MONITOR vom 15.11.2018
Belgische Risiko-Reaktoren: Die erstaunliche Kehrtwende der Bundesregierung
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Kommentieren [6]Bericht: Jan Schmitt, Achim Pollmeier
Belgische Risiko-Reaktoren: Die erstaunliche Kehrtwende der Bundesregierung
Monitor. 15.11.2018. 05:41 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste. Von Jan Schmitt, Achim Pollmeier.
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Georg Restle: „Prinzip Hoffnung. Gilt ganz sicher auch für unser nächstes Thema. Die Hoffnung nämlich, dass es niemals zum Gau, zum größten anzunehmenden Unfall in einem Atomkraftwerk kommt, wie bei diesem Reaktor, der in Deutschland immer wieder die Schlagzeilen bestimmt. Er steht in Belgien unmittelbar an der deutschen Grenze und galt jahrelang als eines der größten Sicherheitsrisiken unter Europas Atomkraftwerken. Doch das soll jetzt plötzlich nicht mehr gelten. Sagt die Bundesregierung und verzichtet jetzt sogar auf die Forderung, den belgischen Pannen-Reaktor abzuschalten. Also alles nur Panikmache? Wie unsicher ist Tihange 2 wirklich, und gibt es tatsächlich Grund zur Entwarnung? Jan Schmitt und Achim Pollmeier über einen erstaunlichen Sinneswandel der deutschen Bundesregierung.“
Aachen im Dezember 2016, Probe für den Gau. Die große Gefahr: Eine radioaktive Verseuchung. Und die ist keineswegs ausgeschlossen. Der Grund: Nur wenige Kilometer entfernt steht das belgische Atomkraftwerk Tihange. In einem Reaktordruckbehälter wurden bei Kontrollen Tausende bis zu 9 cm große Haarrisse gefunden. Experten sagen, brandgefährlich.
Dr. Ilse Tweer, International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG): „Es ist nicht auszuschließen, dass im Falle eines Störfalls mit kaltem Wasser auf die Reaktorwand ein Risswachstum stattfindet, das zur Katastrophe führt.“
Bei einem Störfall und einer Notkühlung könnten sich die vorhandenen Risse vergrößern und vernetzen. Im schlimmsten Fall könnte der Reaktordruckbehälter brechen, es käme zur Kernschmelze und zu einem Gau, bei dem sofort tödliche radioaktive Strahlung freigesetzt wird.
Wolfgang Renneberg, Ehem. Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium:„Für solche schnell verlaufenden Freisetzungen, ja, versagen letztlich auch die geplanten Katastrophenschutzmaßnahmen. Und das ist ein besonderes Risiko, gerade in diesem Szenario von Tihange 2.“
Die Radioaktivität könnte sich dann bis weit nach Deutschland hinein ausbreiten. Vor dieser Gefahr hat das Bundesumweltministerium seit Jahren gewarnt. Deswegen forderte die ehemalige Ministerin klar:
Barbara Hendricks, ehem. Bundesumweltministerin Januar 2016: „Langsam aber sicher sind die Dinger außer Betrieb zu nehmen.“
Doch das soll plötzlich nicht mehr gelten. Denn die Bundesregierung macht nun eine radikale Kehrtwende. Kritik an zu langen Laufzeiten ja - aber man fordert jetzt nicht mehr explizit, die belgischen Pannenreaktoren abzuschalten. Warum? Die Regierung stützt sich auf die so genannte Reaktorsicherheitskommission. Die hat sich Fragen von der Belgischen Atomaufsicht beantworten lassen. Für den zuständigen Staatssekretär im Bundesumweltministerium mit einem eindeutigen Ergebnis.
Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium: „Die Reaktorsicherheitskommission hat in den technischen, theoretischen Nachweisen sozusagen, wenn man so will, nach Papierlage alle Fragen beantwortet gefunden und geht davon aus, dass eine Sicherheit gewährleistet ist.“
Uns liegt das Papier vor. Geht die Reaktorsicherheitskommission darin wirklich davon aus, dass die Sicherheit gewährleitet ist? Ihr Vorsitzender widerspricht.
Rudolf Wieland, Vorsitzender Reaktor-Sicherheitskommission: „Wir haben ein Papier, was eindeutig nur eine technische Bewertung macht, abgegeben und wenn jemand etwas reininterpretiert, dann ist es (…) die Verantwortung dessen, der interpretiert und nicht meine.“
Reporter:„Also, Sie haben keine Sicherheit jetzt abgeleitet in Ihrem Papier?“
Rudolf Wieland, Vorsitzender Reaktor-Sicherheitskommission: „Nein, werden wir auch nicht tun.“
Sicherheit reininterpretiert? Auf welcher Grundlage gibt die Bundesregierung dann Entwarnung?
Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), atompolitische Sprecherin: „Dafür gibt es meiner Meinung nach überhaupt keinen Grund. Denn die Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission, auf die sich die Bundesregierung hier sich beruft, die gibt das nicht her.“
Wolfgang Renneberg, Ehem. Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium:„Ich kann das deswegen auch nicht verstehen, wie ein Bundesumweltministerium zu solch einem Schritt kommen kann. Das ist … ja, es ist sicherlich fahrlässig.“
Das Umweltministerium verweist auf die Belgische Atomaufsicht. Und die sagt: Die Risse seien kein Problem. Sie seien ja schon immer dagewesen. Beweisen kann sie das allerdings nicht. Auch nicht, ob die Risse wachsen oder nicht. Eine große Gefahr, warnen Experten.
Dr. Ilse Tweer, International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG): „Die beiden Anlagen hätten in Deutschland sofort stillgelegt werden müssen, wenn man festgestellt hätte, es gibt Tausende von Rissen, die nach der Herstellung nicht beobachtet wurden.“
24 renommierte Atomexperten der International Nuklear Risk Assessment Group, INRAG, haben sich die RSK-Stellungnahme genau angesehen. Mit einem Brandbrief protestieren sie nun gegen die Kehrtwende der Bundesregierung. Dafür, die Reaktoren für sicher zu erklären, sehen sie
Zitat: „keine fachlich-inhaltliche Grundlage"
und warnen, es gebe noch
Zitat: „weitere erhebliche Risiken“.
Risiken, die in ganz Europa lauern. Viele Reaktoren sind schon über 30 Jahre am Netz. Die Kehrtwende bei Tihange könne auch deren Sicherheitsbewertung ändern, warnen Experten.
Wolfgang Renneberg, Ehem. Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium:„Die Bewertungskriterien werden abgesenkt und diese Absenkung von dem deutschen Bundesministerium als eine, ja, maßgebende Behörde im Bereich der Atomsicherheit wird natürlich international beachtet. Und dadurch fühlen sich dann auch ausländische Betreiber und Behörden ermutigt, ja, genauso, ich will mal sagen, locker ran zu gehen und dann auch alte Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen.“
Die Menschen in Aachen fordern die Abschaltung von Tihange 2. Und sowohl die Stadt als auch das Land NRW klagen gegen den Betrieb. Aber die belgische Seite präsentiert neuerdings einen gewichtigen Zeugen für die Sicherheit des Reaktors: die deutsche Bundesregierung.
Stand: 15.11.2018, 22:30 Uhr
6 Kommentare
Kommentar 6: Miriam S schreibt am 21.11.2018, 19:27 Uhr :
für Frankreich ist jeder Atommeiler eine Heilige Kuh, bitte nicht dranrühren, für ein Abstellen von Kohlemeilern hat man ein offenes Ohr und sogar für das Abschalten von Fessenheim...und was die Luftverschmutzung durch Dieselfahrzeuge angeht, scheint eine ähnliche Ideologie zu herrschen: Während in Germany nur ein Teil der Dieselfahrzeuge aus den Städten verbannt werden, gilt ab Mitte 2019 für den gesamten Pariser Raum ein Fahrverbot auch für bestimmte Benziner; dabei ist nicht die einzelne Klasse maßgeblich, sondern simpel das Alter bei beiden Arten, Benziner ab 21, Diesel ab 18 Jahren...dh für Fahrzeuge, die eh meist schon für die Fahrt auf die Halde bestimmt sind.
Kommentar 5: Blanca Spott schreibt am 16.11.2018, 14:42 Uhr :
Ich kann das zwar technisch nicht erklären, aber soweit ich weiß, sind nur deutsche Atom Kraftwerke gefährlich. Sonst hätten die Belgier, Franzosen, die Grünen, die SPD, Frau Merkel und natürlich Macron doch schon längst was gemacht. Anders kann es gar nicht sein....Äh....laufen nicht auch noch in Deutschland ...?Oh Gott...mir wird ganz anders....
Kommentar 4: Ernst Haft schreibt am 16.11.2018, 13:08 Uhr :
Entweder sind AKKs sehr gefährlich, dann muss unsere Regierung sofort alle deutschen AKKs abschalten und massiven Druck auf verantwortungslose Nachbarn wie z.B. Belgien und Frankreich (dort scheint das kein Problem zu sein.) ausüben. Oder sie sind gar nicht so gefährlich.....dann könnten wir viel CO2, Landschaft und Geld sparen.
Antwort von Miriam S , geschrieben am 16.11.2018, 18:03 Uhr :
es ist lang her, dass der WWF gegen den weiteren Ausbau von AKWs an der Loire Demos und Proteste organisierte ( das schönste Kühlwasser der Welt, war damals noch wenigstens etwas einzugrenzen) inzwischen hat die EdF vermutlich mit viel Geld die Menschen zum Schweigen gebracht, ähnlich verläuft es überall ; man rufe die Homepage der URENKO auf und lese von den "Wohltaten", die sie der Region nördl.- Münsterland bringt...anschließend bringt sie auch den Belgiern und wer weis wem sonst noch die Wohltat bezahlbaren Stromes und sorgt dafür, dass unsre "Energieversorgung für die Zukunft gesichert" ist. Was macht es schon, wenn die Meiler " in die Luft fliegen"? bis dahin bringen sie uns gelungene Geschäfte.
Antwort von abcd , geschrieben am 03.12.2018, 17:47 Uhr :
Ernst Haft: "Entweder sind AKKs sehr gefährlich..." may be , *lach* aber ich fürchte keinen vernichtenden Blick , er ist versteckt hinter der großen Brille.
Kommentar 3: Andreas Nordhoff schreibt am 16.11.2018, 07:42 Uhr :
Hier äußert sich Rudolf Wieland und Andere zu Tihange und Doel : https://www.deutschlandfunk.de/pannenreaktoren-am-netz-deutschlands-sorge-um-belgiens.724.de.html?dram:article_id=429895 Sicherheitsfragen: 1 gibt es sichere Standorte? NEIN! s. Fukushima 2 gibt es sichere Technik? NEIN! s. PKWs u.a. 3 gibt es sichere Menschen? NEIN! S.Tschernobyl 4 gibt es terrorsichere Atomkraftwerke? NEIN! s. GREENPEACE Drohne Frankreich! 4x NEIN, und unsere Volksvertreter sagen JA...egal was die genommen haben, - sie sollten weniger davon nehmen. Abwählen, mehr bleibt dem Bürger wohl nicht! Die Büchse der Pandora ist geöffnet worden vor 40 Jahren von den "CHRIST"DEMOKRATEN Massenvernichtungs"waffe" AKW .
Kommentar 2: Miriam S schreibt am 14.11.2018, 10:11 Uhr :
Die deutsche Regierung tut noch mehr: Sie "liefert" die Brennstäbe für die belgischen Reaktoren; nee das tut nicht sie, sie wäscht bei allen "Ausfuhren" von Waffen andre agieren , gibt aber für den Export, auch den grenznahen, die Genehmigungen... hier noch schlimmer: die Produktion der Brennstäbe erfolgt im schönen Münsterland, direkt vor unsrer Haustür durch die URENKO und die Pharma-Industrie hat auch noch was davon: sie liefert die Mengen an "Beruhigungspillen" für die Bevölkerung in der Umgebung von Aachen.
Antwort von Miriam S , geschrieben am 14.11.2018, 20:43 Uhr :
sorry, da war ich zu hektisch : " sie wäscht ihre Hände in Unschuld und lässt..... " musste es heißen.
Kommentar 1: Antonietta schreibt am 13.11.2018, 18:09 Uhr :
gegen AKW's!