MONITOR vom 11.01.2018

Waffen für den IS: Wie EU-Staaten am Krieg in Syrien verdienen

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Bericht: Volkmar Kabisch, Shafagh Laghai, Amir Musawy, Andreas Spinrath

Waffen für den IS: Wie EU-Staaten am Krieg in Syrien verdienen

Monitor 11.01.2018 07:57 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Was Sie hier sehen, sind Waffen, mit denen der nicht enden wollende Krieg in Syrien immer weiter angeheizt wird. Waffen, die aus Europa stammen. Aus demselben Europa, das im Mittelmeer alles dafür tut, auch Opfer dieses Krieges von seinen Grenzen fernzuhalten. Selbst wenn es Menschenleben kostet.

Wenn Sie das zynisch finden, können wir das ganz gut nachvollziehen. Guten Abend und willkommen bei Monitor. Nein, der Krieg in Syrien ist noch lange nicht vorbei. Ganz im Gegenteil, in diesen Tagen sind wieder hunderttausend Menschen auf der Flucht vor einer Großoffensive der syrischen Armee. Es ist ein Elend, an dem europäische Rüstungskonzerne prächtig mitverdienen. Von dort stammt nämlich ein großer Teil der Waffen, mit denen syrische Milizen und auch der sogenannte Islamische Staat aufgerüstet wurden. Das alles hat vor allem ein Mann recherchiert, der jahrelang im syrischen und irakischen Kriegsgebiet unterwegs war und dabei die Spur der Waffen zurückverfolgt hat. Unser NDR-Kollege Volkmar Kabisch und Amir Musawy haben ihn begleitet.“

Fahrt in eine zerstörte Stadt. Vor uns liegt Raqqa, die einstige Hauptstadt des so genannten Islamischen Staates in Syrien. Als wir diese Aufnahmen im vergangenen Oktober drehen, ist das Stadtzentrum noch heftig umkämpft. Wir begleiten Kämpfer der „Demokratischen Kräfte Syriens“, eine von den Amerikanern unterstützte kurdisch-arabische Miliz. Immer wieder stoßen sie in dieser Gegend auf Waffenverstecke des IS.

Kurdischer Offizier (Übersetzung Monitor): „Wir haben viel Munition und Waffen gefunden. Hier in diesem Gebäude zum Beispiel haben wir ein Waffen- und Munitionsdepot des IS gefunden. Im Erdgeschoss und der ersten Etage ist aber alles vermint mit Sprengfallen.“

Das sind solche sichergestellten Waffen. Es handelt sich um Anti-Panzer-Munition, Made in Europe, genauer aus Rumänien und Bulgarien. Erst vor kurzem produziert, wie diese rumänische Rakete vom Typ PG-9, laut Seriennummer auf dem Munitionsteil im Jahr 2016 hergestellt. Tödliche Munition aus Europa, die niemals nach Syrien gelangen dürfte! Exporte in solche Krisenstaaten sind in der EU verboten. Wie kam sie dennoch hierher? Nur ein Zufallsfund?

Bagdad im Irak. Damien Spleeters kann Antworten liefern. Er ist Waffenkontrolleur der Organisation „Conflict Armament Research“. Er soll herausfinden, woher die Terrormiliz IS ihre Waffen bekommt - im Auftrag der EU. Heute untersucht er Waffen, die noch vor kurzem vom IS gegen die irakische Armee eingesetzt wurden.

Damien Spleeters, „Conflict Armament Research“ Damien (Übersetzung Monitor): „Ich werde jetzt die Panzerabwehr-Waffen anschauen. Dann die Raketen.”

Reporter (Übersetzung Monitor): „Wissen Sie, woher die stammen?“

Damien Spleeters, „Conflict Armament Research“ Damien (Übersetzung Monitor): „Noch nicht. Ich muss sie checken.“

Seit 2014 haben Spleeters und sein Team mehr als 40.000 Militärgüter dokumentiert und so ein genaues Bild gewonnen, welche Waffen der IS nutzt.

Damien Spleeters, „Conflict Armament Research“ Damien (Übersetzung Monitor): „Die kommen alle aus Bulgarien. Ich werde Fotos von ihnen machen, um besser zu verstehen, wie genau die kompletten Lieferwege funktionieren und wie die Waffen am Ende beim Islamischen Staat landen konnten.“

Etwa 40 Prozent der kontrollierten Rüstungsgüter, sagt Spleeters, kämen ursprünglich aus der Europäischen Union - fast alle aus Osteuropa. Wie die Waffen hierher gelangten, lässt sich an einem Beispiel zurückverfolgen: Bei einer seiner Kontrollen hat Spleeters diese in Rumänien produzierte Rakete beim IS gefunden. Ursprünglich aber war genau diese Rakete an syrische Milizen geliefert worden, wie diese Aufnahmen einer Munitionskiste mit identischer Seriennummer zeigen. Milizen, die von den USA ausgebildet und ausgerüstet wurden, wie es dieses Propagandavideo des IS ebenfalls zeigt. Sind die Waffen aus Osteuropa also über die USA nach Syrien gelangt? Und war das sogar von Anfang an der Plan? In London fragt Damien Spleeters bei den Herkunftsstaaten, wie Rumänien oder Bulgarien, die Details des Exports an - ganz offiziell. Spätestens hier erfahren die Herstellerländer auch, dass ihre Waffen beim IS gelandet sind. Im Fall der Raketen aus dem Propaganda-Video bekommt Damien eine klare Antwort.

Damien Spleeters, „Conflict Armament Research“ Damien (Übersetzung Monitor): „Diese Rakete wurde am 4. Dezember 2014 von Rumänien an die US-Armee exportiert. Unsere Untersuchungen in den letzten drei Jahren haben gezeigt, dass das bei weitem kein Zufall ist. Wir haben ähnliche Raketen aus verschiedenen Herstellungsjahren und an verschiedenen Orten gefunden. Das ist also kein Einzelfall. Und wir haben immer wieder gesehen, dass Drittstaaten wie die USA Waffen an kämpfende Gruppen in Syrien und den Irak geliefert haben und immer wieder wurden diese Waffen dann vom IS gegen die Internationale Koalition genutzt.“

Heißt also: Rumänien und Bulgarien exportieren Waffen an die USA. Die reichen sie dann entgegen der Zusicherung in Endverbleibs-Zertifikaten an „befreundete“ Milizen in Syrien weiter. Schon hier dürften sie laut EU-Regeln aber niemals landen. Die Milizen verlieren oder - das zeigen beim IS gefunden Papiere - verkaufen die Waffen anschließend an die Terroristen. Und der IS kämpft mit ihnen dann gegen Kurden und Iraker, also Verbündete der USA. Ein tödlicher Kreislauf, der den Herstellerländern sehr bewusst sein dürfte.

Pieter Wezemann, Friedensforschungsinstitut SIPRI (Übersetzung Monitor):„Die Waffen, die an das Pentagon geliefert wurden, sind ganz sicher nicht für die Amerikaner selbst gedacht gewesen. Die Waffen, die sie in Bulgarien und Rumänien kaufen haben nicht den Standard, den die Amerikaner nutzen. Die US-Streitkräfte nutzen keine Kalaschnikows.“

Auf dem Weg zum staatlichen rumänischen Rüstungskonzern Romarm. Hier wusste man von Anfang an, dass die gelieferten Waffen für die US-Armee völlig ungeeignet waren. Jetzt profitiert man vom Krieg in Syrien, exportiert so viele Waffen wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Verantwortung für die Waffen in Syrien will der Firmenchef dennoch nicht übernehmen.

Gheorghe Stoica, Romarm-Chef (Übersetzung Monitor): „Also wenn ein rumänischer Fußgänger zum Beispiel von einem Mercedes überfahren wird, dann sollte doch auch nicht der Hersteller des Autos vor Gericht gestellt werden? Es ist doch ganz offensichtlich, dass es viele Brüche auf dem Vertriebsweg geben kann.“

Brüche, die von der Rüstungsindustrie in Kauf genommen werden. Denn spätestens seit 2015 weiß sie, dass Teile der Waffen in Syrien landeten. Und spätestens seit 2008 hätten solche Exporte nicht mehr stattfinden dürfen. Damals hatten sich alle EU-Mitgliedstaaten Regeln gegeben, unter welchen Umständen Waffen nicht geliefert werden dürfen. Darin heißt es, Militärgüter aus der EU dürften nicht einmal auf Umwegen

Zitat: „… zu terroristischen Vereinigungen […] umgeleitet werden.“

Doch bindend ist das EU-Papier nicht.

Tobias Pflüger (LINKE), Bundestagsabgeordneter: „Dieser gemeinsame Standpunkt der europäischen Union zu Rüstungsexporten ist ein löcheriger Käse und lässt sehr viele Waffenexporte zu, was ich für eine Katastrophe halte. Wir sagen, es braucht einen Sanktionsmechanismus, der klipp und klar die Mitgliedstaaten, die sich nicht dranhalten, sanktioniert.“

Eine Anfrage bei der US-Regierung bleibt unbeantwortet. Die EU teilt uns mit, man habe Rumänien und Bulgarien über die Ergebnisse der Waffenkontrollen informiert. Zuständig seien schließlich die Mitgliedstaaten. Die EU-Regel zum Rüstungsexport würde noch in diesem Jahr unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse überprüft. Die Zeit läuft. Denn nach wie vor sterben jeden Tag Menschen in Syrien, das Land liegt in Trümmern. Und: Die Millionen-Verträge Rumäniens und Bulgariens mit den USA laufen mindestens bis in das Jahr 2022.

Sendungsübersicht

Stand: 09.01.2018, 15:41 Uhr

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7 Kommentare

  • 7 niemand 09.02.2018, 18:06 Uhr

    Die USArmy sollte mal unter die Lupe genommen werden. Die Verschwendung der Ressourcen, wozu wird sie gebraucht, wie wird finanziert. Monitor bringt ein wenig Licht ins Dunkel, man sollte aber aus den Nachrichten auch die Notwendigkeiten zum Handeln erkennen.

  • 6 Anonym 22.01.2018, 11:32 Uhr

    Und wenn der IS zu uns kommt, wird er auch noch empfangen mit ner´Wohnung, Geld, usw. 500 von denen werden überwacht, tausende sind schon da, Verbrechen gibt es ohne Ende, aber wer das sagt wird als Populist abgetan, gell? als Krönung sind genau die am Warnern die die auch rein lassen.

  • 5 Marina Heckmann 15.01.2018, 11:10 Uhr

    "Die EU-Regel zum Rüstungsexport würde noch in diesem Jahr unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse geprüft???". Bitte... verfolgen Sie dieses Problem/Thema weiter. "Die Zeit läuft... bis in das Jahr 2022???". ___ Zum Schweigen der USA. Solange ein Donald Trump POTUS ist, wird sich da wohl kaum etwas ändern (macht Milliarden-Gewinne durch Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien, zerbomt den Jemen). Der IS... USA, Russland, Türkei, Irak, Saudi-Arabien, Iran, Afghanistan, Syrien... wer kämpft gegen wen? Soll sich die EU da überhaupt einmischen?

  • 4 heiko 12.01.2018, 13:58 Uhr

    Hallo Monitor,das alles ist doch seit Jahren bekannt!Es wurden hunderttausende Tonnen an W. und M. aus 8 Ost Europäischen Ländern geliefert.Allein an die Saudis von 2012 bis 2016 im Wert von 1,2 Mrd.Das meiste kam aus den EU Ländern Kroatien die waren die ersten ,dann kommt Tschechien und die Slovakei.Erst als dort alles ausverkauft war,haben Bulgarien und Rumänien weiter geliefert.Für die Lieferungen waren die Amis verantwortlich. Wie die SZ schreibt auch über Ramstein!Alleine die Operation Timber Sycamore hat 1 Mrd.gekostet.In Aleppo hat man tonnenweise W. und M. aus Bulgarien bei der Nusra F. gefunden auch Scharfschützen Gewehre von Heckler und Koch aus Deutschland!Wie dumm muss man in Berlin sein und die Lieferung von 300 Scharfschützengewehren an die Türkei genehmigen,die dann auch in Aleppo bei Nusra landen?(Haben Leute von der Zeitung Junge Welt vor Ort geprüft).Ein EU Waffen Embargo gegen Syrien wurde 2013 prakt.aufgehoben?Den Krieg in Syrien gab u, gibt es auch deshalb?

  • 3 Matti Illoinen 12.01.2018, 12:20 Uhr

    Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge.

  • 2 Helmut Schuster 11.01.2018, 22:22 Uhr

    Man macht Bulgarien und Rumänien Vorwürfe, dass sie Waffen liefern an die USA und wagt es nicht, die USA für die Lieferung an die IS verantwortlich zu machen. Was ist das für eine merkwürdige Moral?

  • 1 Holger Voss 11.01.2018, 15:25 Uhr

    Einerseits besteht für den syrischen Staatspräsidenten Bashar al-Assad ein Einreiseverbot in EU-Staaten, weil er auf den Aufstand der syrischen Opposition (Jetzt bist Du fällig, Dr.) mit Gewalt reagierte. Nun erfahre ich dank Monitor, daß die EU sogar Waffenlieferungen an diese IS-Terroristen in irgendeiner Form unterstützt. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, dem ich eine kompetente Nahostpolitik im Zusammenhang mit der Türkei- und Iranpolitik bescheinigen möchte, ist hier zum Handeln aufgerufen. Ob dies auch Gegenstand der jüngsten Syriengespräche mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu war, hinsichtlich der Tatsache, daß ja auch die Türkei den IS in Syrien bekämpft? Man kann von Assad halten, was man will, aber die IS-Terroristen werden von ihm erfolgreich bekämpft. Auch Ministerpräsident Armin Laschet erklärte einmal, daß die IS-Terroristen daß größere Übel gegenüber dem jetzigen syrischen Präsidenten seien. Ob er hier europapolitischen Einfluß geltend machen kann?