MONITOR vom 17.10.2019

Krieg in Nordsyrien: Kein Waffenembargo gegen die Türkei

Bericht: Nikolaus Steiner, Naima El Moussaoui

Krieg in Nordsyrien: Kein Waffenembargo gegen die Türkei Monitor 17.10.2019 04:15 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Naima El Moussaoui

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Tag neun der türkischen Angriffe auf die Kurdengebiete im Norden Syriens. Aufnahmen eines rücksichtslosen, völkerrechtswidrigen Krieges, der weder Zivilisten noch Hilfsorganisationen schont. Guten Abend und willkommen bei MONITOR.

Man kann eigentlich nicht oft genug daran erinnern. Es sind die gleichen Kurden, die Angela Merkel vor wenigen Jahren noch als mutige Kämpfer lobte, weil sie Jesiden vor dem sogenannten „Islamischen Staat“ gerettet hatten. Die gleichen Kurden, die Seite an Seite mit US-Truppen gegen den IS kämpften. Die gleichen Kurden, die jetzt vom Westen zum Abschuss freigegeben wurden. Die Bundesregierung verurteilt die Angriffe zwar mit deutlichen Worten, aber was tut sie eigentlich dagegen? Nikolaus Steiner und Naima El Moussaoui.“

Auch heute wieder, türkische Angriffe auf Nordsyrien. Seit Tagen Dauerbeschuss mit Artillerie und heftige Straßenkämpfe. Mehr als 160.000 Menschen sind auf der Flucht, sagen die UN. Und es häufen sich Angriffe auf Zivilisten, Hilfsorganisationen und auch auf Ambulanzen, wie eine Mitarbeiterin des Kurdischen Roten Halbmonds gegenüber der ARD berichtet.

Fee Baumann, Projektleiterin Kurdischer Roter Halbmond: „Das Problem ist, es gibt immer wieder Attacken auf Zivilisten, sogar Journalisten. Auf unsere Einrichtungen, also humanitäre Mitarbeiterinnen vom Kurdischen Roten Halbmond werden und wurden attackiert.“

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat Nordsyrien mittlerweile verlassen, weil es zu gefährlich sei.

Katja Carson, Ärzte ohne Grenzen: „Am Anfang der Woche haben unsere Mitarbeiter in dem Lager Ain Issa noch die Menschen mit Wasser, Nahrung und medizinischer Hilfe versorgt. Das können wir jetzt nicht mehr gewährleisten, weil wir unsere internationalen Mitarbeiter dort abgezogen haben. Und das macht natürlich die Situation vor Ort schwieriger. Und wir machen uns sehr große Sorge um die Menschen dort, weil diese Versorgung jetzt nicht mehr gewährleistet ist.“

Flüchtlingslager unter Beschuss. Kein Wasser, nichts zu essen und Ärzte, die abziehen. Angesichts der drohenden humanitären Katastrophe gibt sich die Kanzlerin entschlossen, fordert heute erneut einen sofortigen Stopp der türkischen Angriffe.

Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin: „Bei allen durchaus auch nachvollziehbaren Sicherheitsinteressen, die Militäroperation der Türkei in Syrien bringt in dem ohnehin schon so sehr geschundenen Land nur neues, menschliches Leid mit sich.“

Nun also – klare Kante gegen Erdogan? Der Bundesaußenminister verkündete eine restriktivere Rüstungsexportpolitik.

Heiko Maas (SPD), Bundesaußenminister, 13.10.2019: „Wir haben innerhalb der Bundesregierung entschieden, dass es keine weiteren Rüstungsexporte mehr in die Türkei geben wird. Wir haben im Übrigen seit der Militäroffensive der Türkei in Afrin schon vor einiger Zeit keine Rüstungsgüter mehr in die Türkei geliefert, die in Syrien Anwendung finden können.“

Tatsache ist, der Wert der Kriegswaffenausfuhren aus Deutschland an die Türkei ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Kein anderes Land bekam im vergangenen Jahr wertmäßig mehr Kriegswaffen aus Deutschland. Was ist die Ankündigung des deutschen Außenministers wert? Beim EU-Außenministertreffen am Montag wollten einige Staaten einen kompletten Waffenexportstopp, also ein EU-weites Embargo gegen die Türkei durchsetzen. Aber ausgerechnet Deutschland bremste. Laut einer Weisung des Auswärtigen Amts sei es Verhandlungsziel der Bundesregierung, Waffenexporte nur zu überprüfen,

Zitat: „aber kein Beschluss von Waffenembargo“.

Sevim Dagdelen (Die Linke), Auswärtiger Ausschuss des Deutschen Bundestages: „In Deutschland suggerieren sie der Öffentlichkeit aufgrund der öffentlichen Empörung über diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Syrien, dass man hier alles tun würde, um Waffenlieferungen an die Türkei zu verhindern, aber in Brüssel wird dann die Anweisung gegeben, alles zu tun, um ein europaweites Waffenembargo zu verhindern. Das ist reinste Schaufensterpolitik und es ist natürlich auch ein Betrug der Öffentlichkeit.“

Der Krieg der Türkei gegen die Kurden in Nordsyrien wird noch zahlreiche Opfer fordern. Die Bundesregierung verurteilt die Angriffe – mit Worten statt Taten.

Georg Restle: „Nach aktuellen Meldungen hat sich US-Vizepräsident Pence mit dem türkischen Präsidenten Erdogan gerade darauf verständigt, die türkischen Angriffe auf Nordsyrien für fünf Tage zu unterbrechen, falls die kurdischen Kämpfer abziehen. Mehr dazu dann gleich in den Tagesthemen.“

Kommentare zum Thema

  • Squareman 29.10.2019, 15:51 Uhr

    Schon irgendwie seltsam das so getan wird als ob die Türkei Syrien jetzt erst angegriffen hätte. Dabei stehen türkische Truppen und ihre islamistischen Verbündeten seit über einem Jahr in Syrien. Da diese Invasion keine Konsequenzen hatte macht der Sultan von Ankara eben einfach weiter. Konsequenzen hat er auch weiterhin nicht zu befürchten denn alle wollen weiterhin gute Geschäfte mit diesem islamistischen Regime Erdogans machen. Das kurzfristige Ziel Erdogans sind ethische Säuberungen in dieser sogenannten Sicherheitszone. Finanziert wird das mit dem Geld aus dem Flüchtlingspakt mit der EU. Wohin werden wohl die vertriebenen Kurden fliehen? Natürlich nach Europa. Wir finanzieren also die nächste Flüchtlingsbewegung mit unseren Geldern. Alles sehr sinnvoll und von der EU durchdacht.

  • Miller, F. 22.10.2019, 23:41 Uhr

    Sehr traurig ist dass heute noch, 2019, staatsführenden Politiker denken wie in der Vorkriegszeit. Da werden durch eingesetzte Provokateure Revolutionen inszeniert. Da werden Regierungen gestürzt u. gegen eigene „Nachläufer“ ersetzt. Da werden aufgrund von Lügen Kriege geführt. Auf Mensch, Tier und Natur wird keine Rücksicht genommen. Menschen werden vertrieben und Ländereien werden sich angeeignet, gleich wie in vorigen Jahrhunderten; u. wie „heute“ wieder die Türkei in Syrien einmarschiert ist, angeblich um eine „Sicherheitszone“ zu schaffen (warum nicht auf eigenen Boden?). Dass das Land Syrien den syrischen Menschen gehört das hat offensichtlich keine Bedeutung. Was würde die türkische Regierung machen wenn zum Beispiel die griechische Regierung in der Türkei einen fünfhundert Kilometer langen u. eine dreißig Kilometer breite „Sicherheitszone“ in der Türkei erkämpft. Wie würden US-Politiker reagieren wenn die mexikanische Armee eine Sicherheitszone in den USA erkämpft?

  • Aga Bellwald 19.10.2019, 16:56 Uhr

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