MONITOR vom 11.01.2018

Tödliche Seenotrettung: Die brutalen Einsätze der libyschen Küstenwache im Mittelmeer

Kommentieren [9]

Bericht: Nikolaus Steiner, Herbert Kordes

Tödliche Seenotrettung: Die brutalen Einsätze der libyschen Küstenwache im Mittelmeer

Monitor 11.01.2018 06:58 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Kommentare zum Thema, der Beitragstext als PDF und weiterführende Links

Georg Restle: „Nochmal ganz nüchtern zusammengefasst: In Syrien duldet es die Europäische Union - entgegen ihrer eigenen Erklärung - dass syrische Milizen von ihren Mitgliedstaaten aufgerüstet werden. Und gleichzeitig rüstet dieselbe Europäische Union in Libyen Milizen aus, damit sie uns auch die Opfer dieses Krieges vom Leibe halten. Wie das konkret aussieht, konnte man in den letzten Monaten im Mittelmeer immer wieder beobachten, wo diese libyschen Milizen offenbar keinerlei Hemmungen haben, Menschenleben zu opfern, wenn es nur darum geht, die europäische Abschottungspolitik durchzusetzen. Nikolaus Steiner und Herbert Kordes.“

6. November 2017 - dramatische Szenen im Mittelmeer. Libysche Küstenwächter, die meisten ausgebildet von der EU, fahren mit ihrem Patrouillenschiff dicht an ein Schlauchboot voller Migranten. Es ist in Seenot geraten, in internationalen Gewässern. Die Libyer hätten sich mit viel zu hoher Geschwindigkeit genähert, sagen Augenzeugen. Durch die erzeugten Wellen geraten die Menschen in Panik, fallen oder springen ins Wasser, kommen sogar unter das Patrouillenboot. Während des Einsatzes werden Mitglieder von der Rettungsorganisation „Sea Watch“ von den Libyern bedroht und mit Gegenständen beworfen, berichten sie. Und auch gegenüber den Geretteten seien die Libyer gewalttätig geworden.

Lisa Hoffmann, Rettungsorganisation Sea-Watch: „Sie wurden an Bord geschlagen, sie wurden bedroht. Ich habe selber gesehen, wie mit einem dicken Seil auf Leute, die auf dem Deck saßen, eingeprügelt wurde.“

Die Aufnahmen zeigen, wie das libysche Schiff die Motoren anlässt und losfährt, obwohl noch eine Person an der Außenleiter hängt. Dramatische Appelle eines italienischen Marinehelikopters.

Helikopter (Übersetzung Monitor): „Libysche Küstenwache, stoppen Sie den Motor! Hier spricht der italienische Marinehelikopter. Sie haben eine Person an der Leiter. Wir fordern Sie auf, zu stoppen! Jetzt! Jetzt! Jetzt!“

Die libysche Küstenwache weist jegliches Fehlverhalten von sich, Sea-Watch würde Lügen verbreiten. Fünf Leichen werden an diesem Tag geborgen. Die italienische Polizei sagt, es könnten sogar bis zu 50 Menschen umgekommen sein.

Lisa Hoffmann, Rettungsorganisation Sea-Watch: „Hätte die libysche Küstenwache koordiniert gearbeitet, hätte die libysche Küstenwache mit uns zusammen gearbeitet, wäre die libysche Küstenwache am Ende nicht mit überhöhter Geschwindigkeit weggefahren, dann hätte es vermutlich weniger Tote gegeben, vielleicht sogar gar keine.“

Ein weiterer Beleg, wie brutal libysche Milizen, die von der EU trainiert wurden, gegen Seenotretter und Migranten vorgehen. In den letzten Monaten wurden Berichten zufolge immer wieder Menschen in Gefahr gebracht oder gar beschossen.

Franziska Vilmar, Amnesty International: „Bei den Seenotrettungseinsätzen hat die Libysche Küstenwache sehr rabiat gehandelt. Wir haben immer wieder festgestellt, dass Menschen dabei selbst gefährdet worden sind, dass sie teilweise auch ihr Leben verloren haben, aber dass sie, sobald sie an Bord waren, auch geschlagen worden sind und unter Waffengewalt zurückgebracht worden sind in die libyschen Lager.“

Die Bundesregierung und die EU schreiben zu dem dramatischen Einsatz am 6. November, dass

Zitat: „… der Vorfall die fortgesetzte Notwendigkeit der Ausbildung der libyschen Küstenwache

bestätigt.“

Martin Lemberg-Pedersen, Migrationsforscher (Übersetzung Monitor): “Das Hauptargument, das immer gebracht wird, um brutale libysche Akteure zu unterstützen, ist gerade deren Brutalität. Deshalb müsse man sie trainieren und ausbilden. Aber die Libyer nehmen diese Unterstützung der EU nicht zum Anlass die Menschenrechte einzuhalten, sondern sie nehmen sie als Beleg dafür, dass man ihre brutale Grenzkontrolle legitimiert. Denn je brutaler sie agieren, desto mehr Geld scheinen sie auch von Europa zu bekommen.“

Tödliche Seenotrettung: Dr. Lemberg-Pedersen im Interview

06:04 Min. Verfügbar bis 17.01.2099

Und die EU wird künftig wohl noch mehr auf die libyschen Küstenwächter setzen. Bislang werden Rettungseinsätze noch von der Seenotleitstelle in Italien koordiniert. Doch jetzt sollen die Libyer eine eigene Leitstelle aufbauen. Wozu das führen kann, zeigen diese Aufnahmen des amerikanischen Fernsehsenders VICE vom September: Die libysche Küstenwache bekommt einen Funkspruch eines italienischen Kriegsschiffes über die Position eines Bootes in Seenot.

Kapitän Bujella Abdul-Nabi, Libysche Küstenwache, 27.09.2017 (Übersetzung Monitor): „Wir haben zwei Notrufe bekommen von dem italienischen Kriegsschiff. Wir haben die Positionen erhalten und sie haben bestätigt.“

„Keep away!“ Haltet Euch fern! steht auf dem Militärschiff. Anstatt die Flüchtlinge zu retten, warten die Italiener auf die Libyer. Dabei sind sie grundsätzlich verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen. Sie warten offenbar, damit die Libyer die Flüchtlinge zurück ins Bürgerkriegsland bringen, zurück in Flüchtlingsgefängnisse. Die italienische Marine wollte sich dazu nicht äußern.

Prof. Alexander Proelß, Völkerrechtler, Universität Trier: „In der Sache bedeutet das ein Unterwandern der eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen, deswegen erachte ich dieses Vorgehen für hochproblematisch im Rechtssinne.“

Reporter: „Völkerrechtswidrig?“

Prof. Alexander Proelß, Völkerrechtler, Universität Trier:  „Für völkerrechtswidrig.“

Trotzdem sollen in den nächsten Jahren bis zu 285 Millionen Euro von der EU und Italien nach Libyen fließen - vor allem, um die Küstenwache zu unterstützen. Im Dezember besuchte der libysche Präsident, der kaum Macht hat, die Bundeskanzlerin. Dabei sprach sie auch das zum Teil aggressive Verhalten der Küstenwache an.

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin, 07.12.2017: „Trotzdem glaube ich auf der anderen Seite, dass es wichtig ist, dass Libyen auch durch die Ausbildung der Küstenwache selbst in die Lage versetzt wird, seine eigenen Grenzen besser kontrollieren zu können.“

Und so sehen die Leute aus, die die Grenzen zur EU kontrollieren. Stolz präsentiert sich Abd al-Rahman Milad alias „Bija“, Chef einer libyschen Küstenwachen-Einheit. Regelmäßig fängt sie Boote mit Migranten ab. Bei einem Einsatz in der Nacht ist zu hören, wie „Bija“ mit einem mutmaßlichen Schlepper am Telefon spricht.

„Bija“ (Übersetzung Monitor): „Ich habe die Marokkaner gefunden, du Arschloch, du Hurensohn. Wenn ich dich das nächste Mal sehe, schneide ich dich in Stücke, verstanden?“

Lautstarke Revierkämpfe unter Schleppern? Laut einem Bericht der Vereinten Nationen arbeitet „Bija“ nämlich selbst mit Menschenschmugglern und Menschenhändlern zusammen. Und das ist offenbar kein Einzelfall.

Franziska Vilmar, Amnesty International: „Amnesty International hat dokumentiert, dass die Libysche Küstenwache mit den Schmugglern vor Ort zusammen kooperiert; Die hat sie entweder eskortiert, oder aber das Schiff war in einer Form markiert, sodass klar ist, dass die Libysche Küstenwache und die Schmuggler zusammen kooperieren und je nachdem, welche Summe geflossen ist, hat man dieses Schiff in die Europäische Union weiterfahren lassen.“

Libysche Küstenwächter, die gemeinsame Sache mit Schleppern machen? Brutale Milizen, die im Auftrag der EU Seenotrettung betreiben? Die Menschen, die am 6. November gerettet worden sind, erzählen den Helfern später, dass sie lieber im Mittelmeer ertrunken wären, als noch einmal zurück in libysche Gefängnisse zu müssen.

Sendungsübersicht

Stand: 09.01.2018, 15:41 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

9 Kommentare

  • 9 niemand 06.02.2018, 22:24 Uhr

    Was machen heute die Monopolien, die Afrika seit Jahrhunderten ausrauben? Rauben frühlich weiter?

  • 8 Meine Wahrheit- Deine Wahrheit und die Wahrheit 01.02.2018, 08:46 Uhr

    Die Wahrheit hat viele Gesichter. Wahr ist, dass die Lebensbedingungen und Überlebenschancen in viele afrikanischen Ländern gleich Null ist. Wahr ist auch, dass internationale Handelsabkommen - eine holländische Zwiebel kostet immer noch wesentlich weniger als eine afrikanische Zwiebel- der Diebstahl der Bodenschätze mit Hilfe westlich gestützten korrupten Regierungen, ein Überleben in vielen Regionen nicht mehr erlaubt. Wahr ist auch, dass die EU an die Grenzen ihrer Aufnahme gestoßen ist. Wahr ist auch dass Libyen mehr oder weniger 3 Regierungen hat, die Bevölkerung an Hunger leidet und Hungersnot fast immer der Grund für Bürgerkriege ist. Wahr ist, dass durch die Sanktionen der UN fast keine Devisen im Land sind um Lebensmittel zu kaufen und der "Menschenhandel" sowohl der illegale als auch der von der EU geförderten sogenannte Küsteneinsatz, eines der wenigen Einkünfte bietet. Wahr ist dass Folter und Mord in den Flüchtlingscamps an der Tagesordnung sind. Wahr ist..s. Teil 2

  • 7 Marina Heckmann 15.01.2018, 10:33 Uhr

    Syrer fliehen vor Krieg. Und warum kommen sog. Wirtschaftsflüchtlinge? Weil sie von Wirtschaft/Finanz/Kriegsindustrie-Mächten ausgebeutet werden. Wenn sie sich nicht gegen Korruption wehren dürfen, und bei Demonstrationen/Aufbegehren nur der Tod/Straflager/Gefängnis/Folter droht... würde auch in dieser Situation fliehen, soweit die Füße mich tragen, in eine demokratische Welt. Widerliche Posts von Herrn Trump (Flüchtlinge aus diesen Dreckslöchern...), von Frau Storch (die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden...), von Frau Weidel (Das Jahr beginnt mit dem Zensurgesetz und der Unterwerfung vor den importierten...Migrantenmobs...) tragen zur Ursachenbekämpfung ein Nichts/Null bei. ___ Die Zustände an der libyschen Küste sind aus menschlicher Sicht ein Desaster für alle!!! Beteiligten und ein beschämendes Ergebnis der EU (Polen, Ungarn, Österreich)___ Danke, das Sie dieses Thema wieder aufgenommen haben.

  • 6 Ria W. 13.01.2018, 11:47 Uhr

    Was da passiert, ist eine Sauerei und das mit Unterstützung von Deutschland und Europa! Dagegen muss was unternommen werden! Ich weiß leider nicht was. Vielleicht mit einer Kampagne?

  • 5 RG 11.01.2018, 23:24 Uhr

    Danke, dass sich die Mühe macht den Zuschauer(inne)n die Wahrheit vor Augen zu führen. Viele Print- und Internetmedien halten diese massiven Menschenrechtsverletzungen leider nicht mehr interessant genug darüber zu berichten.

  • 4 Otte 11.01.2018, 23:16 Uhr

    Seenotrettung? Der Begriff wird in dieser Sendung - und in allen weiteren Berichten zu dieser Thematk - zum Reductio ad absurdum. Menschen verlassen sicheren Grund und Boden und begeben sich bewusst und "sehenden Auges" in See mit erkennbar seeuntüchtigen, überladenen Transportmitteln, wohlwissend um diesen Umstand und der damit automatisch einhergehenden Gefahr des Ertrinkens und von vornherein geplanten, gezielt abgesetzten SOS- Funksprüche ihre "Rettung" einfordernd. Das ist kein Seenotfall! Das ist vorsätzlich unverantwortliches Handeln gegenüber den zur "Rettung" Gerufenen und Erpressung! Mit klassischer Seenotrettung hat das absolut nichts gemein und diejenigen, die bewusst und ausschliesslich zu diesem Zweck als Privatpersonen oder namens irgendwelcher nicht autorisierter "Organisationen" sich als Ersatz- oder Weitertransporteure anbieten, leisten m.E. Beihilfe nicht nur zu illegalen Einreisen sondern zur Schleusertätigkeit.

  • 3 Wolfgang Salten 11.01.2018, 22:27 Uhr

    wie kann man die Flüchtlingskrise im Mittelmeer beenden? Die Politik nimmt billigend den Tod tausender Menschen in Kauf!!! Hilft eine Klage vor dem EUGH?Gut das Sie sich dieses Themas endlich....nach langem, langem Schweigen auch und insbesondere der Medien wieder annehmen!!

  • 2 Lambert 11.01.2018, 22:12 Uhr

    Mir ist unklar, warum in diesem Bericht generell von Flüchtlingen die Rede, obwohl diese überwiegend Migranten sind. Also auf der verständlicher Suche nach besseren Lebensbedingungen sind und nicht verfolgt werden, wie Flüchtlinge aus Syrien oder Irak. Ich empfinde das als fachlich undifferenzierten Journalismus, wenn nicht als manipulativ.

  • 1 stonksen 11.01.2018, 22:03 Uhr

    Letzendlich spielt der Mensch keine Rolle, wenn wirtschaftliche Interssen entgegen stehen