Bericht: Lara Straatmann, Andreas Maus
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Georg Restle: „Massenproteste gegen Polizeigewalt: Diese aktuellen Bilder aus den USA zeigen, was da los ist, wenn Polizeibeamte einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe töten. Das sind Demonstrationen zum Prozessauftakt gegen den mutmaßlichen Mörder von George Floyd. Wenn etwas Vergleichbares in Deutschland geschieht, bleibt es oft still. Sehr still sogar, auch weil Staatsanwaltschaften Verfahren gegen Polizeibeamte sogar dann einstellen, wenn es handfeste Beweise für ein Tötungsdelikt gibt. Über einige solcher Fälle haben wir bei MONITOR bereits berichtet. Und jetzt gibt es wieder so einen Fall, der Fragen aufwirft. In Stade wurde ein neunzehnjähriger Flüchtling von einem Polizeibeamten erschossen, Die Ermittlungen eingestellt. Angeblich Notwehr – angeblich. Lara Straatmann und Andreas Maus.“
Das Grab von Aman Alizada in Hamburg. Ein schlichtes Holzschild mit aufgeklebtem Foto. Seine Freunde kommen regelmäßig hierher. Im Sommer 2019 wurde Aman von einem Polizisten erschossen. Er soll ihn angegriffen haben, doch das können sie kaum glauben.
Freund von Aman Alizada: „Aman war sehr freundlich. Er war sehr intelligent. Er war sehr hilfsbereit.“
Was genau war damals geschehen?
NDR, 18.8.2019: „Der 19-jährige Afghane Aman A. soll die Polizisten mit einer Hantelstange angegriffen haben, die Beamten wehrten sich mit Pfefferspray, laut Staatsanwaltschaft Stade erfolglos. Dann schoss ein Polizist fünf Mal und traf den Flüchtling tödlich.“
So lautete kurz danach die Version der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen wegen Totschlags gegen den Polizisten hat sie inzwischen eingestellt. Begründung: Er habe in Notwehr gehandelt. Aber war es wirklich so? Wir machen uns auf den Weg nach Stade. In dieser Flüchtlingsunterkunft hatte Aman Alizada ein Zimmer. Heute wohnt hier eine Familie, in diesem Zimmer erschoss der Polizist Aman – dort, wo jetzt Kinderbetten stehen. Schussspuren im Türrahmen – notdürftig überpinselt. Aman Alizada hatte psychische Probleme. Das wussten auch die Polizisten. Als gewalttätig galt er nicht. Sein Zimmer, kurz nach der Tat: Die Blutspuren lassen erahnen, was sich hier abgespielt hat. Ein Mitbewohner hatte die Polizei gerufen. Alizada habe gedroht, alles kaputt zu schlagen. Als die Polizei kommt, hört er offenbar nur laut Musik und singt. Außer ihm ist niemand im Haus. Eine harmlose Situation eigentlich. Die Polizisten sagen, sie hätten von draußen gesehen, dass Alizada eine Hantelstange genommen habe. Daraufhin tritt einer der Polizisten die Tür zu seinem Zimmer ein. Kurz danach fallen die tödlichen Schüsse. Offenbar ging alles sehr schnell: Warum haben die Polizisten eine eigentlich harmlose Situation derart eskaliert?
Prof. Clemens Arzt, Polizeirechtler HWR Berlin: „Warum wird die Tür eigentlich aufgetreten? Also was will Polizei in diesem Moment eigentlich? Dritte waren überhaupt nicht gefährdet, der Betroffene saß in seinem Zimmer und hörte laut Musik. Und dann kommt dieser Einsatz ins Rollen. Im polizeilichen Verständnis ist es nicht wirklich nachvollziehbar, warum hier in dieser Eile mit sehr schnell zunehmender Eskalation gehandelt wird.“
Bis zum tödlichen Schuss. Aber warum kam es überhaupt so weit? Die Beamten sagen, sie hätten davor vergeblich versucht, Alizada mit Reizgas auszuschalten. Er habe „in Pfefferspray gebadet“, so die Staatsanwaltschaft. Doch ihr eigenes Gutachten lässt daran Zweifel aufkommen. Von vier genommenen Proben im Gesicht weist nur eine sehr schwache Spuren von Reizgas auf. Wie passt das zusammen? Um das zu klären, hätte man weitere Untersuchungen machen müssen, etwa von der Kleidung. Doch das passierte nicht. Und in der Einstellungsverfügung erwähnt die Staatsanwaltschaft das eigene Gutachten nicht. Hatte der Polizist tatsächlich keine andere Wahl als zu schießen? War es wirklich Notwehr? Nach eigener Aussage stand der Beamte bei der Schussabgabe im Flur. Alizada sei noch im Zimmer gewesen, drei bis vier Meter entfernt. In dieser Situation sei Alizada mit der Stange auf ihn zugegangen. Dann schoss der Beamte. Warum zog er sich nicht zurück oder ging in Deckung? Bestand für ihn tatsächlich eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben? Nur dann hätte er schießen dürfen.
Prof. Clemens Arzt, Polizeirechtler HWR Berlin: „Eine solche Gegenwärtigkeit war hier nicht gegeben. Gegenwärtigkeit heißt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tritt die Gefahr ein. Das war hier nicht der Fall, auf mit Blick auf den Abstand zwischen den beiden Personen. Mit Blick darauf, dass zwischen den beiden der Türrahmen war und mit Blick darauf, dass der Polizeibeamte sich hätte problemlos Richtung Tür zurückziehen können. Insofern halte ich polizeirechtlich den Schusswaffengebrauch für rechtswidrig.“
Also keine Notwehr? Jedenfalls hätte man zunächst versuchen müssen, einen Angreifer nur angriffsunfähig zu machen, so der Polizeirechtsexperte. Der Beschuldigte schoss aber gleich mehrmals auf den Oberkörper. Auch ein Schusswinkelgutachten der Staatsanwaltschaft lässt Notwehr zweifelhaft erscheinen. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Schüsse von schräg oben nach unten in Alizadas Schulter trafen. Alizada kann demnach nicht aufrecht gestanden haben. Denkbar ist laut Gutachten zwar, dass ihn die Schüsse vorgebeugt trafen. Genauso gut möglich sei aber, dass Alizada bei den Schüssen gesessen oder sogar gelegen habe. Tatsächlich? Wir lassen die Unterlagen von einem renommierten Rechtsmediziner prüfen. Er bestätigt die Ergebnisse des Schusswinkelgutachtens. Was bedeutet das Gutachten für behauptete Notwehr?
Prof. Fredrik Roggan, Hochschule der Polizei, Brandenburg: „Das geht in der Betrachtung des Einschusswinkels davon aus, dass der Angreifer – also der später Getötete – sich gebückt zumindest oder sitzend oder vielleicht sogar liegend vor dem Polizeibeamten befunden hat. Eine solche Konstellation ist kaum mit einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff in Übereinstimmung zu bringen.“
Keine Notwehr also? Um das aufzuklären, hätte zwingend weiter ermittelt werden müssen, so der Experte. Das passierte aber nicht. Und erstaunlich, auch dieses Gutachten ignoriert die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung komplett.
Prof. Clemens Arzt, Polizeirechtler HWR Berlin: „Es scheint ein sehr oberflächlicher Umgang mit den minimalen Ermittlungsergebnissen zu sein. Das ist, zumindest für mich, von außen erstmal befremdlich, aber es deckt sich eben ein Stück weit mit den allgemeinen Erfahrungen von Ermittlungen gegen Polizeibeamte, wo die Staatsanwaltschaften ganz offenkundig erhebliche Zurückhaltung oder Beißhemmung zeigen, weil natürlich die Polizei und Staatsanwaltschaft zwei Behörden sind, die immer zusammenarbeiten.“
Einseitige Ermittlungen zugunsten des Polizeibeamten? Dazu wollte sich die Staatsanwaltschaft uns gegenüber nicht äußern. Wir treffen Amans besten Freund am Tatort, lange war er nicht mehr hier. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen. Eine Woche vor seinem Tod hatte Aman noch alle eingeladen – hier in den Garten. Er sei optimistisch gewesen, habe neue Pläne gehabt. Wenige Tage danach war er tot.
Freund von Aman Alizada: „Aman ist nicht mehr da, Aman wurde erschossen und fertig. Und die Familie hat noch immer keine Entschuldigung bekommen, und keine Gerechtigkeit.“
Georg Restle: „Ob Stade, Kleve oder Dessau: Es gibt viel zu viele solcher Fälle in Deutschland. Wir werden weiter darüber berichten. Auch deshalb, damit solche Staatsanwaltschaften ihren Job machen.“
Kommentare zum Thema
Sehr enttäuschend zu hören, dass unsere Steuergelder für Privatversichterte und hochbezahlte Staatsbeamten ausgegeben werden, die den Mindeststandarts nicht entsprechen.
In enem journalistischen Beitrag sollte sich das Urteil aus den Fakten ergeben. Hier wird mit einem Urteil begonen und die Fakten die nicht dazu passen werden unterschlagen oder gebogen bis sie zum Urteil passen. Unterschlagen: -Aman Alizada war Polizeibekannt Framing: -In diesem Beitrag würd angenommen die Polizei könne durch Wände gucken um festzustellen ob jemand anderes im Haus ist -eine Entfernung von ca. 4 Metern von jemandem der mit einer Esenstange auf jemanden zustürmt wird als Situation dargestellt in der viel Handelungsspielraum besteht. -Der Beamte hat nicht direkt 5 mal geschossen sondern zunächst 2 mal mit einem Treffer in der Schulter, erst als dieser Treffer Aman nicht aufgehalten hat wurden die 3 weiteren Schüsse abgefeuert (von denen einer traf und tödlich war) Fehler: -Nach eigener Aussage befand sich der Polizist im Raum mit dem Rücken zur Wand.(das Zitat im Video ist falsch)
Heißt polizeibekannt gleich zum Abschuss freigegeben? Ausländer haben in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Datum ihrer Einbürgerung immer wieder mit der Ausländerbehörde und häufig in der Folge mit der Polizei und auch den Gerichten zu tun und nicht immer, weil sie Straftäter sind. Also vorsichtig in der Bewertung polizeibekannt. Ebenso ist es gut zu wissen, dass der Glaubwürdigkeit von Polizeibeamten schon lange nicht mehr die Bedeutung intern beigemessen wird. Zitat: "Macht ein Beamter im behördl. Disziplinarverf. von seinem Schweigerecht, auf das er nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG ausdrücklich hinzuweisen ist, keinen Gebrauch, so hat es dennoch keine dienstrechtl. Pflicht, im Verfahren vollumfänglich und wahrheitsgemäß auszusagen. Eine derart weit reichende dienstrechtl. Wahrheitspflicht kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil sie das Recht des Beamten auf angemessene Verteidigung gegen disziplinarische Vorwürfe unangemessen einschränkte." [BVerwG 2 B 56.12 v. 20.11.12]
In Sachen Wahrheit und Pflicht zur Wahrheit des heutigen Polizeibeamten, sollte man wissen, Zitat: "Macht ein Beamter im behördlichen Disziplinarverfahren von seinem Schweigerecht, auf das er nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG ausdrücklich hinzuweisen ist, keinen Gebrauch, so hat es dennoch keine dienstrechtl. Pflicht, im Verfahren vollumfängl. und wahrheitsgemäß auszusagen. Eine derart weit reichende dienstrechtl. Wahrheitspflicht kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil sie das Recht des Beamten auf angemessene Verteidigung gegen disziplinarische Vorwürfe unangemessen einschränkte. Der Beamte wäre in dem gegen ihn geführten Disziplinarverf. vor die Wahl gestellt, entweder vollumfängl. zu schweigen oder das ihm vorgeworfene Dienstvergehen zu gestehen und sämtliche, auch ihn belastende und bisher unbekannte Umstände von sich aus offen zu legen. [...]. " (Beschluss vom 20. November 2012 - BVerwG 2 B 56.12 - IÖD 2013, 38 Rn. 9 ff.). Das Lügen hilft also auch dem Polizeibeamten selbst!
Für einen anderen Blickwinkel würde ich den Kritiker Shlomo empfehlen (da Verlinkungen in dieser Kommentarsektion verboten sind bitte ich darum einfach zu googlen). Achtung, Shlomo ist eine kontroverse Person und seine Inhalte sollten definitv auch kritisch betrachtet werden.