Bericht: Stephan Stuchlik, Nikolaus Steiner, Andreas Spinrath
Georg Restle: „Hallo und willkommen zu MONITOR! Wie viel ein Menschenleben wert ist - das kann man jetzt ziemlich genau berechnen: 750,00 Euro. Das ist die Summe, die die italienische Regierung umgerechnet für jeden einzelnen Flüchtling bezahlt hat, den sie letztes Jahr aus dem Mittelmeer gerettet hat. 750,00 Euro, die den Innenministern der Europäischen Union offenbar zu teuer sind. „„Mare Nostrum““ hieß das italienische Seenotrettungsprogramm, zu Deutsch: Unser Meer. Aber damit soll jetzt Schluss sein. Unser Meer wird wohl künftig euer Friedhof. Ein Friedhof für zehntausende Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa. Die neuen Pläne der EU, sie setzen vor allem auf Abschreckung statt Hilfe. Und auf Kooperationspartner, die zu den schlimmsten Regimes der Welt gehören. Das Ganze mit Unterstützung eines christlichen deutschen Innenministers.“
Solche Bilder sind selten zu sehen, wir sind in einem Flüchtlingslager in Libyen. So könnte laut neuen EU-Plänen die Zukunft der Flüchtlingspolitik aussehen. Europa will die Menschen schon weit vor seinen Grenzen abfangen.
Günter Burkhardt, Pro Asyl: „Europa möchte nicht, dass Menschen, die vor Krieg, Verfolgung fliehen, Europa erreichen. Stattdessen sollen sie bitte schön vor Europas Grenzen bleiben.“
Die neue EU-Politik beginnt hier, auf hoher See. Flüchtlinge auf rostigen Schiffen. Jetzt soll das Seenotrettungsprogramm „„Mare Nostrum““ soll eingestellt werden. Seit seinem Beginn hat die italienische Marine mehr als 150.000 Menschen das Leben gerettet, Armutsflüchtlinge, politisch Verfolgte, Bürgerkriegsflüchtlinge.
Menschen wie sie werden die Überfahrt künftig wohl nicht mehr schaffen: Dawit und Mikele kommen aus Eritrea, einer brutalen Militärdiktatur. Nach zwei Tagen auf dem Mittelmeer wurde Mikele Saalem von „Mare Nostrum“ gerettet.
Mikele Saalem (Übersetzung MONITOR): „Die italienische Marine hat uns dann rausgezogen und an Bord genommen, die haben uns das Leben gerettet. Die haben dann den Leuten Kleider gegeben und was zu essen und Trinkwasser, viele Sachen.“
Reporter (Übersetzung MONITOR): „Was war das für ein Gefühl, als die Marine kam?“
Mikele Saalem (Übersetzung MONITOR): „Ich war überglücklich. In dem Moment habe ich wirklich gewusst, dass ich überleben werde. Für mich war das ein Glücksmoment.“
Dieses Glück werden künftig wohl nur noch Wenige haben. Denn während die italienische Rettungsoperation „Mare Nostrum“ bislang die internationalen Gewässer überwachte, zieht sich die neue EU-Operation „Triton““ vorwiegend auf Grenzsicherung zurück. Eine vertrauliche Statistik der EU-Grenzschutzagentur, die MONITOR vorliegt, zeigt, wo zwischen Mai und Oktober 2014 die meisten Flüchtlinge gerettet wurden. Genau dieses Gebiet wird künftig nicht mehr regelmäßig von EU-Schiffen befahren, die sind nur mehr in Küstennähe.
Martin Bröckelmann-Simon, Misereor: „„Mare Nostrum“ und „Triton“ sind zwei komplett unterschiedliche Programme mit einer unterschiedlichen Logik und Zielsetzung. „Mare Nostrum“ war ein Seerettungsprogramm, „Triton“ ist ein Grenzsicherungsprogramm und hat zur vorrangigen Aufgabe, die Außengrenze der Europäischen Union an den Küsten zu sichern.“
Die neue Grenzmission „Triton“ auf dem Mittelmeer. Weniger Schiffe, Einsatzgebiet nur in Küstennähe. Hinter der Einstellung des alten Programms steckt zynisches Kalkül. Die Überfahrt werde gefährlicher und teurer, damit wurden viele Flüchtlinge abgeschreckt, so das vertrauliche Strategie-Papier.
Zitat: „Wegen der Reduzierung der Italienischen Schiffe (...) ist davon auszugehen, dass weniger Einwanderer die Reise antreten werden.“
Der deutsche Innenminister unterstützt diese Linie auf EU-Ebene. Mehr Seerettung ziehe auch mehr Migranten an. Ist das wirklich deutsche Politik?
Reporter: „Herr Minister, eine Frage für die Sendung MONITOR. Warum ersetzen wir eine lebensrettende Operation wie „Mare Nostrum“ durch eine Grenzsicherungsaktion wie „Triton“? Wollen wir die Leute da alle ertrinken lassen im Mittelmeer?“
Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister: „Nein, die Operation „Mare Nostrum“ der Italiener hat Menschenleben gerettet, und das war richtig so. Zugleich hat sich erweisen, dass diese Aktion sich als Brücke nach Europa dargestellt hat, sie war ein Anreiz für Schlepper, Menschen auf überfüllte Boote zu schicken.“
Widerspruch kommt aus der eigenen Regierung. Der Entwicklungsminister fordert, das Seenotrettungsprogramm müsse unbedingt verlängert werden.
Gerd Müller, CSU, Bundesentwicklungsminister: „Mit dem Abschalten von „Mare Nostrum“, Rettungsaktionen einzustellen, ist das Problem nicht gelöst. Außerdem ist das humanitär absolut inakzeptabel. In Libyen warten 600.000 Menschen in der Tat auf eine Überfahrt. Wir können das Problem nicht ignorieren.“
Aber die EU geht noch weiter: Mögliche Flüchtlinge sollen es erst gar nicht aufs Meer schaffen, sondern schon in ihren Heimatländern aufgehalten werden.
Ende November verhandelte die EU auch mit Regierungen wie Eritrea, dazu mit Ländern wie Somalia und dem Südsudan. Die Flüchtlingspolitik der EU sollen jetzt diese Länder mit betreiben. Zitat Menschenrechtsbericht der Bundesregierung:
Somalia: „Menschenrechtslage weiterhin sehr schlecht.“
Eritrea: „Regimegegner werden massiv unterdrückt.“
Libyen: „Folter und Misshandlungen.“
Günter Burkhardt, Pro Asyl: „Nun beginnt man, den nächsten Ring vor Europas Grenzen in Nordafrika zu errichten, kooperiert mit Verfolgerstaaten wie Eritrea oder Staaten wie Libyen, Ägypten, die die Menschenrechte missachten, damit die die Türsteherfunktion für Europa übernehmen und verhindern, dass Schutzbedürftige, dass Menschen, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, nach Europa kommen.“
Mit Libyen arbeitet die EU schon zusammen, einem Land, in dem Mikele am Ende seiner Odyssee durch Afrika gelandet ist, wie beinahe alle Flüchtlinge, die übers Mittelmeer wollen. Sie berichten von schwer erträglichen Zuständen.
Mikele Saalem (Übersetzung MONITOR): „Die Situation für Flüchtlinge in Libyen ist sehr schwierig, besonders für die mit christlichem Glauben. Die werden da gedemütigt und misshandelt.“
Dawit Efrem (Übersetzung MONITOR): „Die haben die Leute mit Elektroschocks gefoltert, mit brennenden Plastikteilen, mit Gewehrkolben geschlagen, in Ketten gelegt, in Containern eingesperrt.“
Folter und Misshandlung beim EU-Partner Libyen? Wir wollen uns selbst ein Bild machen und fahren in die Nähe von Tripolis. Libyen ist im Bürgerkrieg, der Staat zerfällt, das so genannte „Identifikationszentrum“ für Flüchtlinge aber ist in Betrieb. Es dauert, bis uns die Behörden einen Blick hinein erlauben.
Hier landen die, die es nicht nach Europa geschafft haben. Heute leben hier über 400 Menschen.
Flüchtling (Übersetzung MONITOR): „Wir waren eine Stunde auf dem Meer, dann ging unser Schiff kaputt, dann haben uns die Libyer festgenommen und geschlagen.“
2. Flüchtling (Übersetzung MONITOR): „Jeden Tag schlagen die uns, egal warum. Gibt es einen Grund dafür? Ich will wissen, was ihr Problem ist.“
3. Flüchtling (Übersetzung MONITOR): „Wir haben doch kein Verbrechen begangen, wir haben niemand getötet. Hier bekommen kein Trinkwasser, wir kämpfen hier ums Überleben. Wir bitten, lasst uns wieder gehen. Aber sie halten uns hier als Geisel gefangen.“
Freiheit, Freiheit skandieren die Flüchtlinge. Wie eng die EU mit zweifelhaften Staaten kooperieren will, kann man ebenfalls am Beispiel Libyen sehen. Bis zu 30 Millionen Euro pro Jahr bezahlt die Europäische Union für die Ausbildung von Grenzschützern des nordafrikanischen Regimes. Dafür gibt es Lektionen in Festnahme und Überwältigung, auch von Flüchtlingen. Und die EU will jetzt sogenannte „Willkommens-Zentren“ für Flüchtlinge. Bereits in Afrika soll über deren Einreise entschieden werden.
Das könnte dann so aussehen wie hier: Die sogenannten „Identifikationszentren“ werden momentan von Libyen allein betrieben. Diese Aufnahmen haben wir im April gemacht. Überforderte Gefängniswärter, Menschen dichtgedrängt.
Flüchtling (Übersetzung MONITOR): „Wir schlafen im Sitzen, so, zusammengekauert.“
Sie leben im Schmutz, die Aufseher prügeln, Hunger und trotzdem haben alle diese Menschen nur ein Ziel: Europa.
Flüchtling: „We want to go out of here. Out of here to Europe.“
Man muss ihnen nur in die Gesichter sehen, um zu begreifen: Ihre Not ist so groß, dass keine Seepatrouille, keine Grenzsicherung, und kein Auffanglager sie aufhalten werden auf ihrem Weg nach Europa.
Kommentare zum Thema
Ich habe volles Verständnis dafür dass diese Aktionen gestoppt werden. dazu muss aber auch gehören dass private Initiativen, die bis direkt vor die libysche Küste fahren im diese Menschen zu "retten".
Typisches Beispiel linker Meinungsmache und vielleicht das beste Beispiel warum das Substantiv "Lügenpresse" heute existiert. Kann man nicht mal wenigstens probieren objektive Berichterstattung zu leisten? Warum sehe ich nur junge Männer? Warum muss die italienische Küstenwache das gesamte Mittelmeer schützen? Warum wird so getan als ob diesen jungen Männer in einer alternativlosen Lage sind? Warum wird so getan als ob wir daran Schuld sind, dass erwachsene Menschen bewusst auf ein kaputtes Boot gehen und dann sterben?
Das Problem der Flüchtlinge aus Afrika kann nicht in Europa, vorzugsweise in Deutschland, gelöst werden, sondern in den Heimatländern. Wo ist die jahrzehntlange Entwicklungshilfe von mehreren Milliarden geblieben ? Wurde von unseren Schlafmützenregierungen nicht geprüft, ob die Gelder sinnvoll verwendet wurden, oder ob sich die korrupten Regierungen bereichert haben ? Was ist mit den Schleppern, die glänzend an diesem Menschenhandel verdienen ? Warum wird den Europäern ein schlechtes Gewissen wegen der Toten im Mittelmeer eingeredet, aber die Menschenhändler dieser Tragödie verschont ? Die Flüchtlinge aus Afrika haben hier bei uns im gelobten Land dieselben schlechten Zukunftsaussichten wie in ihrer Heimat. Warum sagt man das den potientellen Flüchtlingen nicht ?