Paul-Ehrlich-Institut dann, wie gut der Test tatsächlich ist. Erstaunlich allerdings, für die Marktzulassung hat das überhaupt keine Konsequenzen.

Manuel Krone, Infektionsepidemiologe, Universitätsklinikum Würzburg: "Dass ausschließlich Herstellerangaben ausreichen, um Schnellteste auf den Markt zu bringen, sehe ich als hochproblematisch, da diese Angaben überhaupt nicht überprüft werden zunächst, und bis dahin die Produkte auf dem Markt verfügbar sind."

Und die Testzentren? Viele sind privat betrieben, ein lukratives Geschäft. Denn jeder Test in einem Zentrum wird vom Staat gut vergütet. Und die Testzentren werden immer wichtiger in einer Pandemie, in der zunehmend 2G-Plus gilt. Wir checken Testzentren in ganz Deutschland. Wieder werden Tests gemacht, die laut der Prüfung des Paul-Ehrlich-Instituts bei hoher Viruslast kaum anschlagen. Und auch hier finden wir wieder einen Test, der bei der Prüfung sogar durchgefallen ist. Auf Nachfrage heißt es beim Testzentrum, es sei ein Fehler eines einzelnen Mitarbeiters gewesen. Das eigentliche Problem aber liegt hier: Testzentren und Behörden orientieren sich beim Kauf von Schnelltests an einer Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM. Rund 600 Schnelltests sind hier gelistet, aber Hunderte noch gar nicht evaluiert, also unabhängig überprüft. Trotzdem können sie verwendet werden. Riskant bei einer Strategie, die auf 2G-Plus setzt.

Manuel Krone, Infektionsepidemiologe, Universitätsklinikum Würzburg: "Dass auf der BfArM-Liste auch nicht evaluierte Tests stehen, zu einem Zeitpunkt, wo auch evaluierte Tests verfügbar sind, sehe ich für problematisch an, da wir von diesen Testen einfach nicht wissen, wie gut sie wirklich in der Anwendung abschneiden."

Noch nicht evaluiert, also geprüft, und trotzdem auf der Liste? Wie kann das sein? Vom zuständigen Bundesgesundheitsministerium bekommen wir auf diese Frage keine Antwort. Dem Kindergarten am Bodensee wurden die nicht geprüften Schnelltests zum Verhängnis. Die Stadt Friedrichshafen hatte sich an die Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel gehalten und insgesamt 60.000 Schnelltests bestellt.

Monika Blank, Stadt Friedrichshafen: "Wir haben uns ja auch auf die Listungen beim Bundesamt verlassen, der dort ja seit April gelistet war als Test. Und das war am Ende im Ergebnis zunächst mal ärgerlich, weil wir rausfinden mussten, dass der Schnelltest am 21. September von der Liste des Bundesamtes, das für die Tests zuständig ist, heruntergenommen worden ist und wir diesen Test aber noch im Einsatz hatten."

Wieso werden Schnelltests nicht vom Paul-Ehrlich-Institut geprüft, bevor sie auf den Markt kommen? Das Institut verweist darauf, dass für die Marktzulassung die Regeln der EU greifen. Und die EU-Kommission habe vorgeschlagen …

Zitat: "... selbstzertifizierte SARS-CoV-2-Tests noch bis Mai 2025 auf dem Markt zu akzeptieren, ohne dass sie die verschärften Verfahren durchlaufen müssen."

Heißt, erst in vier Jahren soll die Qualität der Schnelltests unabhängig geprüft werden, bevor sie auf den Markt kommen. In einer Pandemie eine verdammt lange Zeit.

Georg Restle: "Bis Mai 2025 – unfassbar! Als würde die Pandemie so lange warten. Falls Sie jetzt wissen wollen, wie zuverlässig die Tests sind, mit denen Sie sich testen: Mehr Infos dazu gibt es auf unserem Instagram-Kanal oder bei monitor.de."

Expertinnen und Experten des Paul-Ehrlich-Instituts haben im Verbund mit Forschenden anderer Institutionen insgesamt 122 COVID-19-Antigen-Schnelltests auf Sensitivität und damit auf ihre Fähigkeit untersucht, das SARS-CoV-2-Virus nachzuweisen. Das Ergebnis: Die Qualität der Tests war sehr unterschiedlich. 96 Antigen-Schnelltests erfüllten die geforderten Kriterien, teilweise mit sehr guten Ergebnissen, 26 Tests boten nicht die geforderte Sensitivität. Über die Ergebnisse berichtet Eurosurveillance in seiner Online-Ausgabe vom 04.11.2021.

Pressemitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts:
https://www.pei.de/DE/newsroom/pm/jahr/2021/22-antigen-schnelltests-sars-cov-2-vergleichende-sensitivitaetsbewertung-ce-gekennzeichneter-tests.html

Untersuchung (auf Englisch):
https://www.eurosurveillance.org/content/10.2807/1560-7917.ES.2021.26.44.2100441

Eine gute Zusammenfassung bei den Kolleg*innen von Spektrum der Wissenschaft:
https://www.spektrum.de/news/welche-corona-schnelltests-sind-zuverlaessig/1954489

Und hier geht es zu den Listen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM), die zeigen, welche Tests (Schnell- und Selbsttests) bereits evaluiert worden sind:
https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Aufgaben/Spezialthemen/Antigentests/_node.html

Kommentare zum Thema

  • GR 21.01.2022, 12:41 Uhr

    Hallo, wo ist denn nun die angeblich auf Monitor.de veröffentlichte Übersicht der zuverlässigen Schnelltests? Bitte nicht nur gackern, sondern auch Eier legen!!!

    • MONITOR 21.01.2022, 13:46 Uhr

      Die Liste finden Sie hier: https://www.spektrum.de/news/welche-corona-schnelltests-sind-zuverlaessig/1954489

  • Helmut Wogh 20.01.2022, 22:35 Uhr

    Schnelltesttest auf Monitor.de Wunderbar viel geschrieben viel Geschwätz aber ein aussagefähiger Test der Schnelltests ist nicht zu finden. Mir ist inzwischen die Zeit für das suchen zu schade ☹️

  • Bernd Schriefers 20.01.2022, 22:28 Uhr

    1tens In Ihrer Sendung vom 20.01.2022 versprechen Sie eine Liste von empfehlenswerten Schnelltests. Toll hier kann man dann suchen ! 2tens Sie sind schlauer als Spam-Automaten. Bitte antworten Sie auf folgende Frage: Wie viele Räder hat ein Fahrrad? Mein Fahrad hat 3 ! > Lastenfahrrad. Toll

    • MONITOR 21.01.2022, 13:46 Uhr

      Hier finden Sie die Liste: https://www.spektrum.de/news/welche-corona-schnelltests-sind-zuverlaessig/1954489