Bericht: Marc Thörner, Markus Zeidler, Olga Sviridenko
Gefährlicher Doppelschlag – Der türkische Bombenkrieg gegen IS und PKK
Monitor. 13.08.2015. 06:22 Min.. Verfügbar bis 13.08.2099. Das Erste.
Georg Restle: „Der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, hat ein preußischer Generalmajor einmal gesagt. In diesem Sinne stellt sich die Frage: Welche Politik verfolgt der türkische Präsident Erdogan eigentlich gerade in Syrien und im Nordirak? Und welche Politik verfolgt die Bundeskanzlerin? Denn ganz offensichtlich hat die Kanzlerin ihrem türkischen Bündnispartner einen Blankoscheck ausgestellt bei seinem Krieg gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK. Die Folgen dieser Politik könnten grausam werden, nicht nur im Nordirak oder der Türkei, sondern auch hier in Deutschland. Markus Zeidler, Marc Thörner und Olga Sviridenko über Erdogans Krieg und Merkels Schweigen.“
Wie weit darf ein Mann gehen, den man einen „Verbündeten“ nennt? In dessen Land die Gewalt eskaliert. Gewalt, die auch auf unsere Straßen überspringen könnte. Einem Mann, der verspricht, seine Kampfjets gegen den IS-Terror starten zu lassen; dessen Bomben jedoch seit Wochen ganz andere treffen.
Diba Nigar Goksel, International Crisis Group, Türkei: „Die Sache ist doch, dass die Luftangriffe gegen den IS im Wesentlichen nur einen Tag angedauert haben. Die gegen die PKK im Nordirak hingegen bis heute.“
Und die Kanzlerin? Sie bittet ihren türkischen Partner Erdogan, er möge „Verhältnismäßigkeit“ wahren. Doch kein Widerspruch der Bundesregierung, als die NATO Ende Juli der Türkei den Blanko-Scheck für deren Luftangriffe erteilt.
Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär (Übersetzung Monitor): „Die Nato beobachtet die Entwicklung sehr genau. Und sie erklärt ihre große Solidarität mit ihrem Verbündeten Türkei.“
Dieser Verbündete verspricht Unterstützung im Kampf gegen den IS. Gleichzeitig bombardiert die Türkei - mit dem Segen der NATO - den stärksten Widersacher des IS: die kurdische PKK. Wie passt das zusammen? Wir suchen nach Antworten, hier im kurdischen Norden des Iraks, dort, wo die PKK das Sagen hat. Das kleine Dorf Zargali. Knapp zwei Wochen ist es her, dass die türkischen Kampfjets mit ihren Bomben kamen. Mindestens acht Zivilisten starben allein hier in diesem Dorf. Die Überlebenden zeigen uns die Spuren der Zerstörung. Plötzlich entdecken wir Männer in Uniform. Es sind keine Kämpfer der in Deutschland verbotenen PKK, sondern Peshmerga. Also genau diejenigen Kurden, die von der Bundeswehr bewaffnet werden - für den Kampf gegen den IS. Die Attacke der Türken, erzählen sie uns, sei auch ein Angriff auf sie.
Salam Juni, Peschmerga-Kämpfer (Übersetzung Monitor): „Das ist keine Attacke gegen die PKK, sondern gegen alle Kurden. Sie sehen ja selbst: Das hier hat nicht die PKK getroffen. Es hat Kurden getroffen. Wir hoffen, dass die Türkei diese Bombenangriffe einstellt. Für uns ist die PKK sehr wichtig. Sie ist eine Kraft, die wir brauchen.“
So wie er sehen es auch die anderen Peschmerga, mit denen wir sprechen. Zur Erinnerung: Peschermga. Das sind die kurdischen Truppen, die die deutsche Regierung mit Waffen ausgerüstet hat. Und eben diese Peschmerga sagen nun, dass sie gegen den IS angewiesen sind auf ihre Kampfgenossen von der PKK, hier im Norden des Iraks.
Josef Janning, European Council of Foreign Countries: „Wenn es also darum geht, diesen Raum zu stabilisieren und dem IS den Zutritt zu verwehren, dann sind diese Kämpfer praktisch unverzichtbar. Und vor diesem Hintergrund ist es ein Rückschlag im Kampf gegen den IS, wenn nun die Türkei die PKK attackiert und damit zu einem Teil aus dem Spiel nimmt.“
Im Klartext: Erdogangs Luftkrieg gegen die PKK torpediert auch Deutschlands Bemühen im Kampf gegen den IS. Und die Kanzlerin: Sie schweigt. Nimmt die Zumutung ihres „Partners“ hin - nicht zum ersten Mal.
„Syrien befindet sich im Krieg mit uns“, stachelt Erdogan 2013 die Massen an, während zeitgleich deutsche Soldaten mit ihren Patriot-Raketen auf türkischem Boden stationiert sind. Bis heute.
Und weiter noch. Bilder von Kämpfern der sogenannten Islamischen Front. Die Türkei - so wird immer wieder berichtet - liefert solchen Gruppen Waffen. Für ihren Kampf gegen den syrischen Diktator Assad. Die Ahrar al Sham, Teil der Islamischen Front: Laut UN-Berichten ist sie verantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, die Geiselnahme von Frauen und Kindern, Rekrutierung und Folter von Kindern, Tötung von Zivilisten.
Michael Lüders, Nahostexperte: „Deren Ideologie ist genauso mörderisch wie die des Islamischen Staates. Es gibt klare Hinweise darauf, dass die Ahrar al Sham genauso wie die Nusra-Front, ebenso Massaker an der Zivilbevölkerung und an opponierenden Kräften begangen haben, wie das beim Islamischen Staat der Fall ist.“
Türkische Waffenlieferungen für islamistische Terrorgruppen. Die Bundesregierung erklärt auf Nachfrage: Man habe keine eigenen Erkenntnisse dazu. Wirklich? Monitor liegt ein geheimes Dokument der Regierung vor. Danach gibt es mindestens seit Ende 2014
„Hinweise auf Waffenlieferungen Ankaras an Kräfte des bewaffneten Widerstands in Syrien.“
„Empfänger sollen die Gruppierung Ahrar al Sham bzw. die Islamische Front sein.“
Sevim Dağdelen, Die LINKE, Mitglied des Deutschen Bundestages: „Ich finde es ungeheuerlich, dass die Bunderegierung trotz Wissens, dass die türkische Regierung islamistische Terrorbanden wie die Ahrar al Sham bewaffnen, die Türkei immer noch unterstützt. Und vor diesem Hintergrund ist diese fortgesetzte Unterstützung eigentlich ein Verbrechen, was auch die Bundesregierung hier begeht.“
Schweigen, wegschauen, verdrängen. Unterdessen eskaliert in der Türkei der Konflikt mit den Kurden. Sollte der kurdische Protest überspringen auf die deutschen Straßen, wird es schwerer werden mit dem Schweigen.
Georg Restle: „Der brutale Krieg der Türkei gegen die Kurden hat vor zwanzig Jahren schon einmal zu blutigen Unruhen hier in Deutschland geführt. Sollten sich solche Bilder bald wiederholen, dann ist die Bundeskanzlerin dafür mitverantwortlich. Solange jedenfalls, solange sie den türkischen Präsidenten einfach gewähren lässt.“
Stand: 11.08.2015, 14:06 Uhr