Bericht: Jochen Taßler, Sarah Schröer López
Steuersenkungen: Falsches Rezept gegen die Krise?
Monitor. 19.09.2019. 04:23 Min.. UT. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste. Von Jochen Taßler, Sarah Schröer López.
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Georg Restle: „Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst von einer drohenden Wirtschaftskrise. Besonders laut warnen gerade vor allem die Arbeitgeber und Unternehmerverbände vor einem Abschwung – und liefern gleich das passende Rezept dagegen: weniger Unternehmenssteuern. Klingt herrlich logisch: Weniger Steuern heißt mehr Investitionen, heißt weniger Krise. Schön wär’s, wenn’s so wäre. Jochen Taßler und Sarah Schröer López.“
Der Boom ist vorbei. Und schon kommen die Schreckensmeldungen: Die deutsche Wirtschaft schlittere in die Krise…
Diverse Nachrichtensprecher: „Ab jetzt geht’s bergab.” - „Schlechte Nachrichten aus der Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft schrumpft.” - „Deutschlands Wirtschaft schaltet um von Erfolgsmeldungen und Rekordfeiern auf Alarm.”
Experten sprechen bislang nur von einer Abkühlung der Konjunktur, nicht von einer großen Krise. Die Lobbyisten der Wirtschaft fordern trotzdem Entlastung. Etwa beim Treffen mit der Kanzlerin im März. Ihr Rezept: staatliche Förderungen. Und vor allem: Steuersenkungen.
Erik Schweitzer, Präsident Deutscher Industrie- und Handelskammertag (März 2019): „Wir müssen endlich eine Unternehmenssteuerreform machen. Wir haben in zwei Jahren … werden wir in Deutschland die höchsten Unternehmenssteuern aller Industrieländer der Welt haben.“
Die Unternehmenssteuern in Deutschland liegen bei etwa 30 Prozent. Im internationalen Vergleich scheint das sehr hoch. Aber nur auf den ersten Blick. Tatsächlich sehe es anders aus, sagen Experten.
Prof. Jens Südekum, Wirtschaftswissenschaftler: „Man kann nicht einfach Steuersätze miteinander vergleichen. Deutschland hat auch sehr große Ausnahmetatbestände, Abzugsmöglichkeiten. Und wenn man die effektive Steuerbelastung international vergleicht, da liegt Deutschland etwa im Mittelfeld.“
Trotzdem schreiben die Wirtschaftsverbände in einer „gemeinsamen Erklärung”:
Zitat: „die „Steuerbelastung für Unternehmen und Betriebe” müsse auf „25 Prozent” gesenkt werden.
Unternehmen würden dann mehr investieren und so die Konjunktur ankurbeln. Eine Logik, an die viele Experten nicht glauben.
Prof. Jens Südekum, Wirtschaftswissenschaftler: „Einfach nur zu sagen, ihr müsst jetzt weniger Steuern bezahlen, das ist keine Gewähr dafür, dass die Unternehmen das nutzen, um tatsächlich mehr zu investieren. Viele Unternehmen werden sich einfach bedanken und werden geringe Steuerzahlungen als höhere Profite verbuchen.“
Und das, obwohl die Unternehmen schon jetzt hochprofitabel sind. Ihre Gewinne sind zuletzt stark gestiegen – und zwar nach Abzug aller Steuern. Bei Großunternehmen inflationsbereinigt auf 67,3 Milliarden Euro 2016. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sogar noch stärker auf 84,1 Milliarden. CDU und CSU wollen trotzdem weiter entlasten. Bundeswirtschaftsminister Altmaier schreibt etwa in seiner „Mittelstandsstrategie”, man müsse die
Zitat: „Steuerbelastung auf einbehaltene Unternehmensgewinne auf 25 Prozent”
senken. Genau das, was die Wirtschaft will. Und auch Altmaiers Argument ist dasselbe: Die Steuersätze seien zu hoch. Die „Wettbewerbsfähigkeit” müsse gesichert werden.
Peter Altmaier (CDU), Bundeswirtschaftsminister: „Ansonsten dürfen Sie sich nicht beklagen, wenn Unternehmen mehr darüber nachdenken, wie sie neue Arbeitsplätze im Ausland schaffen können als hier bei uns – dort, wo sie dringend gebraucht werden.“
Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit? Die Zahlen sprechen dagegen. Trotz angeblich zu hoher Steuern sind deutsche Unternehmen extrem wettbewerbsfähig. Und das Weltwirtschaftsforum ordnet Deutschland hinter den USA und Singapur auf Platz drei der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt ein. Die meisten Experten sind sich daher einig: Eine Unternehmenssteuersenkung wäre kein geeignetes Mittel gegen den Abschwung. Andere Maßnahmen seien sinnvoller.
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Gerade im Angesicht der konjunkturellen Abkühlung sollte ein lang angelegtes Wachstums- und Investitionsprogramm oberste Priorität für die Politik haben, also Investition in Verkehrsinfrastruktur, digitale Infrastruktur, in besseres Bildungssystem, in Innovation.“
Eine Unternehmenssteuersenkung würde den Spielraum für solche Investitionen verkleinern. Denn sie würde den Staat zunächst Milliarden kosten. Und irgendwer würde am Ende dafür zahlen müssen – gerade wenn keine Schulden gemacht werden sollen.
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung:„Das würde bedeuten: Es ist weniger Geld übrig für die Bürgerinnen und Bürger und damit wäre es eine Umverteilung zu Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zum Wohle der Unternehmen.“
Unnötige Entlastungen statt notwendiger Investitionen. Die Menschen im Land dürften davon kaum profitieren, die großen Unternehmen umso mehr.
Stand: 19.09.2019, 22:15 Uhr
6 Kommentare
Kommentar 6: M.S. Titanic schreibt am 21.09.2019, 21:59 Uhr :
Der Staat sollte den Unternehmen verbesserte Investitionsbedingungen ermöglichen, indem er für bestimmte Investitionen in den Standort Deutschland die AfA-Sätze erhöht. Aber bei der Steuerreform 2000 ist die Bundesregierung genau den entgegengesetzten Weg gegangen: Senkung der Steuersätze und zur Gegenfinanzierung Verringerung der AfA-Sätze. Im Ergebnis hat zu Finanzspekulationen wie M&A angereizt (da gibt es keine AfA) und Investitionsbedingungen in den Standort Deutschland verschlechtert (weil echte Investitionen eben viel länger Kapital binden). Dieser Systemfehler besteht bis heute. Und die entsprechend einbrechenden Steuereinnahmen führten in den Nullerjahren dazu, dass Deutschland mehrfach den Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzte. 2007 war es dann angeblich alternativlos, die Umsatzsteuer zu erhöhen, statt die Steuerreform 2000 rückabzuwickeln.
Kommentar 5: Spock schreibt am 21.09.2019, 16:26 Uhr :
Infantilisierung der Technik im Bereich der Mobilität auch noch subventionieren...wie unlogisch!
Kommentar 4: Kassandra schreibt am 21.09.2019, 16:22 Uhr :
Danke für diesen klaren Beitrag. Ideenlosigkeit und eine an Peinlichkeit grenzenden Personalpolitik darf nicht mit Steuergeldern weiter subventioniert werden!
Kommentar 3: Claudia S. schreibt am 21.09.2019, 09:25 Uhr :
Konkurrenz zwischen Staaten um die niedrigsten Steuersätze für Unternehmen ruiniert die Staaten und liefert sie noch mehr den Konzerninteressen aus. Für eine Förderung von Investitionen bräuchten wir stattdessen eine spürbare Vermögensbesteuerung und eine wirksame Besteuerung von Finanztransaktionen. Denn dann würden Investitionen in die Realwirtschaft wieder attraktiv.
Kommentar 2: Aga Bellwald schreibt am 20.09.2019, 09:02 Uhr :
Danke für diesen Beitrag. Wurde auch langsam Zeit, dieses leidige Thema anzusprechen. Wundert mich gar nicht, dass es so läuft, wie Ihr es beschrieben habt. Kapitalismus ist LETZTENDLICH purer Eigennutz. Da investiere ich doch keine eingesparten Steuer-Euros, -Franken usw. um sie anschliessend für einen Fremdnutzen wieder auszugeben... Es mag vielleicht einige wenige Unternehmen geben, die noch sowas wie soziale Verantwortung kennen, aber in der Regel gilt - nicht erst seit heute: Profite privat, die Kosten dem Staat.
Kommentar 1: h.ewerth schreibt am 18.09.2019, 11:41 Uhr :
Regierungen kennen nur noch "Steuersenkungen" haben die Herrschaften einmal überlegt, warum trotz der niedrigen Zinsen, niemand wirklich mehr investiert? Schon unter Schröder wurden massiv die Belastungen gesenkt, trotzdem gibt es bis heute einen Investitionsstau? Die Unternehmen sparen statt zu investieren, eigentlich soll ja mit der geringeren Belastungen, mehr investiert werden? Das Gegenteil ist der Fall. Lieber wird gespart, und das Geld an Finanzmärkten investiert. Wie heißt es eigentlich: "Eigentum verpflichtet" zu was eigentlich, wenn die Mehrheit der Unternehmen, die Gewinne privatisieren?