Wahlkampf gegen Geflüchtete: Rechtsruck der Mitte?

Monitor 13.02.2025 11:43 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Achim Pollmeier, Johanna Sethe

MONITOR vom 13.02.2025

Wahlkampf gegen Geflüchtete: Rechtsruck der Mitte?

Der Bundestagswahlkampf scheint fast nur noch ein Thema zu kennen: Migration. Die Richtung scheint klar: Je härter, desto besser. Dafür sind Union und FDP sogar bereit, gemeinsam mit der AfD für Mehrheiten zu sorgen. Aber auch SPD und Grüne schlagen längst harte Töne an, wenn es darum geht, weniger Geflüchtete ins Land zu lassen. Zuwanderung wird im Wahlkampf vor allem als Problem und Bedrohung diskutiert, Geflüchtete gelten als Gefahr für die Sicherheit. Eine Diskursverschiebung, die vielen Menschen mit Migrationsgeschichte Angst macht.

Von Achim Pollmeier, Johanna Sethe

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Georg Restle: "München heute Vormittag. Bilder des Tatorts, wo ein 24-jähriger Afghane mit seinem Auto in eine Demonstration raste. Wieder so ein schreckliches Verbrechen. Wieder traf es Menschen völlig schutzlos. Und wieder dürfte dies heftige politische Reaktionen hervorrufen – haben sie schon. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.

Was da heute geschah, trifft das Land mitten ins Herz. Mitten in aufgewühlten Zeiten, mitten im Wahlkampf. 30 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt – obwohl die Demonstration von der Polizei begleitet wurde. Über den Täter waren heute jede Menge Falschmeldungen unterwegs. So viel scheint mittlerweile sicher: Offenbar handelt es sich um einen jungen Mann, der hier ein Aufenthaltsrecht hatte, einen Beruf, eine Wohnung, keine Straftaten. Und trotzdem wurde auch heute gleich wieder verallgemeinert: Afghanen abschieben, Migration gleich Gewalt, Migranten gleich Gewalttäter. Ganz vorne mit dabei – na klar – die AfD.

Bernd Baumann (AfD): "Was für ein erbärmliches Gestammel dieser politischen Klasse, die all diese Attentäter, Mörder, Messerstecher, Vergewaltiger unkontrolliert ins Land gelassen hat!"

Stimmung machen gegen Migranten. Wahlkampf der widerlichen Art. Auch dagegen sind heute tausende Menschen in München auf die Straße gegangen, aus Entsetzen über die Tat, aber auch aus Sorge, dass der Hass gegen Zugewanderte weiter wächst. Und ja, was denken Menschen eigentlich darüber, die so etwas ganz unmittelbar betrifft. Wir haben einige heute in Köln getroffen.

Mann: "Wenn ein Afghane macht eine solche Scheißsache, tut mir leid, das ist nicht gut."

Reporter: "Macht Sie das traurig?"

Mann: "Ja, natürlich. Natürlich, ich fühle mich auch schlecht, dass die Afghaner so was machen. Wenn die Leute fragen, "Woher kommst du?", dann sage ich, dass ich Afghaner bin, dann denken die, dass alle Afghaner so sind."

Angst vor Verallgemeinerung, aber auch ganz konkrete Ängste, jetzt sogar abgeschoben zu werden, wie hier in einem Kölner Restaurant, das die Familie seit vielen Jahren zusammen betreibt.

Restaurantbesitzer: "Mittlerweile mache ich mir auch Sorgen, nicht dass sie mich sogar abschieben würden, weil – sag ich mal – wir sind seit 15/16 Jahren hier und wir haben uns an alles angepasst. Und ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wenn ich in mein – sag ich mal – mein eigenes Land zurückgehe, dass ich überhaupt eine Zukunft oder sonst was habe. Weil ich habe alles hier – sag ich mal."

Dass die Stimmung sich jetzt noch weiter verschärft, Hass und Ausgrenzung zunehmen, das befürchten nicht nur die Afghanen im Land. Das befürchten viele, die hier in dieses Land geflohen oder ausgewandert sind oder die Migrationsgeschichte haben. Dass die Stimmung sich gegen sie wendet, dass ihnen der deutsche Pass abgenommen oder ihre Einbürgerung abgelehnt wird. In einem Satz, dass sie hier nicht mehr gewollt sind. Achim Pollmeier und Johanna Sethe haben einige von ihnen in den letzten Tagen getroffen, bevor es zu der schrecklichen Tat in München kam."

Da wird ein Schuh draus. Und Hamze Jamshidi wird ihn anfertigen. Der Afghane ist erst 25, aber was er schon hinter sich hat, könnte auch für zwei Leben reichen. Heute arbeitet er dafür, dass Menschen ohne Schmerzen gehen können, er macht nämlich orthopädische Schuhe.

Hamze Jamshidi: "Das Schönste an dem Beruf ist, dass man wirklich den Menschen helfen kann. Habe ich auch hier die Kundschaft gehabt, dass sie mit Tränen in Augen kommen und nicht laufen können und Beschwerden und sagen, ja, da habe ich Schmerzen, das ist sehr schön. Ja, mit diesem Beruf kann man, dass die Leute helfen, dass die wieder richtig laufen und dann spazieren gehen mit dem Lächeln."

Wir haben Hamze Jamshidi vor einigen Tagen getroffen, um seine Geschichte zu erzählen. Denn die Stimmung im Land bedrückt ihn. Die Anschläge der letzten Monate, der Wahlkampf und die immer hitzigere Debatte, Flüchtlinge seien gefährlich.

Hamze Jamshidi: "Das ärgert mich, dass die Jugendlichen, die hierherkommen, dass sie diese Chance in Gesellschaft reinzukommen und sich entwickeln, nicht nutzen und so was machen. Aber von anderen Seite habe ich auch selber Angst, weil ich werde auch da reingezogen und werde ich auch beurteilt, weil ich bin auch so ein Flüchtling. Ich habe auch keine Einbürgerung."

Hamze Jamshidi stammt aus Afghanistan. Vor zehn Jahren machte er sich auf den Weg nach Europa – über die berüchtigte Balkanroute. Dass es Deutschland wurde, war Zufall, sagt er. Aber seine Chance wollte er nutzen. Er lernte! Tage, Nächte, Jahre. Erst die Sprache, dann seinen Beruf. Inzwischen ist er Orthopädie-Schuhmacher-Meister. Wie die Urkunden zeigen, einer der besten Deutschlands. Jetzt würde er gern den nächsten Schritt machen – und sich einbürgern lassen. Doch inzwischen macht er sich Sorgen um seine Zukunft, ob er noch gewollt ist. In der Asyldebatte heißt es immer wieder, gut integrierte Menschen wie er seien ja nicht gemeint. Er fühlt sich aber gemeint.

Hamze Jamshidi: "Ich bin auch so ein Flüchtling, ich habe mich so entwickelt und in Arbeitsmarkt reingesetzt. Und ob ich da in Zukunft hier bleiben darf oder nicht, das macht mir auch Sorge. Und dann denke ich auch jeden Tag darüber."

Heute München, davor die Taten in Aschaffenburg, Magdeburg oder Solingen. Und die Politik? Reagierte in den letzten Monaten immer reflexhafter, fast panisch.

Jens Spahn (CDU): "Wir sollten uns daran gewöhnen, dass Kinder ermordet werden?"

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender: "Deswegen müssen wir jetzt man konsequent auch dafür sorgen, dass nicht noch weitere Flüchtlinge aus Afghanistan und aus Syrien nach Deutschland kommen."

Robert Habeck, Bundeswirtschafsminister (Bündnis90/Grüne): "Natürlich will ich die Sicherheit in Deutschland erhöhen, das ist ja nicht akzeptabel, was hier passiert. Und zwar mit voller Härte.“

Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD): "Es hat noch nie schärfere Gesetze gegeben als die, die ich durchgesetzt habe.“

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär: "Und auch bei kleinen Straftaten – ich meine, selbst Schwarzfahren muss beim zweiten Mal derjenige sein Land verlassen."

Abschiebung nach zweimal Schwarzfahren, Grenzen hoch zur Kriminalitätsbekämpfung. Inzwischen geht alles irgendwie durcheinander und spaltet so die Gesellschaft, sagt die Migrationsforscherin Naika Foroutan.

Prof. Naika Foroutan, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung: "Wir hatten in den letzten Jahren so viele Fortschritte gemacht, wir waren als Gesellschaft so viel stärker mit der Idee einer quasi postmigrantischen Gesellschaft zu sein, in der wir gemeinsam schauen, wie wir die nächsten Jahrzehnte gestalten, so vorangekommen. Und jetzt besteht überall das Gefühl, dass es sich in wir und die immer weiter spaltet, wir Deutschen – wer immer das dann sein mag – und die Migranten. Und das ist das, was das soziale Klima so stark verändert und die anderen Parteien der Mitte unter Druck setzt, die eben in dieses Narrativ mit einsteigen, weil sie glauben, sonst ihre Wähler und Wählerinnen zu verlieren."

Wie die Parteien der Mitte sich verändert haben, darüber haben wir mit Aladdin Beiersdorf-El Schallah gesprochen. Seine Eltern kamen schon vor seiner Geburt aus Syrien. Er hat beide Staatsbürgerschaften. Früher engagierte er sich in der CDU in Sankt Augustin bei Köln. Er war Vorsitzender des Stadtverbands, Vorsitzender des Ortsverbands, arbeitete in Gremien mit. Letzten November trat er aus. Die Stimmung habe sich radikal verändert, sagt er – im Land und in seiner Partei. Dazu müsse man sich nur den Wahlwerbespot der CDU vor gut drei Jahren anschauen.

Wahlspot CDU 2021: "Mein Deutschland ist ein weltoffenes Land, das für Freiheit einsteht – und für unsere europäischen Werte (...) Egal woher man kommt, woran man glaubt oder wen man liebt. Deutschland ist weltoffen…"

Aladdin Beiersdorf-El Schallah: "Jetzt reden wir über Abschottung, jetzt reden wir über Abschieben, jetzt reden wir über Erhöhen der Sicherheit, jetzt machen wir bestimmte Bevölkerungsgruppen für diese ganzen Probleme als Sündenböcke verantwortlich in diesem Land. Die Tonalität hat sich verändert."

Zunehmend verknüpfte die Union das Thema Zuwanderung mit allen möglichen Problemen, will etwa das Staatsbürgerschaftsrecht zurückdrehen. Der deutsche Pass sei keine Ramschware. Dass die Union jetzt solche Slogans von der AfD kopiert, schockiert ihn. Und mehr noch, Menschen wie ihm – mit doppelter Staatsbürgerschaft – will die Union den deutschen Pass wieder abnehmen können, wenn sie Straftaten begehen.

Aladdin Beiersdorf-El Schallah: "Das hat mich stark verletzt, hat mich getroffen, denn ich fühle mich nur noch als Mensch zweiter Klasse. Ich fühle mich nicht mehr ebenbürtig wie jeder andere. Und das, ist – denke ich – ein Hauptproblem. Wir sind eben dann doch nicht alle gleich, wir sind nur Deutsche auf Abruf."

Deutsche auf Abruf. Sein Beispiel zeigt, was die Debatte der letzten Jahre ausgelöst hat. Eine kollektive Verunsicherung, sagt die Migrationsforscherin Birgit Glorius.

Prof. Birgit Glorius, Sachverständigenrat für Integration und Migration: "Also die polarisierte Debatte löst im Grunde genau das ein, auf was sie abzielt, nämlich dass die Menschen auch verunsichert sind. Die einen haben Angst vor Migranten und die anderen haben Angst davor, dass sie hier ausgewiesen werden, dass sie diskriminiert werden, stigmatisiert werden, angegriffen werden und so weiter. Also eigentlich ist es eine kollektive Verunsicherung, die durch diesen Diskurs befördert wird."

Eine Verunsicherung, die Menschen auseinandertreibt. Die Mannschaft in Grün, das ist der SC Aleviten aus Paderborn. Fast das ganze Team besteht aus Geflüchteten. Manche sind erst ein paar Monate hier, andere über zehn Jahre, haben Arbeit und Familie. Verani Kartum ist der Trainer. Früher haben sie hier viel Unterstützung bekommen, erzählt er. Trikots, Schuhe, Spenden. Doch das ist vorbei.

Verani Kartum, SC Aleviten Paderborn e.V.: "Weil das auch in der Gesellschaft kein positives Feedback findet oder so da eben. Und daher zum Beispiel eben, wenn ein, zwei Leute uns Geld spenden, die legen Wert darauf, dass das nicht veröffentlicht wird, dass das keiner eben mitbekommt."

Auch Isa Yadel ist am Platz, langjähriger Unterstützer des Vereins – und Geschäftsführer von zwei Cafés in der Region. Gerade erst wurde einer seiner Mitarbeiter in den Irak abgeschoben. Dabei hatte der schon seine Ausbildung begonnen.

Isa Yadel: "Das ist halt so ein Gegenwind bei den Behörden, Ausländerbehörden. Ich bin ganz oft mit Mitarbeitern dahin gegangen und die haben immer alles geregelt und auf einmal kompletter Gegenwind, da gibt es nichts mehr, keinen Gesprächsbedarf und auch keine Kooperation mit irgendjemanden. Die versuchen auch gar nicht, einem zu helfen. Man merkt, dass sie die Zahlen hochdrücken wollen."

Hauptsache abschieben? Die Stimmung im Team habe sich verändert, sagt Kartum. Gerade erst haben sie einen Stürmer verloren – der habe den Druck nicht mehr ausgehalten und sich nach Frankreich abgesetzt.

Verani Kartum, SC Aleviten Paderborn e.V.: "Ja, da kann man sagen, die haben das dann erreicht, dass die Menschen von alleine weggehen eben. Dass sie resignieren, dass sie nicht mehr können – also sowohl jetzt Flüchtlinge, auch Migranten wollten Teil dieses Landes, dieser Gesellschaft werden, aber haben den Eindruck, dass sie nie ein Teil dieser Gesellschaft werden."

Heute hat der SC Aleviten gewonnen. Hier konnten sie sich beweisen. Gerne würden sie es nicht nur auf dem Fußballplatz tun.

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Stand: 14.02.2025, 16:00 Uhr

Kommentare zum Thema

22 Kommentare

  • 22 Stoppt Doof-WDR ! 14.02.2025, 14:19 Uhr

    Nur wo Monitor drauf steht , ist auch garantiert Kita und Schwachsinn drin. So geht das bereits weltteuerst seit Jahrzehnten !

  • 21 Albers 14.02.2025, 13:51 Uhr

    "Geflüchtete", geflüchtet aus unseren Nachbarländern ?

  • 20 Quatsch ! 14.02.2025, 13:04 Uhr

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